«MorepiXX»-Wettbewerb im Schwulen Museum: Gewinner aus Saudi-Arabien
Pünktlich zum Folsom-Wochenende in Berlin meldet sich die Festischfotoausstellung «MorepiXX» zurück nach der Corona-Zwangspause
Nach einjähriger Pause ist die Doppel-X-Fetischfotoausstellung «MorepiXX» zurück im Schwulen Museum Berlin. Sie eröffnet am Freitag den Veranstaltungsreigen rund ums Folsom-Strassenfest, das Fetischfans aus aller Welt lockt. Auch Folsom findet nach einem Jahr Corona-Pause erstmals wieder statt.
MANNSCHAFT sprach mit dem Gründer und Kurator der MorepiXX-Ausstellung, Taco D. Smit aus den Niederlanden. Er organisiert jedes Jahr den MorepiXX-Wettbewerb, bei dem sowohl eine Fachjury als auch eine Fangemeinde online darüber abstimmt, welche Bilder in die Finalrunde kommen und ausgestellt werden. Aus über 150 eingereichten Arbeiten werden in Berlin nun 15 Kunstwerke gezeigt. Viele Models und Fotograf*innen kommen zum Eröffnungsempfang ins SMU. Taco Smit haben wir dort bei den Vorbereitungen gesprochen.
Geht’s der Fetischszene gut, nach andershalb Jahren Covid-19? Und haben sich in dieser Zeit Dinge verändert in Bezug auf Sex, Stimmung in der Szene usw.? Lass‘ mich zunächst feststellen, dass ich kein «Experte» bin und nicht alles und jeden in der Fetischszene kenne, daher basieren alle Antworten hier auf meiner persönlichen Erfahrung. (MANNSCHAFT berichtete über die Fetischszene.)
Der Morepixx-Fetischfotowettbewerb hat nicht unter Covid-19 gelitten, obwohl sich die meisten Sponsoren wegen erwarteter geringerer Einnahmen aufgrund von Corona zurückgezogen haben. Erfreulicherweise ist die Zahl der eingereichten Fotos und die Zahl der Fotograf*innen im Vergleich zu den Vorjahren aber gleichgeblieben.
Die Fetischszene lebt noch immer. Während der Lockdown-Phasen hielten die Schwulen, mit denen ich zu tun hatte, hauptsächlich über Zoom und ähnliche Formate Kontakt zueinander. Daneben ist die Bildung von sogenannten «Bubbles» für Kontakte, Geselligkeit und Sex üblich. Auch die Umsätze der Fetischshops sind nicht dramatisch eingebrochen.
Jetzt, wo die Lockdowns weitgehend aufgehoben wurden und immer mehr Lokale und Clubs wieder öffnen, spüre ich bei vielen einen riesigen Hunger, die «verlorene Zeit» nachzuholen.
Folsom wird dieses Jahres sicher nicht mehr so gross und voll sein wie sonst, aber das liegt vor allem an den Reisebeschränkungen für Teilnehmer*innen aus dem aussereuropäischen Raum und daran, dass es beim Strassenfest diverse Hygieneeinschränkungen gibt, die den Leuten das «freie Gefühl» nehmen, das sie an Folsom in Berlin so liebten. Zum Vergleich: Tickets fürs Fetischfestival Darklands in Antwerpen, das im Mai 2022 stattfindet, sind schon ausverkauft!
Du präsentierst jetzt im Schwulen Museum die Fotos, die im Laufe des letzten Jahres bei diversen Abstimmungsrund den MorepiXX-Wettbewerb gewonnen haben. Haben wegen Corona weniger Fotograf*innen teilgenommen, weil sie sich in der Pandemie um andere Dinge kümmern mussten? Oder hatten sie wegen des Lockdowns mehr Zeit für Fotografie? Auffallend ist, dass in diesem Jahr etwa gleich viele Fotograf*innen Arbeiten eingereicht haben wie sonst. Allerdings wird die Qualität der Entwürfe, aber auch deren Umsetzung, deutlich besser.
Ich habe nicht wirklich etwas davon gehört, dass Fotograf*innen während des Lockdowns mehr oder weniger Zeit für ihre künstlerischen Arbeit hatten. Das Einzige, was immer wieder beklagt wurde, war die mangelnde Verfügbarkeit von Models und Locations. Jetzt, wo immer mehr Menschen geimpft sind, läuft das mit Shootings einfacher. Da die meisten Fotograf*innen ihren Lebensunterhalt mit andere Hauptberufen finanzieren, habe ich auch von niemandem gehört, dass er oder sie aufgrund von Covid-19 aufgehört hätte zu fotografieren.
Rückten wegen der Pandemie neue Themen in den Fokus, zum Beispiel Einsamkeit, Krankheit, die Bedeutung von Familie? Nein. Das einzig Andere und Schöne beim diesjährigen Wettbewerb ist, dass eine Fotografin aus Russland eine Arbeit eingereicht hat und nominiert wurde: mit einem Foto von einer Frau in Fesseln. Bisher waren die Models bei MorepiXX immer Männer.
Sind die Bildwelten, die man auf den MorepiXX-Fotos sieht, Eskapismus, eine Flucht als der Realität in eine Fantasiewelt? Oder sind die Bilder auch ein kritischer Kommentar auf das, was in den letzten anderthalb Jahren passiert ist? Wurde z. B. Debatten über Rassismus und die Inklusion von trans Menschen aufgegriffen? Nein, ich sehe immer noch die sogenannte «weisse» und «cis-männliche» Perspektive auf den Fotos… Mir ist seit Jahren auf meinem Instagram-Account aufgefallen, dass Fotos mit «dunklen» oder «asiatischen» Männern weniger angesehen und geliked werden.
Du hattest gerade schon erwähnt, dass ein Bild diesmal von einer russischen Fotografin stammt und eine Frau zeigt. Sind cis Frauen inzwischen Teil der Folsom- und MorepiXX-Welt? Nein, in der Fetischwelt gibt es immer noch eine Trennung zwischen Männern und Frauen. Ich denke, dass die meisten Schwulen, die bei MorepiXX abgestimmt haben, beim Foto von Zhenya Gross gar nicht gemerkt haben, dass man darauf keinen Männerkörper sieht.
Beim Folsom-Strassenfest sieht man viele lesbische Frauen, die auf Fetisch stehen, aber das sind vielleicht fünf Prozent der Teilnehmer*innen. Man sieht auch, dass heterosexuelle Frauen mit ihren schwulen Freunden zu Folsom kommen, wahrscheinlich aus Spass und wegen des Gefühls, bei Folsom nicht dauernd Gegenstand störender männlicher Aufmerksamkeit zu sein. Im Allgemeinen werden die Frauen bei solchen Strassenfesten geduldet, bei Indoor-Partys ist die Toleranz jedoch deutlich geringer.
Die meisten Modelle, die man auf den MorepiXX-Fotos sieht, sind jung und muskulös. Gibt’s für ältere Männer und solche, die keinen im Fitnessstudio antrainierten Body haben, keinen Platz? Oder für andere Formen von Männlichkeit? Ich denke, die Modelle auf den Fotos sind ein Spiegelbild einer Gesellschaft, in der jung und schlank immer noch die Norm sind, genau wie in der Mode und Werbung. Aber auch diese «Ideale» verschieben sich langsam, und man sieht auf Fotos durchaus mehr untrainierte oder ältere Männer. Witzig ist, dass es in der Fetischszene viele Daddys gibt sowie Männer, die auf Daddys stehen.
Ich sehe auch, dass in der Fotografie mehr mit abweichenden Männerbildern experimentiert wird und dass die Vorstellung, dass die Fetischwelt nur etwas für sogenannte «harte Kerle» sei, weniger dominant ist. Eine Mischung aus Cross-dressing und Männlichkeit sieht man inzwischen ebenfalls häufiger.
Dass nicht alle diese Themen bei den Fotos vorkommen, die wir jetzt im Schwulen Museum zeigen, bedeutet nicht, dass diese Themen nicht in den mehr als 150 eingereichten Arbeiten dabei waren. Sie wurden nur nicht von der Jury ausgewählt.
Der Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs ist ein Mann aus Saudi-Arabien. Gibt’s da überhaupt eine Fetischszene? Sagt der Koran etwas dazu? Und welchen Gefahren ist der Fotograf ausgesetzt, wenn sein Name bekannt würde? Meiner Erfahrung nach sind Fetischgefühle weltweit verbreitet, nur in der westlichen Kultur sind die mehr nach aussen gekehrt und sichtbarer. Gerade in Ländern, in denen Homosexualität verboten ist, müssen Homosexuelle sehr vorsichtig sein, ihre Gefühle auszudrücken, insbesondere im Bereich des Fetischs. Sie sehen die entsprechenden Bilder auf Instagram, sie schätzen sie auch, aber sie haben selbst abgeschirmte Profile: ohne Selfies und ohne jeden Hinweis auf homosexuelle Neigungen.
Ich kenne den Koran nicht, aber ich glaube, dass kein Glaubensbekenntnis explizit etwas über Fetisch zu sagen hat, wohl aber über Homosexualität. Die Motivation unseres Gewinners, nicht unter seinem eigenen Namen zu fotografieren, kann mir gut vorstellen. Das gilt übrigens nicht nur für ihn, sondern für mehrere Fotografen, die aus Ländern kommen, wo Homosexualität (geschweige denn Fetisch) nicht akzeptiert oder sogar verfolgt wird.
Sind «arabische» Männer in der Fetischwelt eine besondere Kategorie, wie beispielsweise beim Porno, wo es den Suchbegriff «Arab Men» gibt, genau wie bei Dating-Apps? Oder ist das «rassistisch»? In der aktuellen Fetischwelt wird die Szene von kaukasischen Männern dominiert. Ich kenne die Suchmöglichkeiten auf Pornoportalen und bei Dating-Apps, bei denen alle möglichen äusseren Merkmale ausgewählt werden können. (MANNSCHAFT berichtete über die Diskriminierung vin asiatischen Männern auf Dating-Apps.) Natürlich ist solch eine Auswahl nach Aussehen umstritten: man sieht den Menschen als Hülle. Leider werden Labels wie «gross», «blond», «blauäugig» usw. auch mit anderen Qualitäten in Verbindung gebracht, was meiner Meinung nach verwerflich ist, z. B. wenn man über bestimmte Äusserlichkeiten eine Verbindung zu Intelligenz oder Geisteshaltung herstellen will.
Zu eurer Ausstellungseröffnung am Freitagnachmittag kommen viele Fetisch- und Ledertypen ins Schwule Museum, bevor sie sich in den Folsom-Trubel stürzen. Manche schauen sich auch die anderen Ausstellungen im SMU an. Welches Feedback bekommst du? Es ist schön zu hören, dass die meisten Erstbesucher*innen das Museum schätzen, sich auch andere Ausstellungen ansehen und sagen, dass sie öfter zurückkehren werden. Es hängt allerdings stark von den Themen der jeweils aktuellen Ausstellungen im SMU ab…
Gibt’s sonst wo auf der Welt ein Fetischmuseum? Soweit ich das verstanden haben existiert in New York eines, das sich allgemein dem Thema «Sex» widmet. Aber nicht speziell schwulem Sex. Andere Weltstädte hinken da weit hinterher. Es wäre gut, wenn mehrere Städte die schwule Geschichte erzählen und schwule Kunst zeigen würden, inklusive Fetischkunst. Das SMU tut dies seit Jahrzehnten und hat da eine gewisse Vorbildfunktion. Deshalb ist es besonders toll, dass wir unsere Arbeiten hier zeigen dürfen – diesmal sogar im grossen ersten Saal! (Wo einmal die neue SMU-Dauerausstellung hinkommen soll.) Ansonsten hat das Leslie-Lohman Museum of Art in New York unendlich viele schwule Fetischbilder in seiner Sammlung, die vor allem Charles Leslie in seinem Project Space in der Prince Street regelmässig zeigt, und das GLBT History Museum in San Francisco hat sich dem Thema Fetisch auch schon in verschiedenen kleineren Ausstellungen gewidmet. Aber das sind ganz andere Dimensionen, denn das SMU ist viel grösser. (MANNSCHAFT berichtete über ein mögliches neues queeres Museum in Wien.)
Folsom Europe findet dieses Jahr wieder statt, erstmals seit Corona alles zum Stillstand gebracht hatte. Erwartest du Veränderungen? Nein. Ich würde auch dafür plädieren, die letzten anderthalb Jahre nicht zu dramatisch zu betrachten. Ich fühle mich erinnert an die Zeit 1980-1995, als unsere Szene von einer tödlichen Krankheit bedroht wurde. Damals waren viele von uns vorsichtiger mit ihren (sexuellen) Kontakten. So wie jetzt auch. Aber ich vermute, dass das bald vorbei sein wird. (MANNSCHAFT berichtete über den Tod von Ledermann Daniel Dumont wegen Corona.)
Wenn ich die Entwicklungen in verschiedenen Fetisch-Hochburgen vergleiche, muss ich feststellen, dass einige Bars, Clubs und Partys die letzten beiden Jahre finanziell nicht überlebt haben. Aber die Erfahrung hat uns gelehrt, dass andere Initiativen immer wieder neu entstehen.
Worauf freust du dich an diesem Wochenende in Berlin am meisten? Auf den Spass und die Möglichkeit, nach anderthalb Jahren wieder Freunde aus aller Welt zu sehen, zu kuscheln und zu plaudern.
Offizieller Eröffnungsempfang der MorepiXX-Ausstellung ist am 10. September um 17.00 Uhr. Der Eintritt ins Schwule Museum ist dafür frei. Mehr Informationen hier.
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