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Emir Dizdarević: Wusste lange nicht, dass es schwule Bosnier gibt

Der Grünen-Politiker aus Wien setzt sich für Sichtbarkeit von LGBTIQ ein und die Vereinbarkeit von Islam und Homosexualität

Emir Dizdarević
Der Grünen-Poltiker Emir Dizdarević (Foto: Facebook / Emir Dizdarević)

Vor zehn Jahren hat sich der Wiener Bezirksrat von den Grünen, der im Vorjahr den Vorsitz der Kulturkommission in der Josefstadt übernommen hat, seinen Eltern gegenüber geoutet. Damals war er 22 Jahre alt. In einem Interview mit der Zeitung Kurier (Bezahlschranke) sagt er rückblickend: «Das war überhaupt nicht selbstverständlich.»

Der Grund? Dizdarević stammt aus einer muslimischen Familie, die im Zuge der Kriegswirren aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich geflüchtet ist. Er wuchs in Niederösterreich auf, studierte Politikwissenschaft und Journalismus in Wien. Er war unter anderem als integrations- als auch queerpolitischer Referent im Grünen Klub im Rathaus Wien tätig. Jetzt ist er Vorsitzender der Kulturkommission Josefstadt.

«In den letzten Jahren wurde unter Rot-Grün viel in der Regenbogenstadt Wien getan. Darauf können wir uns aber nicht ausruhen und müssen jetzt anfangen, an den Herausforderungen von Morgen zu arbeiten», sagte Dizdarević Anfang des Jahres, als er zusammen mit Katharina Schöll Sprecher der Grünen Andersrum in Wien wurde, einer Initiative, die die Diskriminierung der LGBTIQ-Community bekämpft.

 

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Und so nutzt Dizdarević jetzt den Pride-Monat, um öffentlich über die Bedeutung der Pride für die Community zu sprechen, aber auch über die Vereinbarkeit des Schwulseins mit Religion. Er erklärt seinen Heterofreund*innen, dass Pride für LGBTIQ wie «Weihnachten und Bayram zusammen» sei: «Der Pride-Monat ist unser Feiermonat» und zugleich ein «Kampfmonat», um Sichtbarkeit zu zeigen. (MANNSCHAFT berichtete über Vienna Pride 2022.)


«Machoider Balkan»
Dass es auch in Bosnien andere LGBTIQ gibt, war ihm die längste Zeit nicht klar. Auf dem «machoiden Balkan» habe er lange nicht gewusst, «dass es so etwas wie schwule Bosnier gibt». Er dachte, er sei der Einzige. Entsprechend schwer fiel es ihm, seiner Familie von seiner Homosexualität zu erzählen.

Doch Aussenseitererfahrungen als Schwuler machte er nicht nur in Bosnien. Auf Instagram berichtet Dizdarević davon, wie er sich mit seinem männlichen Date im 1. Bezirk von Wien auf der Strasse küsste. Plötzlich standen «5 Typen und eine Frau um uns herum». Sie riefen: «Hey, ihr Schwuchteln!»

Alle hätten gebrüllt «Braucht ihr Gleitgel?» und: «Hey, ich hab‘ nen 20 Zentimeter-Schwanz. Komm her, Schwuchtel.»


«Jede Zärtlichkeit kann eine Gefahr sein»
Dizdarević habe sein Date an der Hand genommen und sei gegangen, schreibt er. Der Abend war ruiniert. Und jedes Mal, wenn er anschliessend ein Date auf der Strasse umarmen wollte, schaute er sich vorher um. Denn: «Jede Zärtlichkeit kann eine Gefahr sein. Das ist Alltag für LGBTIQ.»

Er habe das ziemlich satt, schreibt er. «Der öffentliche Raum gehört allen und nicht wenigen Lauten.» Er wolle bei Ungerechtigkeit nicht schweigen und damit verhindern, dass «Homofeindlichkeit noch normaler wird, als sie schon ist».

Daher gab er nun auch das grosse Kurier-Interview, in dem er von seinen Erfahrungen in der Familie, in Bosnien und nun eben in Wien spricht. Wo zuletzt eine Dragqueen-Lesung von Candy Licious in einer öffentlichen Bibliothek von rechten Demonstrant*innen massiv gestört wurde und die Polizei eingreifen musste – die dann wiederum in die Kritik geriet, weil sie einen der Dragqueen-Unterstützer aus der Gegendemonstration festnahm (MANNSCHAFT berichtete).

Dizdarević postet auf seinem Instagram-Kanal ein Interview mit Candy Licious über den Vorfall in der Bibliothek Mariahilf.

 

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«We Are Family»
Bei der offiziellen Übergabe des Sprecher*innen-Amts sagte die bisherige Sprecherin der Grünen Andersrum Wien, Gemeinderätin Jennifer Kickert: «Die Probleme, Bedürfnisse und Wünsche der Community sind nicht mehr dieselben wie vor 25 Jahren, als ich angefangen habe. Deshalb freue ich mich, dass wir als Grüne Andersrum mit der Zeit gehen und Platz für die nächste Generation und eine Neuausrichtung machen.»

Teil der Neuausrichtung ist, dass Dizdarević seine Social-Media-Präsenz nutzt, um so intensiv wie möglich für Pride zu werben. Man sieht ihn auf den verschieden Fotos und TikTok-Videos mit einem T-Shirt, auf dem in Regenbogenfarben zu lesen ist: «We Are Family.»

Ein Foto mit seiner «Nena» hat er auch auf Instagram gepostet.

 

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Und natürlich setzt sich Dizdarević auch für das geplante Queer Museum Vienna ein (MANNSCHAFT berichtete): «Gerade für uns queeren Menschen ist das enorm wichtig. Wir werden schliesslich ‹ohne Gedächtnis geboren›. Die Welt um uns herum ist eine Heterosexuelle. Wir können meist niemanden in unserer Familie fragen, wie ein Coming-out sich anfühlt. Wir haben oft keine Vorbilder.»

Ein Queeres Museum schaffe einen Raum, «in dem Menschen wie wir nicht vorgesehen waren». So könne «unser Gedächtnisse» an anderer weitergeben werden, schreibt Dizdarević auf Facebook.


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