in ,

Die Zeiten mögen weniger homophob sein – perfekt sind sie nicht

Was steht auf der queeren Agenda der nächsten Legislatur?

Protest bei einem Wahlkampfauftritt von CDU-Kanzlerkandidat Laschet mit einer Regenbogenflagge auf dem Bremer Marktplatz (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Gut eine Woche vor der Bundestagswahl liegt die SPD auch in einer neuen Umfrage weiter mit 25 Prozent vorn. CDU/CSU kommen bei der Erhebung von Forschungsgruppe Wahlen auf 22 Prozent. Die Grünen folgen mit 16 Prozent. Was steht auf der queeren Agenda der nächsten Legislatur? Dazu der Kommentar* von Jan Feddersen.

Der Bundestagswahlkampf neigt sich dem Ende zu, und wer diese Krönungszeremonie einer Republik – we, the people! – so leidenschaftlich verfolgt wie ich seit mittelpubertären Tagen, als mein politisches Herz an dem Sozialdemokraten Willy Brandt hing, der kann abschätzen, wie spannend das Rennen wird. So gut wie alle Analytiker*innen, die Pollitikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit prognostizierten, irren sich – schon jetzt zeichnet sich ab, dass so viele Menschen wie früher in Deutschland wählen werden oder es per Briefwahl schon getan haben.

In queerer Hinsicht sind die Präferenzen klar: Soweit man schwule, lesbische, bisexuelle, inter und trans Wählende hat befragen können, wählt eine überwältigende Mehrheit die Grünen. Das hat natürlich damit zu tun, dass diese neobürgerlich-ökologische Partei sich schon seit den mittleren Achtzigern, vor allem in Person des nicht mehr im Bundestag sitzenden Volker Beck (zum MANNSCHAFT+-Interview), für queer-bürgerrechtliche Belange einsetzten. Die Ehe für alle, die der Bundestag 2017 beschloss (MANNSCHAFT berichtete), bekam damals den letzten Pfiff durch viele Stimmen aus der konservativen Unionsfraktion, aber Dank gilt vor allem eben den Grünen, ohne die die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare im Eherecht nicht beendet worden wäre.

Die Union, das ist eine dem Heteronormativen anhängende Partei.

CDU/CSU, eben die Union, schneiden bei den queeren Wähler*innen eher unter ferner liefen ab, was auch kein Wunder ist: Wem LGBTI-Interessen wichtig sind, wird die Konservatíven nicht wählen, die haben in den vergangenen 72 Jahren so gut wie alles zu blockieren versucht, die Abschaffung des § 175 einst, das Antidiskriminierungsgesetz, die Wiedergutmachung für § 175-Opfer, die Eingetragene Lebenspartnerschaft, später die Ehe für alle. Die Union – das ist, dem  deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn, offen schwul, zum Trotz, eine dem Heteronormativen anhängende Partei.


In den vergangenen vier Jahren, mit der SPD in der Grossen Koalition, verhinderte die Union die Gleichstellung lesbischer Co-Mütter im Eltern- und Adoptionsrecht (MANNSCHAFT berichtete); weiterhin sind lesbische Ehen des oft realisierten Kinderwunsches wegen nicht gleich viel wert. Aber die Zeiten sind dennoch längst nicht mehr so homophob wie einst, doch perfekt sind sie nicht: Schwul (oder lesbisch) ist nach wie in den meisten jugendlichen Biographien nicht das Wunschziel biographischer Hoffnungen, im Gegenteil. Immerhin: Der bekennend katholisch-heterosexuelle Kanzlerkandidat Armin Laschet hat während der vergangenen Tage bekundet, auch öffentlich zu Protokoll genommen, dass er für die Ehe für alle sei, wenngleich er 2017 vor und hinter den Kulissen viel dafür tat, die entsprechende Integration Homosexueller ins Eherecht für verfassungswidrig zu halten (MANNSCHAFT berichtete).

Das sieht er nun anders, der Rechtsfrieden bliebe also bewahrt, auch wenn er Kanzler würde. Das wird allerdings rechtskonservative Kreise in der Union nicht freuen, aber um die muss Laschet nicht kämpfen, die wählen ihn sowieso – der Unionsmann muss zusehen, dass ihm die Liberalen und freiheitlich gesinnten Menschen nicht das starke Katholentum verargen.

Was indes steht auf der queeren Agenda der nächsten Legislatur? Was können durchsetzungsfähige Forderungen sein? Wie erwähnt: die Diskriminierung lesbischer Co-Mütter muss ein Ende haben, die Sozialdemokrat*innen wollen das sowieso, ihnen stand bislang die Union im Wege. Das Transsexuellengesetz (TSG) verdient gewiss eine Reform, aber man möchte jetzt schon hoffen, dass nicht erwartet wird, dass eine Transition per Selbsterklärung, ohne biopharmakologisch-medizinische Massnahmen, möglich sei. Das wäre für jede Opposition, womöglich CDU/CSU ein gefundenes Fressen, um «Gendergaga»-Kampagnen zu inszenieren – und zwar mutmasslich erfolgreich.


Es gibt noch einiges zu tun, nicht mehr alles. Erfreulich, das.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


dragman

Dragman: Zum Superheld werden, wenn man man selbst ist

Bern Regenbogenfahnen

Die Stadt Bern will sich für das Swiss LGBTI-Label bewerben