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Cybermobbing: Hass aus der eigenen Community

Nachdem ein User im GayRomeo-Chat mehrfach beleidigt und beschimpft worden ist, können weder die Behörden noch die Betreiber den Täter zur Rechenschaft ziehen. Der Betroffene wendet sich an die Mannschaft. Greg Zwygart sprach mit ihm und dem Betreiber von Purplemoon über die wohl dunkelste Seite des Internets und der Community.

«Hackfresse.» «Mann, bist du hässlich, da könnte man kotzen.» «Du bist nicht trainiert, du bist einfach nur eine Hungerharke.» «So etwas Hässliches wie dich habe ich auch noch nie gesehen.» «Nur Huren geben Sexdates im Profil an.»
Es ist August 2011. In einem Zeitraum von über zwei Monaten erhält User Jan* auf Gayromeo diese hasserfüllten Nachrichten von einem ihm unbekannten User namens «licker_feet»*. Er hat nicht einmal die Chance, den Blockieren-Button zu klicken, denn schon nach dem Verschicken der Nachrichten löscht der Absender jeweils sein Profil. In Abständen von einem Monat, einer Woche oder sogar von Sekunden wird Jan mit beleidigenden Nachrichten bombardiert, insgesamt sind es sieben. Hinter den feigen Angriffen steckt immer dieselbe Person, da die verschiedenen Profilnamen des Absenders immer etwas mit «licker_feet» zu tun haben und sich nur in der Schreibweise voneinander unterscheiden.
Während andere solche Nachrichten ignorieren oder einfach vergessen, kann Jan die Beleidigungen nicht auf sich sitzen lassen. «Da kommt jedes Mal eine Palette schlechter Gefühle hoch», sagt er. «Dazu kommt noch, dass diese Nachrichten sich wiederholten. Das ist verletzend.»

Cybermobbing ist strafbar

Jan zögert nicht lange und erstattet schon nach Erhalt der ersten Nachrichten Anzeige gegen unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland. Diese macht ihn darauf aufmerksam, dass «in solchen Konstellationen bei Nachrichten im Chat der Urheber erfahrungsgemäss mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht eruiert werden könne». Mit dieser Begründung legt die Staatsanwaltschaft die Anzeige zu den Akten. Doch Jan weiss, dass Cybermobbing unter den Straftatbeständen wie «üble Nachrede», «Verleumdung» oder «Ehrverletzung» strafbar ist. Durch seine Tätigkeit im IT-Bereich weiss er auch, dass Nachrichten im Internet sehr wohl verfolgt werden können.
[quote align=’left‘]«Jedes Profil, auch ein gelöschtes, hinterlässt auf dem Server der Betreiberfirma Spuren in Formen von Logdaten»[/quote]«Jedes Profil, auch ein gelöschtes, hinterlässt auf dem Server der Betreiberfirma Spuren in Formen von Logdaten», sagt Jan. «Und durch diese Logdaten kann die IP-Adresse des Täters und somit sein Provider ausfindig gemacht werden.»
Jan macht die Staatsanwaltschaft auf diese Tatsache aufmerksam und verlangt eine formelle Nichteintretensverfügung, die die Staatsanwaltschaft zur Wiederaufnahme der Strafanzeige auffordert. Nach einer Kontaktaufnahme der Behörden mit PlanetRomeo, der Betreiberfirma von GayRomeo, lässt diese verlauten, dass die Logdaten des Users «licker_feet» sichergestellt werden konnten. Diese würden aber nur an die niederländischen Strafbehörden weitergeleitet, so GayRomeo. Die Staatsanwaltschaft ersucht darauf Rechtshilfe von den holländischen Kollegen.
Mittlerweile ist es Februar 2012, und sechs Monate sind seit der ersten Mobbingattacke verstrichen. Seit Oktober hat Jan nichts mehr von «licker_feet» oder anderen, ähnlich klingenden Profilnamen gehört.
Zwei Monate später, im April, meldet sich die Staatsanwaltschaft Amsterdam mit ernüchternden Neuigkeiten: GayRomeo habe die Daten des Users doch nicht speichern können. Bei der Auskunft vom Februar habe es sich um eine Fehlinformation gehandelt. Es gebe keinerlei Hinweise auf die Userdaten von «licker_feet». Somit enden die Untersuchungen in einer Sackgasse.

Will GayRomeo nicht kooperieren?
Jan wendet sich an die Mannschaft, nicht weil er hofft, in der Sache noch weiterzukommen, sondern um auf Cyber-mobbing aufmerksam zu machen. Dass es sich beim Täter um einen verbitterten Ex oder sonst um eine Person aus seinem Bekanntenkreis handeln könnte, schliesst Jan aus: «Der Täter hat das aus bösem Willen getan oder war vielleicht eifersüchtig.»
Als IT-Spezialist kann sich Jan nicht vorstellen, dass GayRomeo die Logdaten seiner User nicht sicherstellen kann. «GayRomeo läuft auf einem Apache-Server», sagt er, «es ist fast unwahrscheinlich, dass GayRomeo diese Daten nicht sieht. Sie sind notwendig, um zum Beispiel bei einem Hackereingriff einzuschreiten. Ich weiss nicht, ob GayRomeo einfach nicht kooperieren will?»
Bei Millionen von eingerichteten Profilen und stets über 100’000 Usern, die gerade online sind, ist das verursachte Datenvolumen gross und somit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Logdaten nach einer bestimmten Zeit von GayRomeo gelöscht werden. Auch aus Datenschutzgründen werden die Daten eines gelöschten Profils nicht lange aufbewahrt.
«Ich kann dazu nicht Genaues sagen. Wenn ein User sein Profil löscht, ist alles weg. Das ist alles», sagt Spencer Windes, Chief Communications Officer bei PlanetRomeo, in einem kurzen telefonischen Statement gegenüber der Mannschaft.


Der Datenschutz als Teufelskreis
[quote align=’right‘]Bei der Chatplattform «Purplemoon» werden die Logdaten eines gelöschten Profils sechs Monate lang gespeichert[/quote]Bei der Chatplattform «Purplemoon» werden die Logdaten eines gelöschten Profils sechs Monate lang gespeichert, wie der Betreiber Andreas Leathley gegenüber Mannschaft Magazin bestätigt.
«Nachdem ein User sein Profil deaktiviert hat, löschen wir seine persönlichen Daten wie auch seine Fotos», sagt Andreas. «Nur seine Logdaten behalten wir aus Sicherheitsgründen während sechs Monaten. Das ist unser Kompromiss beim Datenschutz.»
Ob und wie lange GayRomeo seine Logdaten speichert, weiss Andreas nicht. Doch auch er zweifelt an ihrer Kooperationsbereitschaft: «Ich denke, ihr Fokus liegt auf der Anonymität. Wir legen mehr Wert darauf, greifbare und authentische Profile zu fördern, ebenso wie einen freundlicheren Umgang untereinander.»
Es habe schon einige Fälle von Personen gegeben, die sich bei Purplemoon registriert hatten, nur um andere zu beleidigen, sagt Andreas. So wurden beispielsweise deutsche User von einer Person als Judenhasser beschimpft. Der Verfasser der Nachrichten wurde daraufhin gelöscht, aber hat seither mehrmals wieder neue Profile erstellt, um andere zu beleidigen.
«Wenn ein User einen anderen User als anstössig meldet, wird uns der Chatverlauf automatisch zugesendet. So können wir schnell reagieren», sagt Andreas. Eine Anzeige wegen Cybermobbing hat es bei Purplemoon noch nicht gegeben. «Die Polizei ist einige Male auf uns zugekommen, als es um minderjährige User ging. Sofern die Anliegen gut begründet und nachvollziehbar sind, kooperieren wir gerne.»
Jan hat immer noch ein Profil auf GayRomeo, weil es ihm die grösste Plattform bietet, jemanden kennenzulernen. «Ich habe Purplemoon auch schon versucht, aber dort sind mir die Leute zu jung», sagt er. «Ich suche jemanden im meinem Alter. GayRomeo ist zwar die grösste Plattform, versumpft aber in Spam und in Fake-profilen.»
Gemobbt wurde Jan seither nicht mehr. Sollte es wieder geschehen, wird er aber nicht zögern, Anzeige zu erstatten.

[infobox title=’Was ist Cybermobbing?‘]Als Cybermobbing werden verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung anderer Menschen durch elektronische Kommunikationsmittel über das Internet, in Chatrooms oder auch mittels Mobiltelefonen bezeichnet. Falls du beim Chatten zum Opfer von  Belästigungen wirst, ist es ratsam, den User zu blockieren und ihn beim Administrator oder Betreiber der Website zu melden. Wenn die Belästigungen nicht aufhören, hast du die Möglichkeit, Anzeige gegen unbekannt zu erstatten. In diesem Fall müssten die Betreiber den Behörden die erforderlichen Daten weitergeben.[/infobox]

Dieser Artikel erschien erstmals in der März-Ausgabe 2013.



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