Wird die Große Koalition zur „großen Enttäuschung“ für LGBTI?
„Wir haben verhandelt und wir haben gekämpft“, schrieb die SPD am Mittwochnachmittag an ihre Mitglieder. Man habe „viel für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Familien und unser Land errreicht“. Aus LGBTI-Sicht wohl der interessanteste – aber auch einzig relevante – Passus lautet:
„Wir fördern Vielfalt, Gewaltfreiheit und ein demokratisches Miteinander. Dafür stärken wir die Zivilgesellschaft und bauen die Programme gegen jede Form von Extremismus, Radikalisierung, Gewalt und Menschenfeindlichkeit aus.“
Leere Worthülsen statt konkrete Maßnahmen Kaum liegt der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD auf dem Tisch, folgt die Kritik. Axel Hochrein, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), teilte mit, man sei „enttäuscht“ über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD. „Allgemeine Bekenntnisse zur Nichtdiskriminierung bleiben ohne konkrete Maßnahmen für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt leere Worthülsen. Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen werden auf den 180 Seiten weitgehend ignoriert.“
Offensichtlich bleibe sich die Union in ihrer Blockadepolitik der letzten Jahre treu und lasse die SPD wieder auflaufen. „Die Erfahrung aus Koalitionen mit der Union zeigen, dass es konkreter Festschreibungen im Koalitionsvertrag bedarf um Fortschritte für LSBTI zu erreichen“, so Hochrein.
Homo- bzw. Transfeindlichkeit: Fehlanzeige Nach Sicht von Ulle Schauws und Sven Lehmann, den Sprechern für Queerpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen werde die Große Koalition „zur großen Enttäuschung“ für LGBTI.
„Der Koalitionsvertrag ist noch inhaltsleerer als der letzte Vertrag von 2013. Konservative Allergien aus dem Sondierungsgesprächen setzt sich fort: Lesben, Schwule, Bi-, Trans* und Intersexuelle werden mit keinem einzigen Wort erwähnt, Homo- bzw. Transfeindlichkeit wird ausgeblendet, Regenbogenfamilien verdienen nicht einmal Erwähnung“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Kinder verdienen gleiche Rechte und Sicherheit, egal in welcher Konstellation ihre Eltern zusammen leben
Versprochen würden zwar „die erforderlichen Anpassungen und Ergänzungen“, die sich durch die Ehe für alle ergeben, aber wenn es konkret werde, bleibe die GroKo vage. „Die Anpassungen im Abstammungsrecht – die für lesbische Paare mit Kindern essentiell sind – wollen Union und SPD lediglich prüfen. Das ist keine Lösung sondern nur ein Aufschub in weitere Arbeitsgruppen und letztlich weitere Jahre Stillstand. Das ist inakzeptabel, denn Kinder verdienen gleiche Rechte und Sicherheit, egal in welcher Konstellation ihre Eltern zusammen leben.“
Weiterhin heißt es in der Pressemitteilung: „Immerhin scheint die CSU ihre gesellschafts- und verfassungspolitische Niederlage endlich eingestanden und die Schnapsidee einer Klage in Karlsruhe gegen Ehe für alle aufgegeben zu haben. Das ist die einzig gute Nachricht des heutigen Tages.“
Von der dringend notwendigen Reform des Transsexuellenrechts sei auch gar keine Rede, kritisieren die Grünen. „Lediglich auf die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat sich die große Koalition einigen können. Abzuwarten ist, ob es tatsächlich gesetzliche Verbesserungen für intersexuelle Menschen geben wird. Die letzten vier Jahre brachten hier weitere Studien und Konferenzen, aber keinen einzigen spürbaren Fortschritt.“
Die Große Koalition sei „queerpolitisch mickrig klein und enttäuscht auf ganzer Linie“. Es werde wieder an der Kraft und Mobilisierungsfähigkeit der queeren Community und der Opposition liegen, die gesellschaftliche Akzeptanz für LGBTI zu stärken. Die Grünen seien dazu bereit.
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