Warum verehrte eine lesbische Frau Adolf Hitler?
Wie kann sich eine lesbische Frau mit Hitler und den Nazis identifizieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine lesenswerte Biografie über Stephanie Hollenstein, Hitlers queere Künstlerin.
Die Nationalsozialisten haben viele tausend queere Menschen verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet.
Umso überraschender ist es, dass es homosexuelle Menschen gab, die sich mit der queerfeindlichen Ideologie der Nazis identifizierten. Einer der bekanntesten schwulen Nazis war SA-Führer Ernst Röhm. Doch auch lesbische Frauen verehrten Adolf Hitler. Zu ihnen gehörte die lesbische Künstlerin Stephanie Hollenstein, über die nun eine lesenswerte Biografie erschienen ist.
Hollenstein war eine bekannte österreichische Malerin des Expressionismus und eine bekennende Nationalsozialistin. Sie lebte ihre Homosexualität mehr oder weniger offen aus. Als die Nazis die Macht übernahmen, wurde sie in Wien Präsidentin der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ). Sie war damit in der NS-Zeit eine der einflussreichsten österreichischen Künstlerinnen. Unter der Präsidentschaft von Hollenstein wurde der Verband 1942 umbenannt in «Vereinigung Bildender Künstlerinnen der Ostmark (im großdeutschen Reich)».
Die Kulturpublizistin Nina Schedlmayer hat sich für das Buch «Hitlers queere Künstlerin» intensiv mit dem Leben von Hollenstein auseinandergesetzt. Schedlmayer studierte Kunstgeschichte in Wien und promovierte über Kunstliteratur im Nationalsozialismus. Sie ist Chefredakteurin des Kulturmagazin morgen. In dem Buch versucht die Autorin Antworten auf die Frage zu finden, wie es möglich ist, dass sich eine lesbische Frau mit der NS-Ideologie identifiziert. Die Biografie ist spannend zu lesen. Der Autorin gelingt es, die vielen Widersprüche im Leben von Hollenstein zu erfassen.
«Es waren Liebschaften, die zwischen absoluter Hingabe und grosser Enttäuschung schwanken, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt»
Stephanie Hollenstein
Die 1886 geborene Künstlerin ist in einfachen bäuerlichen Verhältnissen in Vorarlberg aufgewachsen. Sie ging an die Münchner Kunstgewerbeschule. Das war eine der ersten staatlichen Universitäten in Deutschland, in denen Frauen aufgenommen wurden. In München hatte sie zu vielen Frauen leidenschaftliche, widersprüchliche und schwierige Beziehungen.
Es waren «Liebschaften, die zwischen absoluter Hingabe und grosser Enttäuschung schwanken, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt», schreibt die Autorin. Hollenstein dürfte «über ein gewisses Charisma ebenso wie eine erotische Anziehungskraft verfügen. Ansonsten würden ihr nicht so viele Frauen verfallen.»
Eine lesbische Frau als Soldat im Krieg Im Ersten Weltkrieg machte Hollenstein etwas Unglaubliches. Sie zog als Soldat freiwillig in den Krieg. Dazu musste sie sich als Mann verkleiden und den Namen ändern. Sie liess einfach die letzten zwei Buchstaben ihres Vornamens weg. Statt Stephanie hiess sie in der Armee vorübergehend Stephan. Nachdem sie entdeckt worden war, machte sie als Kriegsmalerin Karriere. Auch später war Hollenstein vom Männlichkeitskult und vom Militärischen des Faschismus fasziniert. Gleichzeitig liebte sie Frauen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in Österreich damals nicht nur gleichgeschlechtliche Kontakte zwischen Männern, sondern auch zwischen Frauen bestraft. Homosexualität konnte daher meist nur im Verborgenen ausgelebt werden. Doch bei Hollenstein war dies anders. Sie führte mindestens zwölf Jahre lang mit der Ärztin Franziska Groß eine lesbische Beziehung. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis wusste davon. Das geht aus Briefen, die Hollenstein aufbewahrt hat, hervor. «Bekannte erkundigen sich nach dem Wohlergehen und dem Verbleib von Franziska Groß, lassen ihr liebe Grüsse bestellen, äussern Freude über ein Zusammentreffen mit dem Paar», schreibt die Autorin Schedlmayer. Es sei, als wären die beiden Frauen verheiratet. Trotz der strafrechtlichen Verfolgung «können Hollenstein und Groß offen als Partnerinnen auftreten, erstaunlicherweise selbst im ländlichen und konservativen Umfeld», heisst es in dem Buch.
Hollenstein trat bereits 1934 der damals in Österreich verbotenen NSDAP bei. Nach ihren Tod stellte die Nachwelt ihre Aktivitäten für die Nazis als harmlos dar - oder es wurde verheimlicht. Doch das neue Buch zeigt, dass die lesbische Künstlerin eine begeisterte Nazi-Anhängerin gewesen ist. 1939 forderte sie in ihrer ersten Generalversammlung als Präsidentin der Vereinigung bildender Künstlerinnen die Kolleginnen auf, «Führerbilder» zu malen. Hollenstein kannte viele Nazi-Grössen. Wie sehr sie Adolf Hitler verehrte, zeigte der Entwurf für eine Eröffnungsrede, die in ihrem Nachlass aufbewahrt wurde. «Es wird wohl kaum ein Land geben, welches in diesem geschichtlichen Zeitgeschehen soviele Ausstellungen veranstalten kann wie gerade wir, dies unter der vom Führer vorsehenden Lenkung der Geschicke unseres Volkes.»
Besonders schlimm war der Antisemitismus der Künstlerin. Die Autorin Schedlmayer zeigt, dass die Schriften von Hollenstein voller antisemitischer Verschwörungstheorien sind. «Egal, ob es um Macht, Sexualität, Wirtschaft, Religion oder Kunst geht: Die Welt ist dem Untergang geweiht. Schuld daran trägt immer das Judentum» - so lässt sich Hollensteins Weltbild zusammenfassen. «Eines, so wird aus diesen Kritzeleien klar, ist Hollenstein ganz gewiss nicht: eine Mitläuferin, der es bloss um die Karriere geht. Nein, sie identifiziert sich gänzlich mit dem zutiefst antisemitischen Weltbild», schreibt Schedlmayer.
Die Künstlerin starb 1944 an einem Herzinfarkt. Zu ihrem Begräbnis kamen Nazi-Funktionär*innen. Das Buch ist aktueller denn je. Denn auch heute sind viele Menschen hinsichtlich ihrer politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten voller Widersprüche, wie die Autorin betont: «Frauen, die den sexistischen Trump wählen, Schwule, die seinen Wahlkampf unterstützen. Arbeiter, die für eine ihnen schadende Wirtschaftspolitik stimmen.»
Am Dienstag (16. September, 18 Uhr) stellt Nina Schedlmayer ihr Buch «Hitlers queere Künstlerin» im Gespräch mit Sabine Jesner, Forscherin am Wiener Heeresgeschichtlichen Museum, ebendort vor.
Obwohl die LGBTIQ-Community oft mit linken Bewegungen assoziiert wird, zeigen Umfragen und Studien: Ein Teil schwuler Männer fühlt sich von konservativen oder gar rechtspopulistischen Parteien angezogen. Was steckt dahinter – politische Überzeugung, Abgrenzung, persönliche Prägung? (MANNSCHAFT-Story)
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Kommentar
Europa darf Uganda nicht für seinen rigiden Anti-LGBTIQ-Kurs belohnen!
Die niederländische Regierung hat mit Uganda vereinbart, abgelehnte Asylsuchende in das afrikanische Land abzuschieben. Auch Deutschland und Österreichen hegen Sympathien für die Idee. Für queere Menschen ist es eine Horrorvorstellung, schreibt unser Autor in seinem Kommentar.
Von Kriss Rudolph
Queerfeindlichkeit
Politik
Österreich
Deutschland
Mentale Gesundheit
Wenn das Smartphone dein Leben übernimmt
Samuel checkte sein Handy ständig – ohne echten Grund. Grindr, Games, Social Media: alles wurde zum Automatismus. Wie aus Gewohnheit problematisches Verhalten wurde und was ihm geholfen hat, das zu ändern.
Von Greg Zwygart
Soziale Medien
Schwul
Gesundheit
Bühne
«Als Anderssein nicht irritierte, sondern inspirierte»
In seinem neuen Programm «Tanz auf dem Vulkan» taucht Sven Ratzke ein in die verruchten 1920er Jahre der brodelnden Metropole Berlin. An seiner Seite die virtuosen Streicher*innen des renommierten Matangi Quartets.
Von Kriss Rudolph
Geschichte
Queerfeindlichkeit
Musik
Buch
Sie war die gefährlichste Lesbe von Wien
Wanda Kuchwalek bezeichnete sich selbst als «stinkschwul». Sie verbrachte 20 Jahre im Gefängnis wegen brutaler Gewalttaten und Zuhälterei.
Von Christian Höller
Lesbisch
Geschichte
Liebe
Lust
Österreich