Von wegen Trend! Kleine queere Völkerkunde

Eine Einladung, die westliche Brille abzulegen

Kabaka Mwanga: War der letzte König von Bugunda bisexuell?
Kabaka Mwanga: War der letzte König von Bugunda bisexuell? (Bild: Koloniales Bildarchiv Universitätsbibliothek Frankfurt)

LGBTIQ-Identitäten werden heute gerne als «Trend» bezeichnet. Nur: Queere Menschen gab es schon immer – sie hatten in unserer christlich geprägten Gesellschaft einfach keinen Platz. In anderen Kulturen aber schon.

Unsere europäischen Kulturen sind seit Jahrhunderten von einem christlichen Wertesystem geprägt. Die Kirche gab starre Geschlechterrollen vor, die Aufgaben von Mann und Frau waren klar definiert und voneinander abgegrenzt.

Wer von der Norm abwich, wurde von der Gemeinschaft geächtet und in vielen Fällen vom Staat verfolgt. Seit einigen Jahrzehnten weichen wir diese Geschlechterrollen auf, definieren neu, wie wir leben und lieben. Diese wenigen Sätze fassen sehr grob die jüngste Entwicklung der LGBTIQ-Geschichte westlicher Länder zusammen. (Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel steht westlich für «europäisch geprägt» und umfasst europäische Länder, aber auch nordamerikanische Staaten sowie Australien und Neuseeland.)

LGBTIQ-Identitäten werden heute gerne als «Trend» bezeichnet. Nur: Queere Menschen gab es schon immer – sie hatten in unserer christlich geprägten Gesellschaft einfach keinen Platz und waren nicht sichtbar. In anderen Kulturen aber schon.

Werfen wir einen Blick auf einige nicht-europäische Völker und wie LGBTIQ-Menschen dort in der Gemeinschaft eingebettet waren. Hierzu einige Anmerkungen: Es gibt unzählige Beispiele für queere Menschen und Lebensweisen in Kulturen weltweit.

Queere Menschen gab es schon immer – sie hatten in unserer christlich geprägten Gesellschaft einfach keinen Platz.

Die folgenden fünf Beispiele beleuchten Aspekte im heutigen Ägypten, China, Indien sowie in Teilen Nordamerikas und Afrikas. Queere Lebensweisen fanden sich jedoch auch bei den Inkas in Südamerika oder den indigenen Völkern Australiens. Diese Aufzählung erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Historische Überlieferungen konzentrieren sich oft auf zwei Gruppen: Männer und die gesellschaftliche Elite. Deshalb ist in vielen Fällen wenig darüber bekannt, wie Frauen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebten oder wie queere Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten ihren Alltag gestalteten.

Zu guter Letzt:  «Queer» und «LGBTIQ» sind westliche Bezeichnungen, die im Kontext unserer eigenen historischen Entwicklung entstanden sind. In anderen Kulturen wurden solche Kategorien möglicherweise nie entwickelt oder als notwendig erachtet. Stattdessen waren gleichgeschlechtliche Beziehungen und geschlechtsfluides Verhalten oft selbstverständlich in die sozialen Strukturen eingebunden. Legen wir also unsere westliche Brille ab, um in die kulturelle Vielfalt der Menschheit einzutauchen und unsere Vorstellung von Queerness zu erweitern!  

Karte Altes Ägypten

Nianchchnum und Chnumhotep

Westliche Bezeichnung: mögliche schwule Beziehung Zeit: zirka 2400 v. Christus Kultur: Altes Ägypten Heutiges Land: Ägypten

Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen bereits im alten Ägypten gesellschaftlich anerkannt und respektiert waren. Einen möglichen Beweis dafür liefert das gemeinsame Grab von Nianchchnum und Chnumhotep, welches 1964 in Ägypten entdeckt wurde.

Bei den beiden Männern handelt es sich um zwei hochrangige Beamte, die während der 5. Dynastie lebten. Nianchchnum und Chnumhotep dienten beide als «Oberste Maniküristen» oder «Oberste Hofkosmetiker» des Pharaos. In dieser Funktion waren sie dafür verantwortlich, die Nägel des Pharaos zu pflegen – eine Aufgabe, die als heilig galt und daher den höchsten Beamten vorbehalten war. Aufgrund dieser Nähe zum Königshaus gehörten sie zu den einflussreichsten und angesehensten Persönlichkeiten am königlichen Hof.

Ein Bildnis von Niankhkhum und Khnumhotep in ihrem Gemeinschaftsgrab.
Ein Bildnis von Niankhkhum und Khnumhotep in ihrem Gemeinschaftsgrab.

Auf diesen Status lässt ihr Grab schliessen, das sich in der Nekropole von Sakkara befindet, dem Begräbnisort für hochrangige Beamte und Mitglieder des ägyptischen Adels. In den Wandmalereien werden die beiden Männer wiederholt Seite an Seite dargestellt, in einigen Szenen sogar in einem so engen Kontakt, dass sie sich fast zu küssen scheinen.

Sie schienen viele Momente geteilt zu haben, die typischerweise einem verheirateten Paar vorbehalten sind, wie etwa Bankettempfänge und Szenen, in denen sie gemeinsam Opfergaben empfangen. Auf einer besonders berühmten Darstellung verschmelzen ihre beiden Nasenspitzen zu einer, was ein Symbol für ihre enge Bindung sein könnte.

Die Wissenschaft ist uneins über die Beziehung zwischen Nianchchnum und Chnumhotep. Während sie inoffiziell als das älteste homosexuelle Paar gelten, vermuten einige Forschende, dass es sich auch um Brüder, Zwillinge, enge Freunde oder Schwäger handeln könnte.

Im heutigen Ägypten, das homosexuelle Beziehungen kriminalisiert, wird ihr Grab als «Zweibrüdergrab» bezeichnet. Liebespaar hin oder her: Das Grab von Nianchchnum und Chnumhotep beweist, dass enge Beziehungen im Alten Ägypten vielfältig gelebt wurden.

Karte China

Der geteilte Pfirsich

Westliche Bezeichnung: schwule Beziehung Zeit: zwischen 500 v. Christus und dem späten 19. Jahrhundert Kultur: Altes China Heutiges Land: China

In der chinesischen Antike und bis ins späte Kaiserreich war Homosexualität nicht ausdrücklich verboten oder moralisch geächtet. Es gibt historische Berichte über gleichgeschlechtliche Beziehungen, die in der Literatur und in historischen Aufzeichnungen auftauchen, zum Beispiel in der Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und der Tang-Dynastie (618–907 n. Chr.). Diese Beziehungen wurden in einigen Fällen akzeptiert oder zumindest toleriert, besonders unter der Elite.

Prominentestes Beispiel ist die Liebschaft zwischen dem Herzog Ling des Staates Wei mit dem jungen Schönling Mi Zi Xia. Eine berühmte Anekdote, die in den alten Texten erwähnt wird, erzählt von einer Situation, in der Mi Zi Xia eine Pfirsich ass und bemerkte, dass sie besonders süss war. Aus Liebe bot er dem Herzog die andere Hälfte an. Diese Geste wurde später als «Die Gunst des geteilten Pfirsichs» bekannt und gilt bis heute als Bezeichnung für schwule Beziehungen.

Geschichten über gleichgeschlechtliche Liebe waren in der Literatur der Song- (960–1279) und Ming-Dynastie (1368–1644) sehr beliebt und wurden oft in Romanen, Gedichten und Theaterstücken dargestellt. In der klassischen chinesischen Literatur wurden diese Geschichten oft in einem positiven Licht präsentiert und waren ein akzeptierter Teil der Literatur und Kultur. 

Zwei Männer beim Liebesakt. Gemälde aus der Qing-Dynastie, 18. Jahrhundert.
Zwei Männer beim Liebesakt. Gemälde aus der Qing-Dynastie, 18. Jahrhundert

Die gesellschaftliche Ächtung und institutionelle Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen begannen erst mit dem zunehmenden Einfluss westlicher Ideologien und des Christentums.

Mit der Gründung der Volksrepublik China unter der Kommunistischen Partei Chinas wurde eine konservativere Haltung in Bezug auf Sexualität und persönliche Beziehungen eingeführt.

Die Partei förderte traditionelle Familienstrukturen als Grundpfeiler des sozialistischen Staates und betrachtete Homosexualität als unvereinbar mit sozialistischen Werten. Mit einem Sittengesetz wurden homosexuelle Handlungen zwischen Männern von 1979 bis 1997 unter Strafe gestellt.

Karte Indien

Aravan und Krishna

Westliche Bezeichnung: schwule Beziehung/trans Identität Zeit: zwischen 400 v. und 400 n. Christus Kultur: Indische Mythologie Heutiges Land: Indien

Aravan und Krishna sind Figuren aus der indischen Mythologie, deren Geschichte eng mit dem bekanntesten indischen Epos «Mahabharata» verknüpft ist. Krishna ist eine der wichtigsten Gottheiten im Hinduismus, bekannt für seine Rolle als Beschützer, Ratgeber, Vermittler und als göttlicher Liebhaber.

Eine Statute von Aravan in einem hinduistischen Tempel.
Eine Statute von Aravan in einem hinduistischen Tempel.

Seine Taten und Abenteuer, sowohl als Kind als auch als Erwachsener, sind zentral für viele hinduistische Erzählungen. Aravan (auch Iravan genannt) ist der Sohn des grossen Kriegers Arjuna aus der legendären Pandavas-Familie.

Vor einer grossen Schlacht wird den Pandavas von einem göttlichen Orakel mitgeteilt, dass sie ein grosses Opfer bringen müssen, um den Krieg zu gewinnen. Aravan meldet sich freiwillig, stellt jedoch eine Bedingung: Er möchte vor seinem Tod heiraten und eine Nacht als verheirateter Mann erleben. Dies stellt die Pandavas vor ein Dilemma, da niemand bereit ist, einen Tod-geweihten Mann zu heiraten.

Um Aravans letzten Wunsch zu erfüllen, nimmt Krishna die Form der Göttin Mohini an. Er heiratet Aravan und verbringt die Nacht mit ihm. Nach der Erfüllung seines letzten Wunsches opfert sich Aravan für den Sieg der Pandavas – die Tat gilt als Akt grösster Hingabe und Tapferkeit. Nach Aravans Tod nimmt Krishna (in der Form von Mohini) die Rolle der trauernden Witwe ein. Diese Darstellung ist in der hinduistischen Mythologie einzigartig und symbolisiert die tiefe Hingabe, die Krishna für einen sterblichen Krieger wie Aravan zeigt.

Die Geschichte von Aravan und Krishna hat eine besondere Bedeutung in Südindien, insbesondere in der Region Tamil Nadu. Sie wird während des jährlichen «Koovagam»-Festivals gefeiert, das Aravan zu Ehren abgehalten wird. Während dieses Festivals nehmen viele Hijras (Mitglieder des dritten Geschlechts, im Westen als trans oder inter Menschen bezeichnet) und andere gender-nonkonforme Menschen an den Feierlichkeiten teil und vollziehen symbolische Hochzeitsrituale mit Aravan. 

Karte Afrika

«Female Husbands» und der bisexuelle König

Westliche Bezeichnung: nicht-binär, gleichgeschlechtliche Beziehungen Zeit: bis zur Kolonialisierung Kultur: Indigene Bevölkerung in Afrika Heutige Länder: Angola, Äthiopien, Südafrika, Kenia, Nigeria, Uganda

In vielen afrikanischen Ländern gilt heute die Devise, Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit sei «unafrikanisch». Ein Blick auf die Geschichte zeigt jedoch, dass vielfältige sexuelle Orientierungen und Identitäten in mehreren indigenen Völkern existierten. Hierzu vier Beispiele:

Chibados Vor der Ankunft der Kolonialmächte gab es bei einigen Völkern Männer, die Frauenrollen übernahmen und teilweise auch ihre Kleidung trugen. In der vorkolonialen Gemeinschaft der Mbundu (im heutigen Angola) hiessen sie Chibados und waren hoch angesehen. Sie nahmen oft an traditionellen Ritualen teil und waren in der spirituellen Praxis aktiv. Ähnlich wie die Chibados waren die Ashtime in der Gemeinschaft der Konso (im heutigen Äthiopien).

Sangoma Bei den Zulu und Xhosa im heutigen Südafrika übernehmen die Sangoma traditionell heilende und spirituell führende Aufgaben. Unter ihnen gab und gibt es auch heute noch oft Menschen, die sich ausserhalb des binären Spektrums bewegen oder die Rolle des anderen Geschlechts übernehmen. Die Fähigkeit, zwischen den Geschlechtern zu wechseln oder eine Identität ausserhalb des binären Geschlechtermodells anzunehmen, gilt in einigen Gemeinschaften als Zeichen spiritueller Macht und besonderer Verbindung zu den Ahnen.

«Female Husbands» In der Igbo-Kultur Nigerias und in den Kikuyu- und Nandi-Kulturen Kenias sowie in anderen Teilen Afrikas existierte die Praxis von «Female Husbands». Diese Praxis beinhaltete, dass eine Frau eine andere Frau heiratete und die soziale Rolle eines Mannes annahm.

Diese Beziehungen waren sozial und auch wirtschaftlich motiviert, etwa um den Fortbestand der Familie zu sichern oder Erbrecht zu regeln. «Female Husbands» genossen oft die gleichen sozialen Privilegien wie männliche Ehemänner, einschliesslich der Möglichkeit, eine Familie zu führen und Besitz zu erben. 

König  Mwanga II. von Buganda
König Mwanga II. von Buganda

Der bisexuelle König Mwanga II. (1868–1903) war der Herrscher des Königreichs Buganda (im heutigen Uganda) und hatte 17 Ehefrauen sowie männliche Geliebte. Besonders berüchtigt ist er für die Hinrichtung der Märtyrer von Uganda, einer Gruppe von christlichen Konvertiten, die sich weigerten, seinen sexuellen Annäherungsversuchen nachzukommen.

Darüber hinaus weigerten sie sich, den christlichen Glauben zu verleugnen und dem König die absolute Treue zu schwören, was Mwanga als Bedrohung für seine Macht und seine traditionellen Werte betrachtete. Diese Ablehnung führte dazu, dass Mwanga insgesamt 45 Konvertiten hinrichten liess. Sie wurden später von der katholischen und der anglikanischen Kirche heiliggesprochen.

Karte Nordamerika

Two-Spirits

Westliche Bezeichnung: LGBTIQ Zeit: bis ins frühe 16. Jahrhundert, ab 1990 Kultur: Indigene Bevölkerung in Nordamerika Heutige Länder: USA / Kanada

Two-Spirits ist eine relativ neue Bezeichnung, die von indigenen Kulturen Nordamerikas verwendet wird. Sie wird als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen verwendet, die in verschiedenen indigenen Kulturen Nordamerikas schon seit Jahrhunderten existieren.

In über 150 Völkern gibt es historisch belegte Bezeichnungen für Menschen, die in die Kategorie Two-Spirits fallen. Diese Begriffe und ihre Bedeutung variierten von Volk zu Volk. Die Lakota verwendeten beispielsweise den Begriff «winkte», die Navajo «nádleehi», die Zuni «lhamana» und die Ojibwa «niizh manidoowag». 

We’wha

Two-Spirits nahmen oft spirituelle, heilende, beratende, vermittelnde und führende Rollen ein und waren auch Künstler*innen oder Schaman*innen. Ihre Fähigkeit, die Perspektiven beider Geschlechter zu verstehen, wurde als grosse Gabe angesehen und gab ihnen eine einzigartige Position innerhalb der Gemeinschaft. Sie konnten sowohl «männliche» als auch «weibliche» Aufgaben übernehmen, wie Jagen und Kriegsführung oder Hausarbeit und Kinderbetreuung, je nach ihrer individuellen Identität und den Bedürfnissen der Gruppe.

Dies änderte sich drastisch mit der Kolonialisierung Nordamerikas. Europäische Kolonialmächte und Missionare brachten strikte binäre Geschlechternormen und christliche Werte mit sich, die viele indigene Traditionen, einschliesslich der Akzeptanz von Two-Spirits, unterdrückten.

Sie wurden oft stigmatisiert, verfolgt und gezwungen, sich den neuen Normen anzupassen. In den letzten Jahrzehnten haben viele indigene Gemeinschaften auf eine Wiederherstellung der Werte und Praktiken der Two-Spirits hingearbeitet. Der Begriff wurde 1990 bei einer intertribalen Konferenz im kanadischen Winnipeg eingeführt, um eine eigene Identität jenseits westlicher LGBTIQ-Kategorien zu definieren.

Abgebildet ist We’wha vom Volk der Zuni. We’wha gilt als bekanntestes Mitglied der Lhamana, die heute unter den Begriff Two-Spirits fallen würden. We’wha verfügte über gute Englischkenntnisse und trug zur Überlieferung von Wissen über die Zuni bei. We’wha lebte ungefähr von 1849–1896.

Sie hat gerade den Lauf ihres Lebens. Die Single «Padam Padam» katapultierte Kylie Minogue zurück in höchste Chartregionen. Plötzlich ist die australische Popveteranin wieder cool und angesagt. Wir treffen sie in London (zum Interview).

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