«Trans sein ist weder Hype noch Trend»

Henri Maximilian Jakobs 
ist Musiker und Autor in Deutschland.  (Bild: Sophia Emmerich)
Henri Maximilian Jakobs 
ist Musiker und Autor in Deutschland. (Bild: Sophia Emmerich)

Am 31. März feiern trans Menschen weltweit den Transgender Day of Visibility (TDoV), damit sie gesehen werden, nicht übersehen. Wir haben bei vier Vereinen nachgefragt, einer «Miss Germany»-Teilnehmerin, einer RTL-Dschungelcamperin, einer Aktivistin, einem Autor und zwei Politikern, was ihnen der Tag bedeutet.

Von: Julia Monro

Sehen und gesehen werden. Das sind Grundbedürfnisse des Menschen. Wir alle streben danach zu sehen und gesehen zu werden, weil wir uns so mit anderen Menschen verbinden können. Weil wir so die Möglichkeit bekommen dazuzugehören.

Trans Personen werden häufig übersehen. Sie ringen um Teilhabe, erkämpfen sich Privilegien. Ihre Sichtbarkeit ist nicht selbstverständlich. Es handelt sich nach einer Studie des Williams Institute in den USA um eine Minderheit von rund 0,6 % der Bevölkerung. Eine so verschwindend geringe Gruppe wird leicht übersehen und leicht vergessen. Um dem entgegenzuwirken, feiern trans Personen jedes Jahr am 31. März weltweit den Tag der Sichbarkeit. Den Transgender Day of Visibility.

Nicht die Toten bedauern, sich an den Lebenden freuen Seine Geschichte beginnt am 26. März 2009 in Michigan. Die trans Aktivistin Rachel Crandall kämpft für die Sichtbarkeit von trans Menschen innerhalb der damaligen LGBTIQ-Community. Weil es bis dahin nur einen traurigen Tag für trans Personen gegeben hat: den sogenannten TDoR, den Trans Day of Remembrance, welcher jährlich im November an die Todesopfer von transfeindlicher Gewalt erinnern soll. Rachel ist nach diesem Gedenktag oft wochenlang deprimiert und wünscht sich einen positiven Gegenpol. Sie möchte nicht mehr die Toten betrauern, sie möchte sich an den Lebenden erfreuen, sie zelebrieren und ihnen eine Stimme verleihen.

Im März 2009 ergreift Rachel schliesslich selbst die Initiative. Bei Facebook startet sie einen Aufruf und verschickt ihre Idee rund um den Globus. Sie ermutigt andere dazu sich in ihren Städten zu zeigen. Sie sollen auf die Strassen gehen und Festlichkeiten abhalten. Sie selbst organisiert eine Veranstaltung etwas ausserhalb von Detroit. Sie weiss nicht, ob jemand kommen wird, um ihrem Aufruf zu folgen oder eine eigene Veranstaltung zu organisieren. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht? Doch viele Menschen folgen ihrem Aufruf. Seitdem verbreitet sich dieser Feiertag in der ganzen Welt und stärkt von Jahr zu Jahr die mutige trans Community.

Heute sind es Millionen Menschen weltweit. Für trans Personen ist dieser Tag kaum noch wegzudenken. Sie führen eigene Veranstaltungen durch, organisieren politische Debatten, hissen Fahnen an Rathäusern und laufen fahnenschwenkend in Pink, Blau und Weiss durch die Strassen. So als wollten sie der ganzen Welt zeigen «Wir sind hier. Wir sind viele.» Vor allem aber ist es ein Signal an andere trans Personen: «DU bist nicht alleine!» Sie demonstrieren für Gemeinschaft und Zusammenhalt. Dass niemand für sich allein diesen Weg gehen muss. Die Community ist ein Ort, wo man Kraft tanken kann.

Warum es diesen Tag braucht Doch im Fokus dieser Sichtbarkeit steht die Sensibilisierung – oftmals geht das nicht ohne den traurigen Bezug dazu, warum es diesen Tag braucht. Deshalb wollen sie sensibilisieren und aufmerksam machen auf ihre Situation. Darauf, wie Politik und Gesellschaft mit ihnen umgehen. Noch immer werden trans Personen Opfer von Gewalt. Im vergangenen Jahr wurden 327 getötete trans Personen gemeldet. 95 % der Opfer waren trans weiblich. 65 % waren trans Personen of Color. 48 % waren in der Sexarbeit tätig. Und hier ist lediglich von den Zahlen die Rede, die offiziell erfasst wurden. Die Dunkelziffern mag man sich gar nicht vorstellen.

Organisationen und trans Aktivist*innen machen sich deshalb stark. Mit mahnenden Worten erinnern sie am TDoV daran, wie ihre Lebensrealität aussieht, und machen auf Missstände aufmerksam. Vier national tätige Vereine beschreiben die Bedeutung dieses Feiertages. Der Queerbeauftragte der deutschen Bundesregierung und fünf trans Personen erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen und Wünschen. Das Thema Sichtbarkeit bewegt sie alle.

Henri Maximilian Jakobs Er ist Musiker und Autor in Deutschland. Für ihn ist der Transgender Day of Visibility «wichtig, um Sichtbarkeit zu bündeln, sie dadurch eindrücklicher zu machen und ihr Reichweite zu verleihen.

Transsein ist weder Hype noch Trend, sondern schlicht und einfach die Wirklichkeit einiger Menschen

Manchmal muss man der Gesellschaft unsere Realität ein bisschen unter die Nase reiben, um sie bei ihr ankommen zu lassen. Transsein ist weder Hype noch Trend, sondern schlicht und einfach die Wirklichkeit einiger Menschen.»

Henri Maximilian Jakobs (Bild: Sophia Emmerich)
Henri Maximilian Jakobs (Bild: Sophia Emmerich)

Sven Lehmann Er ist der erste Queerbeauftragte der deutschen Bundesregierung und macht sich für die Abschaffung des veralteten Transsexuellengesetzes (TSG) stark, um es durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen.

Gebt nicht auf, sucht euch Verbündete und besteht auf euer Recht, sicher zu leben

«Generell gibt es in den letzten Jahren eine zunehmende Sichtbarkeit von trans Personen und zu Recht fordern sie etwa in der Debatte um das Selbst­bestimmungsgesetz Respekt, Anerkennung und Teilhabe ein. Diese Sichtbarkeit kann zum einen andere trans Personen empowern und ermutigen, zum anderen auch cisgeschlechtliche Menschen zu Alliierten machen und dazu beitragen, dass die Welt transfreundlicher wird.

Sven Lehmann Queerbeauftragter der deutschen Bundesregierung (Bild: Cornelis Gollhardt)
Sven Lehmann Queerbeauftragter der deutschen Bundesregierung (Bild: Cornelis Gollhardt)

Transfeindliche Menschen negieren oft die Existenz von trans Menschen oder verweigern ihnen eine Anerkennung als gleichwertig. Es geht ihnen gerade darum, dass trans Menschen unsichtbar bleiben, um vorherrschende Geschlechternormen aufrechtzuerhalten und gewaltsam durchzusetzen. Wenn dann etwa der Status quo in Frage gestellt wird, sie Widerspruch erfahren und die Deutungshoheit zu verlieren drohen, fühlen sie sich provoziert und ihre Transfeindlichkeit entlädt sich. Die Konsequenz daraus darf doch aber nicht sein, dass trans Menschen deshalb auf ein offenes Leben und eine gleichberechtigte Teilhabe verzichten. Denn klar ist auch: Unsichtbarkeit und Verstecken machen krank und garantieren auch keinen Schutz vor Diskriminierung und Gewalt.

Als Queer-Beauftragtem der Bundesregierung geht es mir um echte Wertschätzung von transgeschlechtlichem Leben als selbstverständlichem Teil unserer vielfältigen Gesellschaft. Hört nicht auf diejenigen, die euch einreden wollen, dass ihr falsch seid oder weniger wert, dass ihr euch schämen oder verstecken solltet. Gebt nicht auf, sucht euch Verbündete und besteht auf euer Recht, offen, sicher und angstfrei zu leben. Ich und viele andere stehen an eurer Seite.»

Adrian Hector …ist der erste offen lebende trans Mann in einem deutschen Landesparlament in Hamburg.

Wenn ich im Raum bin, kann niemand das Thema geschlechtliche Vielfalt ignorieren

«Mir ist es als Abgeordneter wichtig auch als trans Mann sichtbar zu sein, weil ich so im Parlament besser für die Rechte von trans Menschen kämpfen kann. Wenn ich mit im Raum bin, kann niemand mehr das Thema geschlechtliche Vielfalt ignorieren.»

Adrian Hector (Bild: Holger Edmeier)
Adrian Hector (Bild: Holger Edmeier)

Jolina Mennen …ist Influencerin und war zuletzt im RTL-Dschungelcamp.

Ich wünsche mir, dass alle trans Personen ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft werden

«Eigentlich geht es uns ja gar nicht um Sichtbarkeit, sondern wir möchten einfach nur in unserer Geschlechtsidentität ankommen. Dadurch werden wir automatisch in der Gesellschaft sichtbarer. Ich denke, die wenigsten von uns wollen als Paradiesvögel wahrgenommen werden, die ständig auffallen. Stattdessen brauchen wir Plattformen, wo wir für unsere Rechte einstehen können.

Ich nutze meine Reichweite, um über meine persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Dabei ist mir immer wichtig zu betonen, dass es sich um meinen eigenen persönlichen Weg handelt, der bei anderen trans Personen völlig anders aussehen kann. Ich hoffe dadurch als positives Beispiel dienen zu können, was es bedeuten kann, trans zu sein, aber nicht zwingend für alle bedeuten muss.

Jolina Mennen (Bild: ALL IN / Nina Schmiedel)
Jolina Mennen (Bild: ALL IN / Nina Schmiedel)

Dabei finde ich es immer schön Rückmeldungen von anderen trans Personen zu bekommen, dass ich sie mit meiner Sichtbarkeit bestärken und ihnen Hoffnung geben konnte. Anderen Menschen einen Teil der Kraft für die eigene Transition zu liefern, ist für mich ein Gefühl grosser Anerkennung. Wir sind aber gesellschaftlich einfach noch nicht so weit, dass ich meine Vergangenheit einfach hinter mir lassen könnte. Privat erwähne ich gar nicht erst, dass ich trans bin. Aber als Person in der Öffentlichkeit muss ich immer wieder in den sauren Apfel beissen und sagen, dass trans in meinem Leben eine Rolle spielt. Da wünsche ich mir einfach, dass alle trans Personen irgendwann ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sein können, ohne auf trans reduziert zu werden.»

Emma Kohler Auch für junge trans Personen hat der Tag eine grosse Bedeutung. Emma Kohler engagiert sich schon in ihrer Jugend für die Rechte junger trans Personen in Deutschland.

Als cis Person gibt es keine Möglichkeit, neutral zu sein

In einer Petition im Jahr 2021 forderte die damals 17-Jährige die Abschaffung des veralteten TSG, weil sie sich ein selbstbestimmtes Leben wünscht. Fast 90 000 Menschen haben sich mit ihrer Unterschrift an der Petition beteiligt.

(Bild: Emma Kohler)
(Bild: Emma Kohler)

Heute sagt Emma: «Für uns trans Jugendliche ist Sichtbarkeit besonders wichtig. Während alles, was wir wollen, ein diskriminierungsfreies, normales Leben ist, bekommen wir in den Medien, in der Schule und im Privaten nichts als Transfeindlichkeit ab. Und hier gibt es als cis Person keine Möglichkeit, neutral zu bleiben: Entweder akzeptiert man diese Diskriminierung, oder man steht auf unserer Seite und kämpft dagegen an.»

Saskia von Bargen …war trans Teilnehmerin bei der Wahl zur Miss Germany.

Ich glaube, dass wir nur durch Aufklärung und Konfrontation ans Ziel kommen

«Für mich bedeutet dieser Tag, sich sichtbar zu machen für sein Umfeld, und seinen Mitmenschen zu zeigen, was für eine Ungerechtigkeit noch in dieser Welt existiert. Sei es in der Bürokratie oder in der Gesellschaft. Diese Sichtbarkeit versuche ich dauerhaft zu erzeugen, da ich daran glaube, dass wir nur durch Aufklärung und Konfrontation an unser Ziel kommen, damit Transgeschlechtlichkeit kein Thema mehr in der Gesellschaft ist und mit allen Vorurteilen aufgeräumt wird.

Saskia von Bargen (Bild: Melina Hehemeye)
Saskia von Bargen (Bild: Melina Hehemeye)

Das wollte ich durch meine Teilnahme an der Wahl zur Miss Germany erreichen. Wie können wir das in der Zukunft schaffen? Wir müssen die Menschen in ihrem direkten Umfeld, sei es in der Schule oder bei der Arbeit, abholen und direkt über das Thema LGBTIQ sprechen, denn wir sind nun mal in einem Zeitalter, in dem wir jeden Tag mit dem Thema konfrontiert werden, ob in den Medien oder im direkten Umfeld.»

Vier Organisationen über den TDoV

Transgender Network Switzerland (TGNS) ist eine kleine Organisation, die schweizweit überwiegend ehrenamtlich tätig ist. In der Schweiz leistet sie ihren Beitrag zur Sichtbarkeit von trans Personen.

«Tag für Tag müssen wir unsere Existenz rechtfertigen. Wir werden bedroht und sind massiver Gewalt ausgesetzt. Wir werden getötet, weil wir trans sind, wie leider das jüngste Beispiel von der ermordeten Brianna Ghey in England zeigt. Der Transgender Day of Visibility wird so lange wichtig sein, bis solche Dinge nicht mehr geschehen. Gerade in der Schweiz liegt noch viel Arbeit vor uns. Vor kurzem hat sich unsere Regierung gegen die Einführung einer dritten Geschlechtsoption in amtlichen Dokumenten ausgesprochen und verweigert damit vielen nicht- binären trans Personen die Anerkennung mit der Begründung, die Schweiz sei noch nicht so weit. Die Sichtbarkeit von trans Personen zeigt, dass wir existieren und dass wir das Recht auf die Anerkennung unserer Existenz haben. Staatlich und gesellschaftlich. Und dazu kann der TDoV beitragen. Leider ist der TDoV in der Schweiz nicht sehr bekannt und ausserhalb der Community kaum sichtbar.»

TransX kümmert sich um trans Menschen in Österreich und bemüht sich um Awareness in Gesellschaft und Politik:

«Das Thema trans wird heute viel diskutiert. Überwiegend von Menschen, die selbst nicht betroffen sind. Zu oft sind sie uninformiert, unbedacht und oft auch transfeindlich. Viele gehen aktiv gegen uns als kleine marginalisierte Gruppe vor, um uns weiter zu traumatisieren, zu diskriminieren und herabzuwürdigen. Zu oft erfolgreich mit einem medialen Echo. Wir wünschen uns mehr Sensibilisierung in den Medien, so dass sachgerecht mit uns und über uns gesprochen wird.»

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) setzt sich seit 1998 für Akzeptanz in allen Bereichen ein.

«Den Transgender Day of Visibility finden wir sehr wichtig, auch weil die Sicht der Medien auf Menschen wie uns zunehmend von Widerstand gegen Selbstbestimmung bestimmt wird. Mit grosser Sorge beobachten wir die Verbreitung von Desinformationen im Bereich der Gesundheitsversorgung, sowie Hetze in den Medien. Alles zusammen verschärft die strukturelle Benachteiligung von trans Menschen. Mehr Sichtbarkeit hat auch mehr Widerstand zur Folge. Aber das spornt uns nur noch weiter an.»

Der Bundesverband Trans* (BVT*) wurde 2015 als Zusammenschluss von Einzelpersonen, Gruppen, Vereinen und Initiativen auf Regional-, Landes- und Bundesebene gegründet.

«Unser gemeinsames Bestreben ist der Einsatz für geschlechtliche Selbstbestimmung und Vielfalt. Der BVT* engagiert sich für die Menschenrechte im Sinne von Respekt, Anerkennung, Gleichberechtigung, gesellschaftlicher Teilhabe und Gesundheit von trans* bzw. nicht im binären Geschlechtersystem verorteten Personen.

Der Trans Day of Visibility ist ein Feiertag für die trans Communities. Es ist ein Tag, an dem wir Aufmerksamkeit auf trans und nicht-binäre Personen richten und diese feiern. Gleichzeitig schwingt bei der Freude über mehr Sichtbarkeit auch immer eine bittere Note mit. Denn Sichtbarkeit ist gerade für trans Frauen und trans-feminine Personen auch eine Gefahr, insbesondere, wenn sie Rassismus erfahren oder Sexarbeiter*innen sind. 2023 ist Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt immer noch Teil des Alltags zu vieler trans Personen. Das können wir nicht akzeptieren. Das muss sich ändern.»

Leben als trans Mann im Irak – Versteckt unter dem Kopftuch. In Bagdad lebt Romeo in ständiger Unsicherheit. Die allermeiste Zeit muss er Sara sein. Im Irak fürchtet sich die Community sogar vor der eigenen Familie (MANNSCHAFT berichtete).

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren