Gesundheit

«Ich dachte, durch Prep bin ich sicher» – Wie Max an Syphilis erkrankte

Eine der ältesten Geschlechtskrankheiten der Welt will nicht verschwinden

Notaufnahme dpa
Symbolbild

Die Zahl der Syphilis-Infektionen hat in Deutschland im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht: Dem Robert Koch-Institut (RKI) wurden 9.519 Fälle gemeldet – ein Zuwachs von 3,9 Prozent. Wie Max aus Sachsen-Anhalt an Syphilis erkrankte.

Es begann mit Bauchschmerzen. Erst diffus, dann drückend. Mal hier, mal dort. Kurz vor Weihnachten 2023 dachte Max (seinen Nachnamen möchte er nicht im Internet lesen) noch, es sei bloss Verdauung – vielleicht die Ente vom Feiertag. Doch es wurde schlimmer. Schmerzmittel, Kamillentee, Hausmittel – nichts half. Als er am 31. Dezember in der Notaufnahme landete, ahnte er nicht, dass er bald mit einer Diagnose konfrontiert würde, die ihn erschüttern sollte: Syphilis.

«Ich war in einem katholischen Krankenhaus und sagte zur Schwester halb im Scherz, es wundere mich, dass ich bei all den Kreuzen an der Wand noch nicht verbrannt worden sei», erinnert sich Max im Gespräch mit MANNSCHAFT.

Er ist heute 28, lebt in Halle an der Saale, arbeitet im Sozialbereich und spricht offen über etwas, worüber viele in der queeren Community lieber schweigen.

Eine Diagnose mit Stigma Die Symptome passten zu vielem, aber nicht sofort zu Syphilis. Ärzt*innen vermuteten zunächst eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Max’ Leberwerte waren schlecht, die Nieren angeschlagen, sein Körper am Limit. Erst als ein Arzt nach Medikamenten fragte, erwähnte Max seine Prep – die HIV-Vorsorge, die ihn eigentlich schützen sollte.

«Er fragte mich, warum ich überhaupt Kontakt mit HIV-positiven Menschen hätte», erzählt Max. «Ich fand das homophob. Er hatte keine Ahnung, wie schwules Leben funktioniert.»

Schliesslich wurde ein Syphilis-Test gemacht. Drei Tage lang wartete Max auf das Ergebnis. Er schrieb in dieser Zeit eine Liste mit allen Sexualkontakten der letzten Monate – eine demütigende Aufgabe, wie er sagt.

«Ich war damals auch Escort, war in Barcelona, Berlin, in Darkrooms unterwegs. Ich dachte, durch die Prep bin ich sicher. Viel passieren kann ja nicht.»

Dann kam der Anruf: positiv. Drei Injektionen Penicillin sollten die Infektion bekämpfen. Nach der ersten bekam er hohes Fieber, über 40 Grad. Er schwitzte, fror, machte Wadenwickel. Danach ging es langsam bergauf.

Mehr Fälle, weniger Wissen

Syphilis gehört zu den ältesten Geschlechtskrankheiten der Welt – und sie ist längst nicht verschwunden. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) wurden 2024 deutschlandweit rund 11,2 Fälle pro 100'000 Einwohner*innen registriert. Im Bundesland Sachsen-Anhalt lag die Inzidenz zwar niedriger (6,7 Fälle), doch die Entwicklung in der Stadt Halle sticht hervor: 36 gemeldete Infektionen – ein Anstieg um 56 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

«In Sachsen-Anhalt sehen wir insgesamt weiterhin niedrige Fallzahlen, punktuell – etwa in Halle – aber Zuwächse, die wir genau beobachten«, sagte Sven Warminsky, Landesgeschäftsführer der Aids-Hilfe Sachsen-Anhalt, gegenüber MANNSCHAFT.

Er verweist auf mehr Tests und verändertes Sexualverhalten als Ursachen: «Mehr Tests führen zu mehr Diagnosen. Das ist grundsätzlich positiv, weil Infektionen früher entdeckt und Infektionsketten unterbrochen werden. Gleichzeitig verändert sich Sexualverhalten, weshalb Aufklärung und Prävention weiter wichtig bleiben.»

Vor Ort klingt die Lage weniger alarmierend. Martin Thiele, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Halle/Sachsen-Anhalt Süd e. V., bestätigte gegenüber MANNSCHAFT zwar eine grössere Aufmerksamkeit für sexuell übertragbare Infektionen, aber keine auffällige Häufung.

«Bei uns fallen Testungen auf Syphilis nur in ganz seltenen Fällen reaktiv aus. Auch das Gesundheitsamt stellt keine Tendenz zum Anstieg fest. Bisher scheinen wir in Halle und im südlichen Sachsen-Anhalt vom Bundestrend verschont.»

Die Aids-Hilfe Halle bietet umfassende Beratungs- und Testangebote: «Dazu gehört auch, Sexualität angst- und schamfrei zu thematisieren», sagt Thiele.

In seiner Arbeit erlebt Thiele immer wieder, wie tief verankert moralische Vorstellungen über Sexualität sind.

«Im Zusammenhang mit sexuell übertragbaren Infektionen begegnet uns häufig das Ressentiment, dass diese besonders Menschen treffen, die vermeintlich ‚zu viel‘ Sex haben oder unverantwortlich leben», sagt er. «Dabei gehören solche Infektionen zum Sex wie der Schnupfen zum Winter – statistisch gesehen infiziert sich jede Person mindestens einmal im Leben mit einer sexuell übertragbaren Krankheit.»

Ein wichtiger Faktor sei dabei die HIV-Prep: Sie biete einen sicheren Schutz vor HIV, senke aber oft die Hemmschwelle für ungeschützten Sex. Gleichzeitig seien Prep-Nutzer*innen engmaschig in medizinische Betreuung eingebunden, was zu mehr Diagnosen führe.

«Kurzfristig steigen die Fallzahlen, weil wir mehr wissen. Mittel- und langfristig wird das helfen, Infektionsketten früh zu durchbrechen», so Thiele.

Auf der Arbeit erzählte Max niemandem die Wahrheit. «Ich sagte, ich hätte Drüsenfieber – was zumindest einige Symptome erklärte», sagt er. «Ich wollte nicht, dass jemand denkt, ich sei leichtsinnig.»

Das Krankenhaus selbst habe ihn traumatisiert: Schlaflosigkeit, Angst, das Gefühl, beobachtet und bewertet zu werden. Wochen später riet ihm jemand, eine Psychologin aufzusuchen. Er lehnte ab, setzte lieber alles ab, was er an pflanzlichen Mitteln nahm, und beschloss, seinem Körper eine Pause zu gönnen – kein Alkohol, keine Drogen, zwei Monate lang.

«Langsam ging es wieder aufwärts», sagt er. «Aber ich habe viel gelernt. Vor allem, wie verletzlich man ist, wenn man denkt, man ist unbesiegbar.»

Für Warminsky ist klar: Aufklärung und niedrigschwellige Angebote müssen sichtbarer werden.

«Die eigentliche Präventionsarbeit im Land leisten die Aidshilfen – mit persönlicher Ansprache, Aufklärung, Beratung und Testung», sagte er gegenüber MANNSCHAFT. «Grossflächige Kampagnen, wie es sie früher von der BZgA gab, gibt es heute kaum noch. Das hinterlässt gerade in kleineren Städten eine Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung.»

Und er fügt hinzu: «Wir brauchen eine Kultur der Offenheit – unabhängig vom Wohnort. Wer über Sexualität reden kann, kann sich auch schützen.»

Max nickt, als er das hört. Er hat seine Lektion auf die harte Tour gelernt. Heute spricht er offen über seine Erfahrung – ohne Scham. «Es ist nur eine Infektion», sagt er. «Kein Urteil über den eigenen Wert.»

Die Opferhilfe-Organisation Weisser Ring will auch queere Opfer von Gewalttaten unterstützen, doch es melden sich keine (MANNSCHAFT berichtete).

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