«Alle zehn Minuten eine Beleidigung»: Besserer Schutz für queere Opfer von Gewalt
Die Opferhilfe-Organisation Weisser Ring will auch queere Opfer von Gewalttaten unterstützen, doch es melden sich keine. Bei einem Fachgespräch in Mainz ging es um Sichtbarkeit, Sensibilität, besseren Schutz und Hilfsmöglichkeiten.
Immer wieder das Gefühl: Du gehörst nicht dazu, du bist ein Problem. Dabei ist der Wunsch stark, mitzumachen und mitzugestalten. So beschreiben queere Menschen, was sie tagtäglich erleben. «Ich bin nicht gut genug, oder too much. Das ist es, was man mir häufig beigebracht hat», berichtet Janboris Ann-Kathrin Rätz bei einem Fachgespräch des Weissen Rings zum Thema queere Opfer in Mainz.
Dazu kommen Beschimpfungen und Beleidigungen, Anfeindungen und Angriffe bis hin zu Morddrohungen – vor allem im Internet. Aber nicht nur dort.
Janboris – aus dem TV bekannt – findet nach eigener Darstellung auf den Social Media Accounts alle zehn Minuten «eine neue Ladung» von Beleidigungen. «Ich schaffe es nicht mehr, da hinterher zukommen, anzuzeigen und zu melden, weil es zu viel ist.»
Der Weisse Ring will auch queere Opfer unterstützen «Das Internet ist nur der Brandbeschleuniger», stellt der Queerbeauftragte der Landesregierung, Janosch Littig, fest. Und «eine Radikalisierungsmaschine», ergänzt die Landesvorsitzende des Weissen Rings, die SPD-Landeschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die auch queere Opfer unterstützen will.
«Ich bin 48 Jahre alt und irgendwie durchgekommen, habe mir eine gewisse Resilienz erarbeitet», berichtet Janboris – trotz einer «unfassbaren Diskriminierung, unfassbarem Leid und einer grossen Last». Aber insbesondere Jugendliche und junge Menschen, die nicht der vermeintlichen Norm entsprächen, hätten es oft unglaublich schwer.
Diskriminierung, Anfeindungen und Gewalt sind allgegenwärtig Eine Mutter berichtet aus der Schule, dass ihr nicht-binäres Kind immer wieder von Lehrpersonen gefragt worden sei, ob es denn nun ein Junge oder ein Mädchen sei. Eine schlabbrige Badehose im Schwimmunterricht sei dem Kind verboten und ein Badeanzug zur Pflicht gemacht worden. Eine Toilette und ein Umkleideraum für alle seien selbst im Neubau der Schule kein Thema, und das «in Zeiten, in denen man längst ‹divers› im Pass als Geschlecht eintragen lassen kann».
«Mir ist auf der Strasse, auf der Gass' noch nichts Schlimmes passiert», berichtet Janboris. Allerdings: «Ich bin schon beleidigt worden, ich bin schon angespuckt und beworfen worden mit Sachen.»
Andere hätten aber viel Schlimmeres erfahren. «Ich weiss von Menschen, die physische Gewalt erlebt haben, die geschlagen wurden – einfach so out of the blue – ins Gesicht geschlagen wurden, weil sie so aussehen, wie sie aussehen, weil sie so sind, wie sie sind», berichtet Janboris. «Das finde ich noch mal eine Stufe höher. Aber natürlich ist auch jedes Hinterherzischeln nicht schön.»
Queerbeauftragte Littig spricht von einem riesigen Dunkelfeld Wo finden diese Menschen Hilfe? Bei der im Mai 2023 eröffneten Fachberatungsstelle «Quint*» für queere Menschen mit Gewalterfahrung in Rheinland-Pfalz meldeten sich von Jahr zu Jahr mehr Menschen, berichtet Littig. Die Zahlen queerfeindlicher Übergriffe stiegen stetig.
Im Jahr 2022 seien laut Kriminalpolizeilichem Meldedienst 29 Fälle gemeldet worden. 2024 seien es schon 80 und in diesem Jahr weit über 100 gewesen. Und trotzdem: «Die Dunkelziffer liegt bei 90 Prozent oder mehr», sagt der Grünen-Politiker und Staatssekretär im Integrationsministerium. Dies werde von einem «unglaublichen gesellschaftlichen Rollback» noch unterstützt. «Das Unsagbare ist sagbar und das Untubare tubar geworden.»
Bei den 27 Beratungsstellen des Weissen Rings in Rheinland-Pfalz mit ihren rund 200 ehrenamtlichen Mitarbeitenden haben sich laut einer Abfrage bisher keine queeren Opfer gemeldet. «Die Sensibilisierung – auch staatlicher Stellen – ist für uns zentral», sagt Janboris. Auch die Berater*innen müssten divers sein, damit sich mehr gesellschaftliche Gruppen angesprochen fühlten. Es gehe dabei auch um «die Gefahr, zum Vorzeigeopfer zu werden».
Sensibilisierung fängt bei der Sprache an – «Zeichen setzen!» Die Sensibilisierung fange schon bei der Sprache und den Plakaten des Weissen Rings an: «Statt jeder kann Opfer werden» schlägt Janboris vor: «Alle können Opfer werden».
Queere Menschen, die so oft die Erfahrung machten, nicht ernst genommen zu werden, checkten genau ab, ob das eine Organisation ist, die sie ernst nehme oder nicht, ergänzt Joachim Schulte von Verein QueerNet Rheinland-Pfalz. «Proaktiv Zeichen setzen!», lautet seine Empfehlung.
Text: Ira Schaible, dpa
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