Stärker als das Verbot: Grösste Pride in Budapest seit 30 Jahren
Mit einem verschärften homophoben Kurs wollte der rechtspopulistische Regierungschef bei den Wähler*innen punkten. Das polizeiliche Verbot der Pride-Parade dürfte aber eher nach hinten losgegangen sein.
Trotz eines von Ministerpräsident Viktor Orban veranlassten Verbots sind Menschen in nie zuvor gesehener Zahl für die Rechte sexueller Minderheiten durch Budapest gezogen. Die Veranstalter*innen sprachen von 200'000 Teilnehmenden der 30. Budapester Pride-Parade. Medien nannten eine Zahl von mindestens 100'000. Es war die grösste Pride in 30 Jahren und eine der machtvollsten Kundgebungen in der modernen Geschichte Ungarns.
Der Rechtspopulist Orban hatte im Zuge einer homophoben Kampagne Gesetze und auch die Verfassung geändert und auf dieser Grundlage ein polizeiliches Verbot der Veranstaltung erwirkt.
Budapests liberaler Oberbürgermeister Gergely Karacsony hatte sich von Anfang an gegen das Verbot gestellt, die Pride zur offiziellen Feier der Stadt Budapest erklärt und die Machtprobe mit Orban herausgefordert.
Am Samstag ging er mit anderen oppositionellen Politker*innen an der Spitze des bunten Umzugs, den Regenbogen- und Europafahnen dominierten. «Euch sieht man nicht an, dass man euch verboten hätte», rief er in seiner Ansprache in die Menge. «Ihr habt der aufgeblasenen, hasserfüllten Regierungsmacht den Stinkefinger gezeigt.»
Dem Umzug schlossen sich rund 70 Europaabgeordnete an, unter ihnen der deutsche Grünen-Abgeordnete Daniel Freund sowie die Bürgermeister*innen mehrerer europäischen Städte. Auch die EU-Kommissarin für Gleichberechtigung, Hadja Lahbib, nahm daran teil. Internationale Unterstützung gab es unter anderem von der Hosi Wien und der Vienna Pride (MANNSCHAFT berichtete).
Grösster LGBTIQ-Umzug in 30 Jahren Als Karacsony am Donaukai vor der Technischen Universität zu sprechen begann, stauten sich die Menschen immer noch bis zu dem 1,6 Kilometer entfernten Pester Brückenkopf der Elisabeth-Brücke zurück, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur beobachtete.
Zugleich schlossen sich ihr zahllose Ungar*innen an, die selbst keiner sexuellen Minderheit angehören, aber die Minderheiten ausgrenzende Politik Orbans satthaben. Der 33-jährige Kristof erschien etwa mit einem Hemd, auf dem, umrahmt von ungarischen Volkskunst-Ornamenten, der Satz aufgestickt war: «Ich möchte in meinem eigenen Land zu Hause sein.» Seine Freundin Kiki (30) erklärte das so: «Wir sind zum ersten Mal bei der Pride. Wir wollen, dass dieser Hass gegen Menschen, die anders sind, aufhört.» Sie selbst seien derzeit nicht davon betroffen, fügte Kristof hinzu. «Aber wir könnten die nächsten sein.»
«Wir sind zum ersten Mal bei der Pride. Wir wollen, dass dieser Hass gegen Menschen, die anders sind, aufhört.»
Bis zum Beginn des Umzugs hing über den Teilnehmenden das Damoklesschwert einer Bestrafung wegen der Teilnahme an einer «illegalen» Kundgebung. Karacsony hatte zwar durch die «Adoption» der Pride als Feier der Staat Budapest einem Verbot die Grundlage entzogen – kommunale und staatliche Veranstaltungen unterliegen in Ungarn nicht dem Versammlungsgesetz.
Die Orban-treue Polizeiführung hatte die Pride dennoch verboten. Sie bezog sich auf das vor einigen Wochen novellierte Versammlungsgesetz, das die Untersagung von Kundgebungen ermöglicht, die den «Kinderschutz» unterlaufen – indem sie etwa Lebensformen und sexuelle Verhaltensformen sichtbar machen, die nicht der vermeintlichen Norm entsprechen. Eine eigene Verfassungsänderung sollte die Gesetzesnovelle noch zusätzlich absichern.
Die Orban-Regierung drohte im Vorfeld der Pride mit hohen Geldstrafen und den Organisator*innen mit Gefängnis. Es war befürchtet worden, dass die Polizei Kundgebungsteilnehmer anhalten und anzeigen würde. Dies trat allerdings – nach bisherigem Wissensstand – nicht ein.
Polizisten und ihre Fahrzeuge waren in grösserer Zahl lediglich im Hintergrund und in Nebengassen zu sehen. Die Beamten hielten ausserdem eine kleine Zahl rechtsextremer Gegendemonstranten davon ab, sich dem Umzug in den Weg zu stellen. Oberbürgermeister Karacsony dankte in seiner Ansprache der Polizei für ihr korrektes Vorgehen.
Gesichtsverlust für Regierungschef Orban steht innenpolitisch unter grossem Druck. Mit dem ehemaligen Regierungs-Insider Peter Magyar ist ihm ein wortgewaltiger und mehr als ebenbürtiger Herausforderer erwachsen, der ihn bei der nächsten Parlamentswahl im Frühjahr 2026 schlagen könnte. Mit der Verschärfung seines homophoben Kurses dürfte sich der Rechtspopulist einen Zugewinn an Popularität in einer breiteren, eher traditionalistisch eingestellten Bevölkerung erhofft haben.
Noch im Februar hatte Orban vollmundig verkündet, die Pride-Organisator*innen könnten sich in diesem Jahr «Geld und Energie sparen», es werde keine Pride geben (MANNSCHAFT berichtete). Dass der Umzug nun trotz polizeilichen Verbots mit einer Rekordbeteiligung anstandslos über die Bühne ging, ist für ihn ein herber Gesichtsverlust.
Herausforderer Magyar, der darauf schielt, Orban möglichst viele auch konservativ gestimmte Wähler abspenstig zu machen, hielt sich in der Pride-Frage bislang bedeckt. Als Reaktion auf den gelungenen Umzug hielt er jedoch mit Hohn und Spott für Orban nicht zurück: «Mit dem versuchten Verbot der heutigen Veranstaltung hat er kein Tor, sondern sich selbst ein mächtiges Eigentor geschossen», schrieb er auf seiner Facebook-Seite.
Text: Gregor Mayer, dpa
Mehr: Leg dir schon mal die Regenbogenfahne zurecht und trag dir deine Lieblingstermine ein: Hier findest du eine Übersicht aller Pride- und CSD-Termine im deutschsprachigen Raum. (MANNSCHAFT berichtete)
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