«Skandalös»: Kritik an fehlendem Schutz für queere Geflüchtete

Berlin hatte Aushebelung des Asylsystems zugestimmt

Symbolbild
Foto: AdobeStock (Bild: AdobeStock)

Am Donnerstag haben die EU-Mitgliedstaaten einer Asylrechtsverschärfung zugestimmt. Der LSVD ist entsetzt über die Entscheidung.

Unter anderem sollen Geflüchtete in vermeintlich sichere Drittstaaten abgeschoben werden können, es sollen systematisch Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen durchgeführt werden und das Dublin-System soll verschärft werden.

«Wir sind entsetzt, dass die Ampelkoalition diesem Vorhaben trotz schwerwiegender Bedenken zugestimmt hat. Dass die Bundesregierung ihren eigenen queerpolitischen Aufbruch ignoriert und nicht einmal den Versuch unternommen hat, für besonders schutzbedürftige Asylsuchende, wie beispielsweise queere Geflüchtete, einen Schutzmechanismus zu etablieren, ist skandalös», erklärte Philipp Braun aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes.

Innenministerin Faeser (SPD), Aussenministerin Baerbock (Grüne), Vizekanzler Habeck (Grüne) und Familienministerin Paus (Grüne) hatten schon im Vorfeld signalisiert, den Plänen zustimmen zu wollen, und lediglich gefordert, dass insbesondere Familien und Kinder aus den Grenzverfahren ausgenommen werden sollen.

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und queere Asylsuchende, die über eine EU-Aussengrenze einreisen, werden hingegen zu Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen unter Haftbedingungen gezwungen. Sie laufen Gefahr, in zukünftig als «sichere Drittstaaten» deklarierte Länder abgeschoben zu werden.

Für Geflüchtete ganz allgemein, ganz besonders aber auch für LGBTIQ-Schutzsuchende, ist die geplante Reform ein Horrorszenario

Patrick Dörr vom LSVD hatte das zuvor bereits kommentiert: «Für Geflüchtete ganz allgemein, ganz besonders aber auch für LGBTIQ-Schutzsuchende, ist die geplante Reform ein Horrorszenario. Die Unterbringung in Haftlagern wird den Zugang zu medizinischer und psychosozialer Versorgung unmöglich machen und die Gewaltgefahr für ohnehin besonders schutzbedürftige LGBTIQ potenzieren.»

Die Bundesregierung hatte sich zum Inklusionskonzept für die Aussen- und Entwicklungspolitik bekannt, Aussenministerin Baerbock hatte selbst die feministische Aussenpolitik proklamiert. Die Bundesregierung hatte überdies in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die Bedingungen für LGBTIQ Geflüchtete zu verbessern (MANNSCHAFT berichtete). Innenministerin Faeser hatte unterdessen selbst betont, wie wichtig ihr ein besserer Schutz für LGBTIQ-Geflüchtete ist.

Deshalb erklärt der LSVD: «Wir fordern die Mitglieder des EU-Parlaments – vor allem die Liberalen, Sozialdemokrat*innen und Grünen – auf, sich an ihre Wahlkampfversprechen zu erinnern und diesem historischen Verrat an den Rechten Schutzsuchender nicht zuzustimmen.»

Weiter sollten in der EU-Asylpolitik bestimmte Minimalstandards nicht unterschritten werden. So sollten LGBTIQ als «besonders schutzbedürftige» Gruppe anerkannt werden. LGBTIQ-Geflüchtete sollten aus den Grenzverfahren herausgenommen werden, da für ihr Schutzrecht die Schutzquoten der Länder keine Aussagekraft haben.

Zudem müssen in den geplanten Haftlagern an der EU-Aussengrenze LGBTIQ-Organisationen uneingeschränkten Zugang haben, um die Schutzbedarfserkennung vor Ort sicherzustellen und spezialisierte Beratung anzubieten. Hierbei muss vor allem auch klar geregelt sein, dass alle Asylsuchenden systematisch informiert werden, dass Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität ein anerkannter Asylgrund ist.

Dafür müsse die EU die zukünftige Arbeit von LGBTIQ-Fachberatungsstellen langfristig und auskömmlich finanzieren. Die Bundesregierung sollte sich ausserdem dafür einsetzen, dass EU-weit nur die Staaten, in denen LGBTIQ in allen Landesteilen sicher vor Verfolgung sind, als «sichere Drittstaaten» deklariert werden.

Kritik kommt auch aus Österreich. «Es drohen Grenzverfahren ohne Fairness, und Inhaftierungen von Geflüchteten – auch von Familien und Kindern. Es braucht jetzt solidarische europäische Lösungen basierend auf den Menschenrechten – diese stehen außer Diskussion, sie sind unverhandelbar», kommentiert die Sprecherin für Aussenpolitik, Menschenrechte und Migration der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, und weiter: «Abschreckung und Abschottung dürfen nicht die Koordinaten des EU-Asylpakets sein.»

Dem fügt der Sprecher für Asylpolitik der Grünen, Georg Bürstmayr hinzu: «Wenn wir uns innerhalb der EU für die Achtung von Rechtsstaatlichkeit und Grund- und Menschenrechten loben, aber diese an den Grenzen über Bord werfen, indem wir Menschen einsperren oder mitten im Meer auf Schlauchbooten aussetzen, dann geht sich das nicht aus.»

Im Mai hat die Initiative Queer Base den diesjährigen Ute-Bock-Preis für ihre massgebliche Unterstützung von LGBTIQ-Geflüchteten erhalten (MANNSCHAFT berichtete). Die Ehrung wurde von Conchita Wurst überreicht.

Das könnte dich auch interessieren