Schwuler Iraner: «Konnte meine Vergewaltigung nicht anzeigen»
Ein 20-Jähriger aus Ahvaz erzählt dem Portal «IranWire», was es bedeutet, heute im Iran schwul und schutzlos zu sein
Ein 20-jähriger Iraner, der von einer Café-Bekanntschaft vergewaltigt wurde, sagt: Die islamischen Gesetze seines Landes verhinderten, dass er seinen Angreifer bei der Polizei melden könne, aus Angst vor einem Outing.
Beim internationalen Nachrichtenportal IranWire berichtet Saeed aus Ahvaz am Persischen Golf (in der Provinz Chuzestan) in einem Blogbeitrag, was es bedeutet, heutzutage im Iran schwul zu sein – in einem Land, wo Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren kriminalisiert und bestraft wird mit Tod, Gefängnis, Peitschenhieben oder Geldstrafen. Angesichts dieser Optionen war es für ein LGBTIQ-Vergewaltigungsopfer wie Saeed besser zu schweigen, als den Fall zu melden.
Der 20-Jährige schildert die Vorgeschichte: Er habe in einem Café den einzigen Barista getroffen und begonnen, mit ihm ein freundliches Gespräch zu führen. «Anfangs mochte ich ihn sehr gern, und wir hatten einen angenehmen Chat», erzählt Saeed. «Ich sah ihn noch ein paar Mal, wir wurden vertrauter. Wir sprachen auch mehr und mehr. Und ich erzählte ihm schliesslich von meiner sexuellen Orientierung.»
Ich wünschte, ich hätte diese Textnachricht nie gelesen und darauf geanwortet
Wie sich später herausstellte, sei der andere Mann nicht an einer Freundschaft mit Saeed interessiert gewesen, sondern habe über Saeed dessen Freundinnen näher kommen wollen. Dann habe Saeed «vor einigen Wochen» um Mitternacht eine Textnachricht erhalten. Saeed sagt, er bereue, diese Nachricht gelesen und darauf geantwortet zu haben: «Ich wünschte, ich hätte das nie getan.»
Der Mann habe Saeed aufgefordert, mit ihm zum Haus eines Freundes zu kommen. «Ich traute ihm nicht. Es war spät, und ich wollte das Haus nicht verlassen», so Saeed. «Er bestand darauf und fing an, mir zu drohen. Er kannte meine Adresse und sagte, wenn ich nicht kommen würde, würde er mit meinen Freunden zu meinem Haus kommen. Ich hatte Angst und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich glaube nicht, dass er zu meinem Haus gekommen wäre, aber wenn er es getan hätte, hätte ich nicht gewusst, wie ich mich vor meiner Familie verhalten sollte.»
Denn: Saeeds Familie weiss nicht, dass er schwul ist. Der 20-Jährige habe das so gut wie niemandem gesagt. Seine Mutter habe einmal Saeeds Telefon und private Nachrichten überprüft, schreibt IranWire. Sie habe ihn daraufhin gewarnt, er würde mit seinem Leben spielen und müsse sofort «damit» aufhören. Sie drohte, ihn aus dem Haus zu werfen, denn er würde auch sie in Gefahr bringen.
Vater wollte Saeed «mit blossen Händen» töten Saeeds Vater lebt nicht bei seiner Familie, sondern im Ausland. Als die Mutter ihm von der möglichen Homosexualität ihres Sohnes berichtete, wollte der Vater zurückkehren und seinen Sohn «mit blossen Händen» töten – «auch wenn das bedeutet hätte, dass er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen müsste».
«Also musste ich zu dem Treffen gehen», erzählt Saeed. «Ich hatte Angst, der Mann (aus dem Café) würde sonst Schande über mich bringen.»
Ich hatte Angst, der Mann würde sonst Schande über mich bringen
«Er attackierte mich, es war ihm egal, dass ich ein menschliches Wesen bin», so Saeed. «Er war brutal. Das Schlimmste war, als er in mein Ohr flüsterte und mich verfluchte, ebenso meine Mutter und meine Schwester. Ich konnte mich nicht verteidigen oder widersetzen.»
Saeed erklärt, anschliessend sei er nicht zur Polizei gegangen, weil er dort selbst festgenommen worden wäre. Ausserdem hätte seine Familie sofort vom Vorfall erfahren. (MANNSCHAFT berichtete über geschlechtsangleichende Zwangsoperationen an Homosexuellen im Iran, als Alternative zur Todesstrafe.)
In seinen Schockzustand wandte sich Saeed stattdessen an Twitter und hoffte, dort Unterstützung zu bekommen, schreibt IranWire. «Er hatte Glück: seine Follower und Leute, an die er sich wandte, hörten ihm zu, halfen ihm und linderten den Schmerz etwas.»
Seither habe Saeeds Vergewaltiger mehrmals versucht, mit ihm in Kontakt zu treten, heisst es. Saeed versuche alles, um ihn nicht zu treffen und sich zu schützen.
Religionslehrer stellten Homosexualität als Krankheit dar «Ich wusste nicht, dass es so etwas wie eine LGBTQ-Community gibt und dass meine sexuelle Orientierung etwas natürliches ist», sagt Saeed. «Ich dachte, ich sei allein, weil ich das so von den Religionslehrern in der Schule gehört hatte. Ich dachte, ich hätte eine Krankheit, von der man mich heilen müsse. Ich war 15 oder 16, als ich online mehr darüber erfuhr. Mir wurde klar, dass ich normal bin. Es ist nur mein Pech, dass ich in einem homophoben Land geboren wurde und mir viele Erfahrungen vorenthalten bleiben, die die LGBT-Community in freien Ländern erleben darf.» (MANNSCHAFT berichtete darüber, dass im Iran LGBTIQ-Kinder mit Elektroschocks gefoltert werden.)
IranWire erklärt daraufhin den Leser*innen, dass die American Psychiatric Association Homosexualität bereits 1973 von der Liste der Geisteskrankheiten gestrichen habe, 1990 sei die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefolgt. «Aber in einigen Ländern, inklusive dem Iran, wird Homosexualität als Gesetzesverstoss angesehen, und Menschen müssen strafrechtliche Verfolgung fürchten. Unsere islamischen Gesetze sehen extrem schwere Strafen vor.»
Laut IranWire denke Saeed nun über Emigration nach, «wie tausende LGBT-Iraner*innen vor ihm, die ihre Heimat verlassen mussten, nur weil sie so geboren wurden, wie sie geboren wurden». Sie würden versuchen sich Stück für Stück anderswo ein neues Leben aufzubauen, «frei von Verurteilungen, Diskriminierung und Gewalt».
«Ehrenmord»: Von Brüdern enthauptet Das LGBTIQ-Nachrichtenportal Pink News erwähnt in seinem Artikel über den Fall, dass Alireza Fazeli Monfared genauso alt gewesen sei wie Saeed, als er plante, aus dem Iran zu fliehen und wie sein Freund als Flüchtling in die Türkei zu gehen. Die beiden wollten sich dort wiedertreffen. Bevor der Plan umgesetzt werden konnte, wurde Alireza Fazeli Monfared im Frühjahr 2021 von seinen eigenen Brüdern enthauptet (MANNSCHAFT berichtete über den «Ehrenmord»).
Laut einem Bericht von «6rang» (The Iranian Lesbian and Transgender Network) sollen letztes Jahr sechs von zehn LGBTIQ-Iranier*innen von Familienmitgliedern angegriffen worden seien. (MANNSCHAFT berichtete über die Lage im benachbarten Irak und den neuen Film «Baghdad in My Shadow», der gleich mehrere Tabus aufbricht.)
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