«Ich sah mich als Medium zwischen brillanten queeren Künstlern»
«Queer»-Drehbuchautor Justin Kuritzkes im Interview
Lange erwartet: «Queer» läuft nun endlich im Kino. MANNSCHAFT sprach mit Drehbuchautor Justin Kuritzkes über seine Freundschaft zu Regisseur Luca Guadagnino, schwule Liebe und unterdrückte Gefühle.
Der 34-Jährige ist verheiratet mit der gefeierten Filmemacherin Celine Song («Past Lives»).
Nach ersten Erfolgen als Theater- und Romanautor gelang Justin Kuritzkes ziemlich schnell der Sprung zum Film. Gleich sein erstes Drehbuch, die mindestens homoerotische Dreiecksgeschichte «Challengers», wurde von niemand Geringerem als Luca Guadagnino verfilmt und sorgte im Frühjahr 2024 für reichlich Gesprächsstoff.
Nun läuft bereits die zweite Zusammenarbeit der beiden in den Kinos, die Roman-Verfilmung «Queer», mit einem fantastischen Daniel Craig in der Hauptrolle (MANNSCHAFT berichtete).
Mr. Kuritzkes, sowohl «Challengers» als auch «Queer» – die Filme von Luca Guadagnino, für die Sie die Drehbücher schrieben – handeln unter anderem von Männlichkeit und den damit verbundenen Konstruktionen und Erwartungen. Ist das ein Thema, mit dem Sie sich schon lange beschäftigen?
Ehrlich gesagt interessiert mich eher Verdrängung und das Unterdrücken von Gefühlen und Begierden. Bei «Challengers» fand ich zunächst den Gedanken reizvoll, dass Tennis ein Sport ist, der von Unterdrückung lebt. Schon räumlich ist man beschränkt auf diese kleinen Kästchen, und alle Dynamik und Aggression staut sich immer wieder auf, weil man lediglich im Moment des Schlags die Energie rauslassen kann. Im Grunde ist das ein Zweikampf wie beim Boxen, nur dass man sich anders als dort eben gerade nicht berühren darf. In diesem Kontext eine Dreiecksgeschichte voll mit dieser angestauten erotischen, kompetitiven und emotionalen Energie zu erzählen, fand ich aufregend.
Und «Queer»?
Während «Challengers» meine eigene Idee war, ist «Queer» ein Film, den ich ohne Luca nicht geschrieben hätte. Der Roman von William S. Burroughs bedeutet ihm wahnsinnig viel und er hatte schon ewig vor, es auf die Leinwand zu bringen. Während der Dreharbeiten zu «Challengers» drückte er mir das Buch in die Hand, in der Hoffnung, dass ich vielleicht Lust bekäme, es zu adaptieren. Ich fand die Geschichte hochinteressant, aber letztlich habe ich das Drehbuch wirklich nur geschrieben, weil ich wusste, wie wichtig das Projekt für Luca ist. Ich wollte gerne weiter mit ihm arbeiten – und ihn auf keinen Fall enttäuschen.
Mehr zum Thema: Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) vollzieht eine Kehrtwende. Entgegen ursprünglichen Aussagen will sie nun doch mit der queerfeindlichen und rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ) über die Bildung einer Regierung verhandeln.
Sie und Guadagnino scheinen ein absolutes Dream Team zu sein. Warum stimmt die Chemie zwischen dem schwulen Regisseur und dem heterosexuellen Autor so sehr?
Ich weiss es selbst nicht. Aber unsere erste Begegnung war auf jeden Fall einer dieser Momente, in denen man sofort merkt, dass man da gerade jemanden getroffen hat, der einfach zu einem passt. Uns gefallen die gleichen Dinge an den gleichen Filmen. Ausserdem ist unser Humor sich wirklich ähnlich.
Es gibt nicht viele Menschen, die mich so hemmungslos zum Lachen bringen können wie Luca. Vor allem liebe ich an ihm, dass er mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit an die Arbeit geht, ohne sich selbst dabei zu ernst zu nehmen. Und wenn er sagt, dass er etwas macht, dann tut er das auch. Wenn ich ihm ein Drehbuch gebe, dass uns beiden gefällt, dann kann ich mir sicher sein, dass dieser Film am Ende auch gedreht wird. Solche Verlässlichkeit ist in unserer Branche eher selten.
Sprechen wir noch kurz über «Queer». Der Protagonist William Lee wird meistens als Alter Ego von Burroughs gelesen. Wie wichtig war die Biografie des Autors also für Sie?
Ich würde auch sagen, dass an der Sache mit dem Alter Ego sicherlich bis zu einem gewissen Grad etwas dran ist. Trotzdem war für mich immer wichtig, dass ich kein Biopic über Burroughs schreibe und er als Autor an entscheidenden Stellen ganz klare Grenzen zwischen sich und der Figur gezogen hat. Klar, auch er hat in den 1950er Jahren in Mexiko gelebt, genau wie William Lee. Allerdings eben mit seiner Frau und den Kindern, wovon sich in seinem Buch bestenfalls ganz entfernt Spuren finden lassen. Überhaupt gibt es für die Leserschaft praktisch keine Erklärung, wo Lee herkommt oder warum er dort ist.
So oder so ist «Queer» an vielen Stellen sehr dezidiert queer. Mit welchem Selbstverständnis haben Sie als Hetero-Mann sich dieser Geschichte angenommen?
Nun, ich hatte auf der einen Seite diese grossartige Vorlage und auf der anderen Luca, der mich gebeten hatte, sie für ihn zu adaptieren. Ich verstand mich also in erster Linie als eine Art Medium zwischen diesen beiden brillanten queeren Künstlern aus vollkommen unterschiedlichen Generationen und Lebensumständen. Einen kannte ich enorm gut, weil er mein Freund ist, der andere gab mir durch sein Buch tiefe Einblicke in sein Dasein. Damit befand ich mich schon mal in einer ziemlich guten Ausgangsposition.
Aber man braucht als Autor ja auch persönliche Anknüpfungspunkte bei einer solchen Geschichte, oder?
Das stimmt, man kann so etwas nicht adaptieren, ohne nicht auch irgendwie sich selbst miteinzubringen. Aber das fiel mir nicht schwer. Die Dynamik zwischen Lee und dem jungen Eugene Allerton, in den er sich verliebt, ist… nun ja, vielleicht nicht universell, denn das Wort ist mir irgendwie zu vage. Aber auf jeden Fall war sie für mich psychologisch sehr nachvollziehbar. Nicht dass ich mich je in genau einer solchen Konstellation befunden hätte. Aber die Gefühle, die diese beiden füreinander empfinden, sind mir nicht fremd. Und ganz ehrlich, am Ende habe ich sehr viel mehr zu Heroin und Ayahuasca recherchiert als dazu, wie zwei Männer miteinander Sex haben. Denn um von letzterem eine Idee zu haben, muss man als halbwegs aufgeklärte Person wirklich kein Genie sein.
Die neue Staffel von «Queer Eye» kann jetzt gestreamt werden – allerdings ohne Bobby Berk. Während die Gerüchte um seinen Ausstieg weitergehen, machen die verbliebenen Jungs mit sexy Szenen vor der Kamera munter weiter (MANNSCHAFT berichtete).
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