Dieter Birr: «Viele Schwule wurden in der DDR diskriminiert»

Der Ex-Frontmann der Puhdys wird 80

Dieter Birr, genannt Maschine (Foto: Bodo Schackow/dpa)
Dieter Birr, genannt Maschine (Foto: Bodo Schackow/dpa)

Er hat massgeblich die DDR-Rockmusik geprägt und bis heute 22 Millionen Tonträger verkauft: Dieter Birr, genannt: Maschine. MANNSCHAFT+ sprach mit dem Ex-Frontmann der Puhdys über sein neues Album und Homosexualität in der DDR.

In seinem sechsten Solo-Album «Mein Weg» kritisiert der ehemalige Puhdys-Frontmann unter anderem die Vorverurteilung von Menschen aufgrund medialer Berichterstattung. Anlass war der Skandal um Till Lindemann, mit dem er befreundet ist. Am kommenden Montag wird Dieter Birr 80 Jahre alt. 

Dieter Birr, Sie sind seit 55 Jahren im Geschäft. Ist das Musikmachen für Sie eine Art Meditation, mit der Sie Ihr Wohlbefinden fördern? Wenn man eine Leidenschaft bis ins hohe Alter halten kann, ist das auf jeden Fall förderlich für das Wohlbefinden und die Gesundheit.

Für Ihr neues Album «Mein Weg» haben Sie u.a. den Puhdys-Klassiker «Ikarus» neu aufgenommen. Er drückt das menschliche Verlangen nach Freiheit und Abenteuer aus. Wie ist es den Puhdys damals gelungen, dieses subversive Lied durch die Zensur zu kriegen? Eigenartigerweise hat sich daran niemand gestört. Dieses Lied sollte eher den Fortschritt untermalen. Wir hatten aber alle möglichen Probleme. Zum Beispiel sollten wir kein Lied über Schwule machen, weshalb wir «Der Aussenseiter» umdichteten. Auch keines zum Thema Umwelt, denn in der DDR gab es ja offiziell keine Umweltprobleme. Im Nachhinein wundert es mich auch, dass sie «Türen öffnen sich zur Stadt» haben durchgehen lassen.

Ist «Der Aussenseiter» in der Schwulenszene der DDR zu einem Hit geworden? Nein, der Text ist ja von uns abgeschwächt worden. In dem Refrain «Ja was kann er dafür, das er nicht so ist wie du, so wie du/Ja was kann er dafür, dass er anders ist als du» geht es aber eindeutig um Schwule. Unser damaliger Grafiker war schwul. Mit ihm konnte man ganz offen darüber sprechen. Die haben untereinander immer gesagt, sie seien «verzaubert». Wenn ich schon solch ein Lied machte, wollte ich darüber auch genau Bescheid wissen.

Früher wurde Homosexualität als Krankheit gebrandmarkt, aber für uns war das völlig normal.

Früher wurde Homosexualität als Krankheit gebrandmarkt, aber für uns war das völlig normal. Wir hatten damit nie ein Problem. Als 17-Jähriger hatte ich in der Fabrik einen schwulen Kollegen, der war Hilfsarbeiter und wurde immer gehänselt und nicht für voll genommen. Das hat mich abgestossen. Ich stehe überhaupt nicht darauf, dass man Menschen diskriminiert, egal aus welchem Grund. Heute hingegen kann selbst ein Bürgermeister von Berlin sagen, dass er schwul ist, aber das war damals nicht so.

Musste man in der DDR seine Homosexualität verbergen? Ja klar. Ich weiss noch, wie Rosa von Praunheim den Biolek und Hape Kerkeling geoutet hat. Fand ich nicht so schön. Man muss es akzeptieren, wenn jemand nicht geoutet werden will. Viele Schwule wurden ja diskriminiert.

In dem neuen Rocksong «Hunderttausend Laienrichter» beklagen Sie die Vorverurteilung von Menschen aufgrund medialer Berichterstattung, «ohne deren Stimme zu hören, ohne die Geschichte dahinter zu beleuchten». Ist das Lied ein Kommentar zur Berichterstattung über Rammstein-Sänger Till Lindemann? Unter anderem, ja. Über die Vorwürfe gegen Till Lindemann wurde ja sogar in der Tagesschau berichtet. Ich wusste nicht so richtig, was ich davon halten soll, denn ich kenne ihn ja persönlich. Er hat auf dem Puhdys-Album «Wilder Frieden» mitgesungen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen gegen ihn etwas dran ist, aber man weiss natürlich nicht, was die Leute noch so alles machen. Die Staatsanwaltschaft hat aber nichts feststellen können, und das muss man zur Kenntnis nehmen. Jetzt wurde Till Lindemann aber völlig fertig gemacht; bei Rammstein-Konzerten wurde gegen ihn demonstriert. Demonstrieren ist legitim, aber für mich war das ein bisschen wie Hexenjagd.

Manche haben sogar verlangt, dass Auftritte von der Rammstein-Coverband Stahlzeit abgesagt werden. Aber was können die dafür? Verwerflich finde ich auch, dass über Schwerverbrecher anonym berichtet wird, aber für jemanden, der bekannt und eigentlich beliebt ist, gilt das nicht. Selbst wenn an den Vorwürfen gegen Till Lindemann etwas dran wäre, hätte er es nicht verdient, dass er so lange in der Öffentlichkeit fertig gemacht wird. Er hat mir einfach auch leid getan. Nach aussen hin wirkt er brutal, gerade durch die Bühnenshow, aber Lindemann hat auch Gefühle. Ich finde es ganz schlimm, wenn populäre Leute öffentlich fertig gemacht werden aufgrund eines Verdachtes. Man hat an Jörg Kachelmann und Andreas Türck gesehen, was man damit anrichten kann.

«Berlin ist homophober geworden»: Auch wenn Hape Kerkeling weggezogen ist, kommt er immer noch gern nach Berlin. Doch das Kofferpacken hatte Gründe. (MANNSCHAFT berichtete)

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