Out im Office: «Nicht die Realität ist schlimm, sondern die Angst in den Köpfen»

Wie offen können LGBTIQ-Mitarbeiter*innen in deutschen Firmen mit ihrer Sexualität umgehen? Ein Interview mit Matthias Weber

Der Arbeits- und Organisationspsychologe Matthias Weber, Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreis (Foto: Moritz Leick)
Der Arbeits- und Organisationspsychologe Matthias Weber, Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreis (Foto: Moritz Leick)

Matthias Weber (46) ist Vorsitzender des Berufsverbandes der schwulen Führungskräfte und Selbständiger, Völklinger Kreis. Er kämpft für Diversity im Berufsalltag, dafür, dass jeder «out and proud» am Arbeitsplatz sein kann. Aber die Angst vor Karrierenachteilen sitzt bei vielen immer noch tief, trotz aller Fortschritte.

Ich habe gerade einen Satz der US-Schriftstellerin Fran Lebowitz gelesen, die sagt: «Nichts ist besser für eine Stadt, als ein ordentlicher Anteil wütender Homosexueller in der Bevölkerung.» Trifft das auch für die deutsche Wirtschaft zu? Ich selber wäre eigentlich froh, wenn möglichst wenige Anteile der Bevölkerung «wütend» sein müssten. Wütend ist immer der Zustand, in den man gar nicht erst kommen sollte. Streitbar zu sein ist gut, kritikfähig ebenfalls, miteinander um die beste Lösung zu ringen, ist toll. Aber wenn man wütend ist, dann ist das Kind zum Teil schon in den Brunnen gefallen.

Du bist kürzlich zu einem der Top 50  Diversity Drivers 2021 ernannt worden von der Initiative Beyond Gender Agenda (MANNSCHAFT berichtete). Wenn man für Diversity kämpfen möchte, braucht man da nicht ein bisschen Wut? Wut würde nicht auf meiner Top-5-Liste der notwendigen Skills auftauchen. Stattdessen würde ich auf Begeisterungsfähigkeit, Motivation, Durchhaltevermögen und Diskussionsbereitschaft setzen.

Das waren nur vier Punkte. Sensibilisieren ist auch unheimlich wichtig. Jemand, der wütend ist, neigt dazu zu schreien. Besser ist es, andere zu überzeugen und Schritt für Schritt weiter zu kommen. Mit dem Ziel, gleiche Rechte für alle zu etablieren, auch im Job. Das ist mein Credo.

Bei Beyond Gender Agenda sind sehr viele heterosexuelle weisse Frauen dabei, die vermutlich eine andere Vorstellung davon haben, was bei Diversity wichtig ist. Was bedeutet Diversity für dich als schwuler weisser Mann? Ich bin ja kein gelernter Diversity-Profi. (lacht) Ich bin Führungskraft im Finanzwesen und habe wie viele andere erlebt, dass ich mein eigenes Coming-out im Job nicht so selbstverständlich hinbekommen habe, wie ich es mir gewünscht hätte. Deshalb habe ich angefangen, zuerst an meiner eigenen Selbstverständlichkeit zu arbeiten und mir dann Unterstützung gesucht. Die habe ich schliesslich aus dem Völklinger Kreis heraus bekommen. Mein Ursprungsantrieb war also nicht «Diversity Driver» zu werden, sondern dass ich über meine Diversity-Arbeit etwas zurückgeben wollte von der Hilfe, die ich selbst einst bekommen habe. So habe ich mich in die Rolle entwickelt.

Die Initiative Beyond Gender Agenda wählte Matthias Weber zu einem der Top 50 Diversity Drivers in Deutschland (Foto: Moritz Leick)
Die Initiative Beyond Gender Agenda wählte Matthias Weber zu einem der Top 50 Diversity Drivers in Deutschland (Foto: Moritz Leick)

Warum hat das mit deinem Coming-out im Beruf nicht so geklappt, wie du dir das vorgestellt hattest? Das war damals eine andere Zeit als heute: Als ich mein Coming-out hatte, gab es weder Internet noch Klaus Wowereit, als offiziell geouteten Politiker. Es gab auch noch nicht den geouteten Hape Kerkeling oder andere. Ich hatte keine Vorbilder, keine Role Models. Dazu bin ich sehr früh Führungskraft geworden, war der jüngste unter meinen Kollegen. Und unter Führungskräften gibt’s natürlich einen gewissen Konkurrenzdruck.

Reden wir von den frühen 1990er-Jahren? Lass‘ mich mal rechnen. (lacht) Ja, in den frühen 1990ern hatte ich mein berufliches Coming-out. Ich habe damals in einer stark männerdominierten Branche gearbeitet. Da gab es keine sichtbaren Schwulen in den Führungsetagen, nicht mal Frauen bzw. nur sehr wenige. D. h. alles war extrem hetero-männlich geprägt. (MANNSCHAFT sprach auch mit Top-Manager Thomas Meiers, wie schwierig es ist «out and proud» in der Autoindustrie zu sein.)

Wie bist du damit umgegangen? Ich hatte immer den Wunsch, nicht zu lügen. Also habe ich niemals eine Freundin erfunden oder etwas ähnliches. Aber ich habe mich, was mein Privatleben angeht, zurückgezogen, um nichts preisgeben zu müssen. Das führt aber dazu, dass man keinen wirklichen Kontakt zu Kollegen aufbaut, weil man sich dauernd abschirmt.

Matthias Weber (l.) ist Vernetzung wichtig, so ist er auch in anderen Initiativen engagiert, z. B. als Jury-Mitglied im RAHM-Contest. Hier mit Uhlala-CEO Stuart Cameron, VK-Vorstandskollege Holger Reuschling sowie mit Lukas Plamitzer (Foto: privat)
Matthias Weber (l.) ist Vernetzung wichtig, so ist er auch in anderen Initiativen engagiert, z. B. als Jury-Mitglied im RAHM-Contest. Hier mit Uhlala-CEO Stuart Cameron, VK-Vorstandskollege Holger Reuschling sowie mit Lukas Plamitzer (Foto: privat)

Wie beeinflusste deine Homosexualität die Konkurrenzsituation? Die beeinflusst eigentlich nicht die Konkurrenzsituation, sondern sie beeinflusst die eigene Selbstsicherheit. Wenn du die nicht hast, schwächt dich das in deinem ganzen Verhalten, raubt dir ein Stück Authentizität, die eigentlich deine Stärke sein sollte. Ich wollte einfach ganz normal ich selbst sein können, nie darüber nachdenken, ob ich über irgendetwas besser nicht reden sollte. Für den «letzten Schritt» zum totalen Coming-out habe ich damals Hilfe gebraucht.

Wie ist dann dein Coming-out in der Firma gelaufen? In Kreisbewegungen. Ich war zwar schon immer out, aber halt nur im kleinen Kreis von Menschen um mich herum. Also beispielsweise: Chef*in, direkte Kolleg*innen, Assistent*innen, einzelne Personen, zu denen ich einen guten Draht hatte, das engere Team um mich herum. Das sind dann immer mehr geworden. Durch den Kontakt zum Völklinger Kreis und zu Menschen, die mich damals geprägt haben, konnte ich schliesslich ein komplettes berufliches Coming-out haben. In dem Moment, wo ich vor sechs Jahren Vorstand des VK wurde, war meine Homosexualität ja mehr oder weniger öffentlich. Das war ein Schritt, den ich bewusst gegangen bin. Denn mir war klar: Wenn ich mich in solch eine Position hineinwählen lasse, dann steht mein Namen als schwule Führungskraft in der Zeitung und ist im Internet auffindbar. Da musste ich vorher drüber nachdenken, ob ich das wirklich will. Ich habe mich dafür entschieden.

Mir war klar: Wenn ich mich in solch eine Position hineinwählen lasse, steht mein Namen als schwule Führungskraft in der Zeitung

Und hat das irgendwelche Auswirkungen auf dein Berufsleben gehabt, positive oder negative? Soweit ich das sehen kann: nein. Aber was ich nicht sehe, existiert vielleicht dennoch. Das wären die berühmten gläsernen Decken, die unausgesprochen da sind und zum Beispiel Beförderungen verhindern. Ich habe sie allerdings nicht wahrgenommen. Ich fühle mich heute in meiner Firma ganz selbstverständlich akzeptiert.

Du bist bei der Postbank in Düsseldorf… Genau, Postbank/Deutsche Bank. Hier wird mein ehrenamtliches und politisches Engagement sehr unterstützt. Und gerade wurde ich gebeten, ein Frauenprojekt im Unternehmen zu entwickeln. Ich werde also als ein Kollege gesehen, der sich für Diversity und Inklusion einsetzt und um Engagement gebeten, auch jenseits von LGBTIQ. Das finde ich sehr gut.

Chancengleichheit für alle, auch im Job: Der VK organisiert «DiverseCity»-Konferenzen, die Matthias Weber (l.) moderiert. Hier mit Vorständ*innen aus Deutsche Post/DHL, Deutsche Telekom und Postbank in Bonn (Foto: VK)
Chancengleichheit für alle, auch im Job: Der VK organisiert «DiverseCity»-Konferenzen, die Matthias Weber (l.) moderiert. Hier mit Vorständ*innen aus Deutsche Post/DHL, Deutsche Telekom und Postbank in Bonn (Foto: VK)

Wenn du dich mit den anderen 49 Top Diversity Drivers austauschst und deine Geschichte vom Coming-out in der Firma erzählst, haben die Heterofrauen dafür Verständnis oder ganz andere Erfahrungen? Wir haben tatsächlich viel Austausch, und ich stosse bei den anderen auf viel Interesse. Ich finde ohnehin einen ganzheitlichen Diversity-Ansatz wichtig. Ich habe mich aus der LGBTIQ-Dimension kommend dahin entwickelt, dass ich sage: Mich treibt ein Kämpfen für Akzeptanz aller Diversity-Gruppen an. Das Thema Gender und sexuelle Orientierung lässt sich dabei gut verknüpfen. Ich finde unter den Diversity Drivern viele Frauen, die sich hier sehr gut reindenken können. Und ich habe auch Kolleginnen aus dem Beirat – das ist ein engerer Kreis bei der Beyond Gender Agenda –, die auf mich zukommen, weil sie aktuell in ihren Unternehmen mit einem Fokus auf Gender unterwegs sind und dann feststellen, dass sie viel mehr tun wollen beim Thema LGBTIQ. Beim Austausch, der dann folgt, merke ich, dass wir wechselseitig voneinander lernen. Wenn ich heute gefragt werde, ein Frauenprojekt mit zu leiten, könnte man das ungewöhnlich finden. Aber ich finde, es ist eine gute Entwicklung.

Da gibt’s keinen Protest von Frauen, die sagen, die weissen cis Männer übernehmen mal wieder das Ruder und verdrängen uns? Eine solche Diskussion hatten wir bislang nicht. Genauso wichtig wie es ist, Straight Allies in unsere Projekte einzubinden, so wichtig ist es, Männer in Frauenthemen einzubinden. Frauen stellen zwar rund die Hälfte der Bevölkerung, aber oftmals nur 20 bis 30 Prozent der Führungskräfte. Das heisst, momentan dominieren eindeutig Männer die Führungsriegen der meisten Unternehmen. Wenn du die Männer an der Beteiligung zu Themen rund um Gleichstellung von Frauen ausschliesst, kannst du nichts erreichen!  Du musst sie zu Beteiligten machen, die Diversity ebenfalls wollen und das richtig finden. Das ist bei uns LGBTIQ im übertragenen Sinn genauso. Niemand hat etwas von einer Ghettoisierung.

Es gibt ja auch die Charta der Vielfalt, die Diversity nicht nur über Gender und Sexualität definiert, sondern breiter aufgestellt ist: da gibt’s auch die Aspekte soziale Herkunft, ethnischer Hintergrund, Religion usw. Wenn LGBTIQ nur noch ein Aspekt von vielen anderen ist, verschwindet LGBTIQ dann irgendwann im grossen Ganzen? Das ist ein guter Punkt. Ich glaube, da stecken zwei unterschiedliche Dinge drin. Das eine ist die grosse Chance, dieser grosse Schub in der Diversity-Bewegung, den ich wahrnehme. Auch was gesetzliche Änderungen mit stärkeren Quoten angeht. Man schaut bei den Führungspositionen jetzt auf Frauenquoten. Dann gibt es Einrichtungen wie die NASDAQ, die grösste elektronische Börse in den USA. Sie gehen noch einen Schritt weiter und erwarten weitere Personen mit Diversity-Hintergrund in der Leitung, somit eine Quote, die nicht nur auf Frauen bezogen ist. Ich glaube, dass diese Bewegung für uns LGBTIQ noch viel bringen kann, wenn wir aufpassen, dass wir nicht hinten runterfallen.

Ich glaube, dass diese Bewegung für uns LGBTIQ noch viel bringen kann, wenn wir aufpassen, dass wir nicht hinten runterfallen

Wir geben als VK seit vielen Jahren eine Diversity-Studie heraus. Darin schauen wir  auf ganzheitliches Diversity-Management mit Schwerpunkt LGBTIQ. Wir untersuchen, wie sich Diversity-Management in deutschen Firmen entwickelt. Und da merkt man, dass LGBTIQ vielfach eine Kategorie ist, die oft als letzte aufgenommen wurde und als erste wieder aufgegeben wird.

Matthias Weber mit seinem Partner Hugo Sanchez Melendez, der aus Mexico stammt seit sechs Jahren in Deutschland lebt und arbeitet (Foto: privat)
Matthias Weber mit seinem Partner Hugo Sanchez Melendez, der aus Mexico stammt seit sechs Jahren in Deutschland lebt und arbeitet (Foto: privat)

Letztlich profitieren alle von der ganzheitlichen Sicht auf Vielfalt, die meisten von uns gehören doch nicht nur zu einer oder zwei Dimensionen von Diversity. Und selbst wenn ich persönlich als schwuler Mann keine Ausgrenzung erlebe, so erlebe ich mit meinem mexikanischen Partner in Deutschland doch immer wieder, wie selbstverständlich vermeintliche «Ausländer» ausgegrenzt werden… oder Freunde, die im Rollstuhl sitzen; oder andere, die «zu alt» wirken für eine Partyeinladung oder «zu jung» für Karriere.

Was für Rückmeldungen bekommst du denn zu Veränderungen rund um Diversity in Unternehmen? Da passiert viel. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Da hat sich der Koalitionsvertrag von CDU und FDP das Ziel gesetzt, eine Allianz für Vielfalt und Gerechtigkeit für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) zu gründen und etwas zu bewegen. Da war ich für den Völklinger Kreis im Expertengremium vertreten zur Beratung. Jetzt ist eine Agentur gegründet worden, um diese Ziele weiter zu fördern und zu untersuchen. Denn es gibt eine verstärkte Tendenz, Diversity auch in KMUs näher zu analysieren. Die KMUs sind wichtig, weil sie in Deutschland eine enorme wirtschaftliche Bedeutung darstellen, weil sie im Vergleich zu Grossunternehmen recht uneinheitlich sind und weil sie bisher nicht wirklich von Studien beachtet wurden. KMUs sind auch nicht so stark reguliert. Nehmen wir das Thema Frauenquote: das ist dort nicht anwendbar. Das Thema Diversity-Management ist oft auch nicht verankert. Und die Instrumente, die grosse Firmen anwenden können rund um Diversity, die machen oft für kleinere und mittlere Unternehmen keinen Sinn.

Kannst du mal ein Beispiel nennen? Ein starkes Instrument für grosse Firmen sind Mitarbeiter*innen-Netzwerke, zum Beispiel LGBTIQ- oder Frauen-Netzwerke. Die sind wichtig für die Vernetzung und ein Instrument, mit dem ein Unternehmen Einzelgruppen zeigen kann: ihr seid uns wichtig, wir fördern euch, wir wollen das! Aber nehmen wir als Gegenbeispiel die Bäckerei an der Ecke mit sechs Mitarbeiter*innen. Was sollen die für ein LGBTIQ-Netzwerk gründen? Das greift nicht. Da muss man andere Strategien finden, um Angestellten klar zu machen, dass einem das Thema wichtig ist. Oft glaube ich sogar, für KMUs ist das ein wichtigerer Zukunftsfaktor als für die ganz grossen Betriebe. Denn viele der kleineren Firmen haben Schwierigkeiten, talentiertes Personal für die Zukunft zu finden. Deshalb ist es für sie wichtig, offen für alle Menschen zu sein.

Was soll die Bäckerei an der Ecke mit sechs Mitarbeiter*innen für ein LGBTIQ-Netzwerk gründen?

Welche Vorteile hätte denn die Bäckerei an der Ecke davon, sich «offen» zu zeigen? Wenn man fragt, was die kleinen Betriebe davon haben, dann gibt’s für mich zwei Dimensionen. Das eine ist soziale Verantwortung: Unternehmer*innen haben eine Verantwortung, allen Menschen eine Chance zu bieten. Daneben gibt es auch einen klaren «Business Case», also wirtschaftliche Vorteile für die Bäckerei. Schauen wir mal nicht auf diejenigen, die am Tresen stehen und verkaufen. Sondern auf diejenigen, die bereit sind, morgens um drei Uhr aufzustehen und die Backstube vorzubereiten, damit später auch verkauft werden kann. Findet das Unternehmen beim etablierten Klientel, das man dafür normalerweise ausbildet, genug Nachwuchs? Teilweise nein. Und so gibt es auch andere Betriebe, denen das extrem schwer fällt: Garten- und Landschaftsbau etwa und viele Handwerksbetriebe. Da finden viele kaum Nachwuchs. Das kann daran liegen, dass man die Jobs nicht interessant genug macht. Das kann aber auch daran liegen, dass man nie versucht hat, neue Zielgruppen für die Ausbildung zu begeistern. Viele gehen da inzwischen andere Wege und öffnen sich ganz bewusst für neue Zielgruppen, die bisher nicht so traditionell bei ihnen waren. Beim Handwerk sind das oft Frauen, anderen Betriebe treten bewusst LGBTIQ-freundlich auf. Und das ist dann der Vorteil: Du hast wieder Zukunftssicherheit, weil bei dir Menschen arbeiten wollen und sich dann im modernisierten Unternehmensklima auch wohl fühlen. Ohne sie geht es nicht.

Prides gehören zum Diversity-Alltag ausserhalb von Corona-Zeiten dazu, hier in Berlin mit drei Max-Spohr-Preisträger*innen: Deutsche Bank, BVG und Siemens. Man sieht Matthias Weber (l.) mit Gernot Sendowski, Leiter Global Diversity & Inclusion, Deutsche Bank (Foto: VK)
Prides gehören zum Diversity-Alltag ausserhalb von Corona-Zeiten dazu, hier in Berlin mit drei Max-Spohr-Preisträger*innen: Deutsche Bank, BVG und Siemens. Man sieht Matthias Weber (l.) mit Gernot Sendowski, Leiter Global Diversity & Inclusion, Deutsche Bank (Foto: VK)

Was können KMU tun, um so etwas zu signalisieren? Wenn sie aktiv sagen und das nach aussen ausstrahlen, dass sie offen sind, in der Ausbildung oder bei Einstellungen, dass sie gern mehr Frauen oder LGBTIQ im Team hätten oder behindertengerechte Arbeitsplätze einrichten wollen, dann sind das Zeichen!  Wichtig ist, dass die Geschäftsführer*innen klare Vorstellungen davon haben, was für eine Unternehmenskultur sie wollen – und das auch sagen. Es reicht nicht, es nur zu denken. Es muss öffentlich vernehmbar sein, dass man null Verständnis für Diskriminierung hat, dass es einem wichtig ist, gleiche Rechte für alle zu etablieren.

Ich stelle mir gerade die Bäckerei an meiner Ecke vor. Wie könnte die denn nach aussen zeigen, dass sie offen ist? Müsste sie eine Regenbogenfahne raushängen? Kund*innen, die reinkommen und merken, da arbeiten unterschiedliche Menschen und vielleicht auch welche, die einem selber irgendwie ähnlich sind, haben unbewusst ein anderes Erleben, als wenn ihnen eine uniforme Kohorte gegenüber steht. Und das mit dem Regenbogen an der Tür ist gar kein schlechtes Beispiel. Das machen Konzerne wie Rewe oder Deutsche Bank auch mit entsprechenden Aufklebern am Eingang, nicht nur im Pride Month. Das sendet ein Signal sowohl an Kund*innen, als auch an Mitarbeiter*innen. Oder man beteiligt sich an Aktionen der Community in der Nachbarschaft, auch in kleineren Orten.

In meiner Bäckerei an der Ecke arbeiten, soweit ich das sehen kann, vor allem Menschen mit sogenanntem arabischem Hintergrund. Seid ihr als VK auch im Austausch mit solchen Unternehmen? Den Austausch gibt’s, ja. Wir kooperieren ja bei unseren Studien oder beim Max-Spohr-Preis und bei DiverseCity primär mit mittleren und grossen Firmen, aber zunehmend auch mit kleineren Unternehmen. Die Perspektive türkischer oder auch arabischstämmiger Unternehmer*innen ist für uns wichtig, gerade wenn es hierbei aufgrund kultureller Unterschiede zu Vorbehalten gegenüber LGBTIQ kommen kann.

Solche Vorbehalte kann es natürlich auch bei Menschen mit christlichem Hintergrund geben. Genau. Es gibt keine Garantie auf LGBTIQ-Freundlichkeit, egal woran Menschen glauben, falls sie überhaupt glauben. Natürlich haben wir VK-Mitglieder muslimischen Glaubens, die schwule bzw. bisexuelle Führungskräfte sind. Das schliesst sich nicht aus.

Natürlich haben wir VK-Mitglieder muslimischen Glaubens, die schwule bzw. bisexuelle Führungskräfte sind

Wir haben jetzt in Deutschland seit 16 Jahren Angela Merkel und eine christlich-konservative Partei an der Regierung. Welchen Einfluss hat(te) das auf die Entwicklung zu mehr (oder weniger) Diversity in Deutschland? Wenn wir auf die Entwicklungen insgesamt schauen, dann sind da viele positive Dinge passiert. Wenn ich auf LGBTIQ schaue, kann ich nur sagen, dass ich mich freue, dass es irgendwann zur Öffnung der Ehe für alle kam. Ich hätte mich aber doch mehr gefreut, wenn das etliche Jahre früher geschehen wäre. Wir wären dann als liberales Land Diversity-Vorreiter in Europa gewesen, statt am anderen Ende der Skala. Heute haben wir einen geouteten CDU-Bundesgesundheitsminister. Wir hatten einen geouteten Aussenminister von der FDP. Das hat eine Ausstrahlung und wirkt in die Bevölkerung hinein. Das zeigt, wie wichtig es ist, auch an der Spitze der Politik LGBTIQ-Vorbilder zu haben, die alle sehen und akzeptieren.

Wo siehst du denn Deutschland in Bezug auf Diversity im Vergleich zu anderen Ländern? Der VK ist im europäischen Dachverband EPBN (European Pride Business Network) organisiert, dessen Präsident ich bin. Hier haben sich die verschiedensten europäischen LGBTIQ-Berufsverbände zusammengeschlossen um sich gemeinsam zu engagieren, so z.B. das NETWORK oder das WYBERNET aus der Schweiz oder die AGPro aus Österreich. Insofern kenne ich die Diskussionen mit Kolleg*innen in vielen Nachbarländern. Da gibt es eine extreme Bandbreite: Bei dem, was in Polen oder Ungarn passiert, geht es um einem Kampf um Grundrechte, um Dinge, die uns sehr weit weg scheinen. Dabei liegt Polen regional betrachtet direkt nebenan. Was da passiert ist gravierend, und es ist eine Entwicklung, gegen die wir argumentieren und wo wir Kolleg*innen unterstützen, so gut wir können. Dann gibt’s die nordischen Länder und die Niederlande als echte LGBTIQ-Vorbilder, aber auch Spanien. Die Spanier waren, was die Gesetzgebung angeht, aber auch was die spürbare Akzeptanz von LGBTIQ in der Gesellschaft betrifft, viel früher viel weiter als wir. Ich würde sagen, sie sind da immer noch weiter. Weswegen es gut wäre, wenn wir uns daran orientieren.

Alle zwei Jahre werden vom Völklinger Kreis die Max-Spohr-Preise an Arbeitgeber*innen mit vorbildlichem Diversity-Management mit Fokus LGBTIQ verliehen (Foto: VK)
Alle zwei Jahre werden vom Völklinger Kreis die Max-Spohr-Preise an Arbeitgeber*innen mit vorbildlichem Diversity-Management mit Fokus LGBTIQ verliehen (Foto: VK)

Deutschland ist ein Land, was international stark vernetzt ist, viel exportiert, viele Beziehungen zu ausländischen Unternehmen unterhält. Wenn eure VK-Mitglieder Diversity ganz gross schreiben in ihren Unternehmen und Mitarbeiter*innen sich outen und wohlfühlen, wie funktioniert das, wenn sie zum Beispiel in arabische Länder, nach China, nach Polen oder Ungarn versetzt werden? Das ist eine spannende Frage. Wir geben ja alle zwei Jahre den Max-Spohr-Preis heraus, als Preis für vorbildliches Diversity-Management mit einem besonderen LGBTIQ-Fokus. Und da müssen uns Unternehmen, die sich bewerben, solche Fragen deutlich beantworten. Dadurch kommen wir über diese Probleme intensiv ins Gespräch. Letztes Jahr ging der Preis u. a. an die Robert Bosch GmbH, eine Firma, die in den genannten Ländern Niederlassungen hat und produziert. Wir hatten dazu Ende 2020 auch eine virtuelle DiverseCity-Konferenz. Da haben wir viele Beteiligte aus anderen Ländern zugeschaltet und die genau das gefragt, was du gerade gefragt hast.

Was haben sie geantwortet? Wir hatten zum Beispiel Teilnehmer*innen aus Ungarn, die erzählten, dass es einen Unterschied mache, ob du in der Hauptstadt Budapest bist oder auf dem Land. Wenn es Produktionsstätten in eher ländlicheren Regionen sind, dann ist das schwer für LGBTIQ. Da fahren viele deutsche Unternehmen eine Politik, die pragmatisch sagt: Natürlich können wir einem Land nicht unsere Kulturregeln aufdrücken, das hat keine Aussicht auf Erfolg. Aber wir lassen uns unsere Werte nicht verbiegen. Das finde ich auch wichtig. Das heisst, dass Firmen im Austausch mit der Politik des jeweiligen Landes sind und deutlich machen, für welche Werte sie stehen. Das zeigen sie dann, indem sie ihren LGBTIQ-Mitarbeiter*innen bestehende Vorteile aus der Heimat erhalten. Sie sagen: Bei uns im Werk oder bei uns in der Niederlassung gelten die gleichen Werte wie in Deutschland bzgl. Inklusion und Akzeptanz, wir dulden hier keine Diskriminierung, hier können alle frei sein. Das ändert leider nichts daran, dass man in dem Moment, wo man aus der Firma rausgeht, mit einer anderen Situation konfrontiert ist. Viele sagen, dass sie trotz all dem, was ich gerade beschrieben habe, in der Firma nicht so offen sind, weil sie sich mit Kolleg*innen draussen im gesellschaftlichen Leben treffen und nicht wissen, wie dann über sie geredet würde. Da gibt es Anspannung. Deshalb finden wir es wichtig, dass Unternehmen ihre Ex-Pats sehr gut vorbereiten, damit Mitarbeiter*innen genau wissen, was auf sie zukommt, und dass es ein Rückkehrrecht gibt für den Fall, dass es ganz schwierig wird.

Du hast erwähnt, dass es beim VK auch bisexuelle Führungskräfte gibt. Machen sie andere Erfahrungen als Schwule? Nicht unbedingt. Wichtig zu hinterfragen ist auch die Situation von trans Führungskräften. Die Schwulen und Bisexuellen haben letztlich die Wahl, ob sie sich outen wollen oder nicht. Ich denke gerade an ein neues bisexuelles VK-Mitglied, der mit Frau und Kindern zusammenlebt, aber gleichzeitig seine Bisexualität auslebt. Der muss in seiner Firma nicht lügen, wenn er von seiner Frau und seinen Kindern spricht. Es ist ihm überlassen, wie transparent er sein Privatleben machen möchte. Bei trans Kolleg*innen habe ich erlebt, was das in Firmen macht, wenn sie ihre richtige Identität annehmen. Da kennen wir tolle positive Beispiele wie Anastasia Biefang als Bundeswehr-Kommandeurin. Aber es gibt auch kritische Fälle, wo Menschen wirklich in die Knie gezwungen werden und sogar ihren Arbeitsplatz wechseln müssen, weil sie es an der Stelle nicht schaffen weiterzuarbeiten. Bei uns im Verband selbst erlebe ich, dass Bisexuelle sowie trans Personen gut aufgenommen werden. Nicht nur gut, sondern ganz selbstverständlich. Und das ist mir wichtig. Wir fragen die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität auch nicht ab, wenn jemand Mitglied werden will. Unsere Satzung sieht vor, dass jede*r Mitglied werden darf. Bei uns kann auch eine hetero cis Frau Mitglied werden, die sich unserer Sache verschreibt und die Dinge gut findet, für die wir uns einsetzen. In unserer Satzung steht aber, dass wir uns einsetzen für Gleichstellung und gleiche Rechte für männliche LGBTIQ, also das, was die Wirtschaftsweiber als unser kooperierender Verband auf der Frauenseite für weibliche LGBTIQ tun.

Es gibt kritische Fälle, wo Menschen wirklich in die Knie gezwungen werden und ihren Arbeitsplatz wechseln müssen

Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsweibern? Ist das ein unterstützendes Miteinander oder gibt’s Kämpfe um Sichtbarkeit, Rederechte, Fördergelder usw.? Ich habe nie irgendeinen Kampf erlebt, nicht mal im Ansatz, und ich bin jetzt sechs Jahre im VK-Vorstand. Es ist ein sehr gutes, eng verflochtenes kooperatives Miteinander. Wir machen viele Projekte zusammen. Die Wirtschaftsweiber sind in unserer Max-Spohr-Preis-Jury, wir sind gegenseitig bei unseren Jahreshauptversammlungen. Bei ihrer grossen Jubiläumsgala 2019 – zum 20-jährigen Bestehen der Wirtschaftsweiber – war ich mit einem Kollegen eingeladen, um eine Festrede zu halten. Wir waren wie «zwei Hähne im Korb», wenn das Bild erlaubt ist: Über 100 Wirtschaftsweiber im Saal und wir beiden Männer. Wir hatten einen tollen Abend miteinander! (lacht)  Streit wegen Sichtbarkeit gab’s noch nie…

Matthias Weber sprach das Grusswort bei «20 Jahre Wirtschaftsweibe», hier zu sehen mit Claudia Brind-Woody (Vice-President IBM) und den Vorständinnen der Wirtschaftsweiber (Foto: privat)
Matthias Weber sprach das Grusswort bei «20 Jahre Wirtschaftsweibe», hier zu sehen mit Claudia Brind-Woody (Vice-President IBM) und den Vorständinnen der Wirtschaftsweiber (Foto: privat)

Du bist ja auch derjenige, der sichtbar ist! Oft klagen gerade die Lesben über Unsichtbarkeit… Ich persönlich versuche immer, Frauenorganisationen einzubinden und sichtbar zu machen, sowohl mit den Wirtschaftsweibern als auch etwa bei der Gründung unseres LGBTIQ-Dachverbandes, wo Männer- und Frauennetzwerke aus Europa vereint sind. Auch darüber hinaus ist mir vernetztes Arbeiten wichtig, mit Organisationen wie der UHLALA Group von Stuart Bruce Cameron, mit der Prout at Work-Foundation oder der Charta der Vielfalt.

Kürzlich wurde bei einem Parteitag der Linken in Berlin die Drag Queen Gloria Viagra auf die Landesliste gewählt. Ich habe mich beim Anblick des Fotos von ihrer Rede – in Drag – gefragt, ob man so auch in der Führungsebene der deutschen Wirtschaft eine reale Chance hätte? Oder: Könnte Gloria Viagra in diesem Outfit beim VK in der Geschäftsstelle sitzen? Das kann ich mir in der VK-Geschäftsstelle durchaus vorstellen. Ich glaube, es würde sehr viel Aufmerksamkeit generieren. Und das wäre positiv, weil viele unserer Mitglieder daraufhin echtes Interesse hätten, nicht mehr telefonisch mit der Geschäftsstelle zu sprechen, sondern nach Berlin fahren würden, um eine interessante Stunde mit Gloria zu verbringen. Die grundsätzliche Frage ist natürlich, wie «schrill» oder «anders» darf man sein, um in Führungspositionen akzeptiert zu werden? Da sind wir als LGBTIQ-Verband weniger an Drag als Kunstform interessiert, sondern an sexueller Orientierung. Es gibt nicht ohne Grund enorm hohe Quoten von Menschen, die sich nicht trauen, sich in ihrer Firma zu outen. Sie müssen ja vor etwas Angst haben, sonst würden sie es tun! Und solange wir das in Unternehmen ausstrahlen, dass Mitarbeiter*innen Angst haben müssen, haben wir etwas nicht richtig gemacht.

Ich würde gerne noch auf die queere Community selber kommen. Da gibt es ja heftige Streitereien untereinander. U.a. ist die Queer-Bewegung politisch eher links und antikapitalistisch geprägte. Wie ist denn da das Verhältnis zum Völklinger Kreis: seid ihr die bösen «Heuschrecken»? Das was du beschreibst, nehme ich als Phänomen stark und besonders in Berlin wahr. Da würde ich auch nicht sagen, dass sei «die» queere Community, sondern es geht um Teile der Community, die sich entsprechend äussern. Ganz grundsätzlich habe ich nicht den Eindruck, dass wir als Kapitalisten wahrgenommen werden. Wenn ich unsere Arbeit als VK beschreiben sollte, dann tauchen da Themen wie Kapitalismus oder Sozialismus überhaupt nicht auf, auch nicht die politische Links-Rechts-Einordnung. Wir sind überparteilich und haben Mitglieder aus dem gesamten demokratischen Parteispektrum, sowohl Mitglieder von den Linken, Grünen und der SPD, aber auch solche die der FDP oder CDU/CSU näher stehen bzw. da Funktionsträger sind. Wenn man Kapital mit Unternehmen gleichsetzt, dann sind wir als VK immer den Menschen verpflichtet, wir sind kein Netzwerk von Unternehmen. Insofern sehe ich uns vom VK als Teil der queeren Community, entsprechend wollen wir uns auch einbringen.

Ihr habt beim VK jüngere und ältere Mitglieder. Was für unterschiedliche Herangehensweisen ans Thema Diversity siehst du bei den verschiedenen Generationen? Der Intergenerationendialog ist spannend. Wir haben uns deutlich verjüngt in den letzten sieben Jahren. Das finde ich sehr gut. Man merkt, dass das die Kultur im Verband positiv verändert hat. Wir sind viel offener geworden.

Was heisst in diesem Fall offen? Zum Beispiel hätten trans Mitglieder früher noch einen anderen «ersten Moment» gehabt als heute. Das liegt an den zurückliegenden Diskussionen, dass wir uns öffnen wollen, auch für deutlich Jüngere. Wir haben im letzten Jahr unsere Satzung geändert und unsere Zielgruppe geschärft, dass wir auch für angehende Führungskräfte da sind, also auch für Menschen, die noch nicht Führungskraft sind, aber denen Karriere wichtig ist, die eine Firma gründen wollen, Start-ups usw. Wir haben ein Mentoring-Programm aufgelegt. Dabei holen wir 25- bis 35-jährige Männer in den Verband, die bei uns über ein Jahr ehrenamtlich begleitet werden, um ihnen in ihrer Laufbahn als Führungskraft oder Selbständiger Unterstützung zu geben, aber auch bei Fragen zu helfen, wie z. B. «Out im Office». Dabei erlebst du einen Generationenaustausch. Wir haben in NRW ein Mitglied, das weit über 80 Jahre alt ist. Es ist total spannend zu sehen, wie interessant die Gespräche sind, wenn ein 28-jähriger Masterstudent neben ihm sitzt und gemeinsam mit ihm über Karriereplanung nachdenkt, wenn der Jüngere den Älteren fragt, was das damals für ein Gefühl war, als Homosexualität noch strafbar war. Da gibt es viel Interesse am jeweils anderen. Und das mag ich sehr, das möchte ich weiter fördern.

Wir haben ein Mitglied, das weit über 80 Jahre alt ist. Es ist total spannend, wie die Gespräche sind, wenn ein 28-jähriger Masterstudent neben ihm sitzt

Ist es für Junge in der Start-up-Branche heute immer noch schwer, sich zu outen? Schau dir die Statistiken an! Dass Leute mit Siebenmeilenstiefeln nach oben gehen und sich dann in Unternehmen outen, kann man nicht behaupten. Das heisst nicht, dass die Realität schlimm ist, sondern dass die Angst in den Köpfen noch da ist. Bei unseren «Future Leaders» – also den «Mentees», die wir als Verband betreuen – ist die Hälfte ganz selbstverständlich out, da sind sogar viele queere Aktivisten, die in der Community richtig was tun neben ihrem Studium. Aber es gibt auch solche, die in Unternehmen arbeiten, die ich kenne und von denen ich weiss, dass sich da niemand verstecken muss, die sich aber trotzdem nicht trauen sich zu outen. Die haben teils genau die gleichen Vorbehalte wie ich vor 25 Jahren. Deshalb hilft es, Vorbilder zu haben. Und deshalb hilft es auch, sich auszutauschen, über die Erfahrungen der Älteren zu sprechen und festzustellen, dass ein Coming-out ihnen nicht geschadet hat. Auch zu erfahren, dass es beruflich hilft, wenn man offen mit seiner Sexualität im Arbeitsleben umgeht.

Im September 2021 steht in Deutschland eine Bundestagswahl an. Falls eine grün-rot-rote Regierung an die Macht kommen sollte, würdest du das in puncto Diversity als förderlich ansehen? Mir ist erstens wichtig, dass echt demokratische Parteien dieses Land regieren. Und zweitens, dass jede künftige Regierungskonstellation das Thema Diversity ernst nimmt. Wir brauchen keine Augenwischerei, kein Pink Washing, sondern den klaren Willen, Dinge zu verbessern und nach vorne zu bringen, auch für LGBTIQ. Ich habe in der Vergangenheit zu viele Wahlprogramme gelesen, egal von welcher Partei, wo Dinge drinstanden, die dann doch nicht umgesetzt wurden.

Im Land Berlin gibt’s aktuell einen rot-rot-grünen Senat, der sich massiv für LGBTIQ-Themen einsetzt, nicht nur über Klaus Lederer aus schwulen Kultursenator, der gezielt queere Projekt fördert. Da kann man ja aus der Geschichte schon mal ablesen, dass es mehr Einsatz gibt als bei der CDU/CSU, oder? Aber umgekehrt haben bei LGBTIQ-Netzwerken die Straight Allies oft die stärkste Wirkung. Und in Frauennetzwerken hilft es fundamental, wenn überzeugte Männer für die Sache mitkämpfen. Was hätte das für eine Wirkung, wenn die konservativen Parteien, bei denen man einen Einsatz für LGBTIQ-Belange nicht erwartet, mal mit richtig guten Projekten voranpreschen würden? Grundsätzlich gilt für mich: Egal welche Regierung kommt, ich wünsche mir, dass Dinge ernsthaft angepackt und verändert werden. Und ich möchte hier die grossen konservativen Parteien ungern aus der Verantwortung lassen. Nur auf Rot-Rot-Grün zu setzen, um mehr Diversity zu bekommen, wäre mir zu einfach.

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