Sind wir zu viel, zu laut? Nein, sind wir nicht!

Wenn die eigene Stimme zu laut für andere wird

Eine Frau hält ein Megaphon und eine Transflagge
Symbolbild (Bild: Unsplash, Karollyne Videira Hubert)

Fragen nach der «geschlechtlichen Situation», Vorwürfe aus der eigenen Community, Angriffe von aussen: Kolumnistin Anastasia Biefang ringt mit Selbstzweifeln und Druck. Doch ihre Antwort* ist klar – nicht sie ist zu viel. Sie ist nur denen zu viel, die ihre Entschlossenheit nicht aushalten.

Mir schiessen seit Monaten Selbstzweifel durch den Kopf und wühlen tief in meiner Seele. 

Und das Schlimmste daran: Alles wird von aussen getriggert. Warum fühle ich mich plötzlich so wankelmütig? Warum zweifle ich an meiner eigenen Haltung? Warum lasse ich so vieles an mich heran, das sonst an mir abgeprallt wäre? Ist meine Rüstung löchriger geworden?

Einmal war es ein Vorgesetzter, der mich in einem dienstlich gesetzten Setting nach meiner «geschlechtlichen Situation» fragte. Ich verstand zunächst gar nicht, was er wollte. Ich war völlig überrumpelt. 

Das normierte, dienstliche Setting des Gesprächs war abrupt durchbrochen. Ehe ich mich fangen konnte, setzte er nach und erklärte mir, ich sei «per se und in Erscheinung schon eine Herausforderung». Warum ich auch immer so hervorstechen müsse. 

Ich wirke provozierend, sagte er. Ich treibe Menschen – andere Soldat*innen – in Unsicherheit, weil ich «geschlechtlich» so schwer zu lesen sei. Rumms machte es in meinem Kopf. Und ich hatte geglaubt, diesen Punkt hätten wir im Dienst längst überwunden. 

Ein anderes Mal schrieb mir eine Bekannte auf Instagram, mein Aktivismus und mein Auftreten würden ihr Leben als trans Frau zunehmend erschweren. Der Grad an Akzeptanz sinke. Früher sei sie anerkannt gewesen als Frau. Und wieso ich überhaupt so laut schreien würde? Ich müsse doch wissen, dass wir biologisch «einfach nur Männer» seien. Jetzt werde alles nur schlimmer. 

Früher hätte niemand gelitten. Nur die Transaktivist*innen – so wie ich – mit ihren Rufen: «Ich bin eine Frau, sobald ich es sage.» Diese «verrückte Bubble», die keine Ruhe geben könne und ständig ihren «narzistischen Impulsen» nach Öffentlichkeit und Sichtbarkeit nachgebe.

«Sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht beirren zu lassen und dem eigenen Kompass treu zu bleiben, ist schwer.»

Anastasia Biefang

Frauen* und alle Menschen, die nicht in patriarchale Systeme passen, die aufbegehren gegen Unterdrückung und Ungleichheit – egal wie laut oder sichtbar – sind und waren schon immer einfach nur zu . . . ! Zu laut. Zu weinerlich. Zu schnell. Zu viel! Sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht beirren zu lassen und dem eigenen Kompass treu zu bleiben, ist schwer.

Die quälenden inneren Zweifel, getriggert durch Stiche von aussen, anzunehmen und in Kraft zu verwandeln – das ist die eigentliche Herausforderung. Meine Haltung, gespeist aus meinem eigenen Erleben, gibt mir diese Kraft. 

«Wir sind nicht zu viel! Wir sind nur ihnen zu viel. Und sie fürchten unsere Entschlossenheit.»

Anastasia Biefang

Und wenn alle um mich herum sagen: «Du bist zu viel», dann weiss ich inzwischen: Genau das ist richtig. Das Brüllen des Patriarchats ist nur das gequälte letzte Aufbäumen vor dem Zusammenbruch. Wir sind nicht zu viel! Wir sind nur ihnen zu viel. Und sie fürchten unsere Entschlossenheit.

Anastasia Biefang (Illustration: Sascha Düvel)
(Bild: Sascha Düvel)

Die trans Perspektive

Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.

[email protected] Illustration: Sascha Düvel

Weitere Beiträge von Anastasia gibt's in der Kolumne «die trans Perspektive»

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

In Kapstadt ist Obdachlosigkeit für viele trans Frauen Alltag – Sexarbeit oft die einzige Überlebensmöglichkeit. Da die USA ihre Hilfsgelder gestrichen haben und der Bürgermeister Obdachlose von der Strasse holen will, hat sich ihre Situation verschärft. Das ist ihre Geschichte (MANNSCHAFT-Story).

Entdecke weitere Beiträge in unserem Online-Magazin:

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare