Sind wir zu viel, zu laut? Nein, sind wir nicht!
Wenn die eigene Stimme zu laut für andere wird
Fragen nach der «geschlechtlichen Situation», Vorwürfe aus der eigenen Community, Angriffe von aussen: Kolumnistin Anastasia Biefang ringt mit Selbstzweifeln und Druck. Doch ihre Antwort* ist klar – nicht sie ist zu viel. Sie ist nur denen zu viel, die ihre Entschlossenheit nicht aushalten.
Mir schiessen seit Monaten Selbstzweifel durch den Kopf und wühlen tief in meiner Seele.
Und das Schlimmste daran: Alles wird von aussen getriggert. Warum fühle ich mich plötzlich so wankelmütig? Warum zweifle ich an meiner eigenen Haltung? Warum lasse ich so vieles an mich heran, das sonst an mir abgeprallt wäre? Ist meine Rüstung löchriger geworden?
Einmal war es ein Vorgesetzter, der mich in einem dienstlich gesetzten Setting nach meiner «geschlechtlichen Situation» fragte. Ich verstand zunächst gar nicht, was er wollte. Ich war völlig überrumpelt.
Das normierte, dienstliche Setting des Gesprächs war abrupt durchbrochen. Ehe ich mich fangen konnte, setzte er nach und erklärte mir, ich sei «per se und in Erscheinung schon eine Herausforderung». Warum ich auch immer so hervorstechen müsse.
Ich wirke provozierend, sagte er. Ich treibe Menschen – andere Soldat*innen – in Unsicherheit, weil ich «geschlechtlich» so schwer zu lesen sei. Rumms machte es in meinem Kopf. Und ich hatte geglaubt, diesen Punkt hätten wir im Dienst längst überwunden.
Ein anderes Mal schrieb mir eine Bekannte auf Instagram, mein Aktivismus und mein Auftreten würden ihr Leben als trans Frau zunehmend erschweren. Der Grad an Akzeptanz sinke. Früher sei sie anerkannt gewesen als Frau. Und wieso ich überhaupt so laut schreien würde? Ich müsse doch wissen, dass wir biologisch «einfach nur Männer» seien. Jetzt werde alles nur schlimmer.
Früher hätte niemand gelitten. Nur die Transaktivist*innen – so wie ich – mit ihren Rufen: «Ich bin eine Frau, sobald ich es sage.» Diese «verrückte Bubble», die keine Ruhe geben könne und ständig ihren «narzistischen Impulsen» nach Öffentlichkeit und Sichtbarkeit nachgebe.
«Sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht beirren zu lassen und dem eigenen Kompass treu zu bleiben, ist schwer.»
Anastasia Biefang
Frauen* und alle Menschen, die nicht in patriarchale Systeme passen, die aufbegehren gegen Unterdrückung und Ungleichheit – egal wie laut oder sichtbar – sind und waren schon immer einfach nur zu . . . ! Zu laut. Zu weinerlich. Zu schnell. Zu viel! Sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht beirren zu lassen und dem eigenen Kompass treu zu bleiben, ist schwer.
Die quälenden inneren Zweifel, getriggert durch Stiche von aussen, anzunehmen und in Kraft zu verwandeln – das ist die eigentliche Herausforderung. Meine Haltung, gespeist aus meinem eigenen Erleben, gibt mir diese Kraft.
«Wir sind nicht zu viel! Wir sind nur ihnen zu viel. Und sie fürchten unsere Entschlossenheit.»
Anastasia Biefang
Und wenn alle um mich herum sagen: «Du bist zu viel», dann weiss ich inzwischen: Genau das ist richtig. Das Brüllen des Patriarchats ist nur das gequälte letzte Aufbäumen vor dem Zusammenbruch. Wir sind nicht zu viel! Wir sind nur ihnen zu viel. Und sie fürchten unsere Entschlossenheit.
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
Weitere Beiträge von Anastasia gibt's in der Kolumne «die trans Perspektive»
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
In Kapstadt ist Obdachlosigkeit für viele trans Frauen Alltag – Sexarbeit oft die einzige Überlebensmöglichkeit. Da die USA ihre Hilfsgelder gestrichen haben und der Bürgermeister Obdachlose von der Strasse holen will, hat sich ihre Situation verschärft. Das ist ihre Geschichte (MANNSCHAFT-Story).
Entdecke weitere Beiträge in unserem Online-Magazin:
Nr. 122
Kerstin und Laskaar besingen den Herbst | Aktuelle Herbst-Ausgabe 2025
++ schwules Paar verklagt Rumänien ++ Checkpoint mit Diskokugeln ++ Kerstin Ott über ihre Süchte ++ Lynn ist inter ++ Smartphone als Zwang ++ und vieles mehr ++
Online-Magazin
MANNSCHAFT Magazin
Nr. 121
Sommer 2025: «Aurélie» & «Norbert»
++ Fussballerin Aurélie Csillag und die Heim-EM ++ Maler Norbert Bisky über politische Willkür ++ gleichgeschlechtliche Pflegeeltern ++ Andy Bell von Erasure im Interview ++
Online-Magazin
Übersicht
Alle MANNSCHAFT-Ausgaben auf einen Blick!
Das ist die digitale Ausgabe von MANNSCHAFT Magazin: Lies jetzt online alle Inhalte der aktuellsten Ausgabe oder stöbere in vergangenen Ausgaben nach Storys, Hintergrundreportagen, Interviews und noch vielem mehr!
Online-Magazin
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Community
Coming-out-Day: Du bist nicht allein!
Auch im Jahr 2025 kann ein Coming-out als lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter oder queer ein grosser Schritt für einzelne Menschen sein. Am 11. Oktober findet der jährliche Coming-out-Day statt
Von Newsdesk Staff
Schweiz
Bi
Coming-out
Schwul
TIN
Interview
Khalid: «Wenn ich meine queere Identität verdränge, leide ich am Ende»
Das neue Album «After the sun goes down» erscheint an diesem Freitag. Der erste Longplayer seit seinem Outing im Vorjahr.
Von Kriss Rudolph
Queer
Coming-out
Musik
Community
Dating & Sex nach dem Coming-out: Zwischen Hoffnungen und Wirklichkeit
Das Coming-out ist für viele queere Menschen ein Wendepunkt. Endlich offen leben, endlich frei lieben – so die Hoffnung. Doch wie verändern sich Dating, Sexualität und Intimität tatsächlich nach diesem Schritt? Persönliche Erfahrungen und Studien zeigen, dass Erwartungen und Realität oft nicht deckungsgleich sind.
Von Newsdesk Staff
Dating
Coming-out
Lust
Schwul
TIN
USA
Gedenken an Harvey Milk soll getilgt werden, zugunsten von Charlie Kirk
Ein republikanischer Abgeordneter des Bundesstaates Utah hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, um eine dem Schwulen-Aktivisten Harvey Milk gewidmete Strasse nach Charlie Kirk umzubenennen.
Von Newsdesk Staff
News
Aktivismus
International