Regisseur Andrew Ahn: «Im Film geht es um die ‹Wahlfamilie›»

Interview zur queeren Komödie «The Wedding Banquet»

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«The Wedding Banquet»: Der schwule Min (Han Gi-chan) und die lesbische Lee (Lily Gladstone) gehen eine Scheinehe ein. (Bild: Universal Pictures)

Ein schwules Paar inszeniert eine Hetero-Hochzeit für die Grossmutter, während zwei Frauen ihren Kinderwunsch verfolgen – und das alles inmitten einer koreanischen Zeremonie. 

Regisseur Andrew Ahn bringt Ang Lees Klassiker «The Wedding Banquet» als Familienkomödie zurück (MANNSCHAFT berichtete).

Andrew, Ang Lees «The Wedding Banquet» war in den 1990erJahren ein Meilenstein in der Darstellung schwuler Figuren im Kino. Du hast den Film laut eigener Aussage mit deiner Familie gesehen, als du noch sehr jung warst. War er prägend für deinen Werdegang als Filmemacher und als queere Person mit asiatischen Wurzeln? Angs Film hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Ich war acht Jahre alt, als ich ihn das erste Mal sah. Meine Mutter hatte den Film damals aus der Videothek mitgebracht, weil sie gehört hatte, dass er asiatische Protagonist*innen zeigt und bei vielen Weissen beliebt war. Sie hatte jedoch keine Ahnung, worum es ging. So wurde «The Wedding Banquet» der erste queere Film meines Lebens und hinterliess natürlich einen bleibenden Eindruck.

Andrew Ahn
Andrew Ahn (Bild: Janice Chung)

Andrew Ahn

Ist ein preisgekrönter Regisseur, der mit seinem Debütfilm «Spa Night» (2016) internationale Aufmerksamkeit erlangte. Der koreanisch-amerikanische Filmemacher, bekannt für seine Arbeiten zu Serien wie «Bridgerton», setzte sich früh für die Sichtbarkeit queerer Geschichten ein.

Mit seiner queeren Komödie «Fire Island» (MANNSCHAFT berichtete) feierte er einen grossen Erfolg. Nun bringt Ahn eine moderne Neuinterpretation von Ang Lees Kultklassiker «The Wedding Banquet» auf die Leinwand – eine Geschichte, die sowohl queer als auch familiär aufgeladen ist. Kinostart: 5. Juni (in Deutschland, Schweiz und Österreich noch tbd).

War dieser persönliche Bezug der Grund, warum du dich auf das – wenn auch lose angelehnte – Remake eingelassen hast? Zunächst war er der Grund, warum ich die Neuverfilmung nicht machen wollte. Der Gedanke, mich diesem für mich so bedeutsamen Stoff anzunehmen, machte mich nervös. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, wie viel sich in den letzten 30 Jahren für queere Menschen verändert hat.

Schliesslich kam ich zu dem Schluss, dass ich angesichts der neuen Ausgangslage und meiner persönlichen Perspektive auf queere Paar- und Familienkonstellationen einen guten Grund hatte, die Geschichte neu und anders zu erzählen.

Du hast das Drehbuch mit James Schamus geschrieben, der damals am Originalskript beteiligt war. Wie hast du das richtige Mass für die Veränderungen gefunden? Einige Elemente des alten Films waren für mich grundlegend. Es sollte wieder um einen queeren, asiatischen Mann gehen, der sich noch nicht vor seiner Familie geoutet hat. Eine Hochzeitszeremonie war ebenfalls wichtig. Da meine Wurzeln koreanisch sind, wollte ich eine traditionelle koreanische Hochzeit zeigen.

«Das Hauptthema des Films ist für mich die ‹chosen family›. Meine Erfahrungen und Gedanken dazu, als schwuler Mann von einer Ehe oder Kindern zu träumen, habe ich eingebracht.»

Andrew Ahn

Ich fragte mich jedoch, was gewesen wäre, wenn die Frau in der Originalgeschichte ebenfalls queer und mit einer Frau liiert gewesen wäre. So kam die Idee, zwei unterschiedliche queere Paare zu zeigen. Das Hauptthema des Films ist für mich die «chosen family». Meine Erfahrungen und Gedanken dazu, als schwuler Mann von einer Ehe oder Kindern zu träumen, habe ich eingebracht.

Queere Familienplanung, Identitätsfindung oder das Ausloten der eigenen Wünsche sind nicht per se leichte Themen. Trotzdem ist dir ein entzückender Feelgood-Film gelungen. Wie hast du den passenden Tonfall gefunden? Der Prozess ist schwer zu beschreiben und nicht einfach umzusetzen. Es ist zu einem Teil auch Glückssache – oder sagen wir: Alchemie und Magie. Aber zugleich ist intensive, harte Arbeit in jeder Phase des Films entscheidend: im Entwicklungsprozess mit den Produzent*innen, beim Schreiben mit James, beim Besetzen der Schauspieler*innen, am Set und später im Schnitt. Immer und überall geht es um Feintuning und das Überprüfen der eigenen Vision.

Am Ende ist es wohl entscheidend, dass ich als Filmemacher meine eigene Stimme kenne und verstehe. Nach der Londoner Premiere sagte ein Freund, der Film fühle sich an wie Zeit mit mir zu verbringen. Etwas Schöneres kann man mir kaum sagen, denn das zeigt mir, dass meine Stimme ihren Weg auf die Leinwand gefunden hat.

Vielleicht klingt es dramatisch, aber als ihr den Film letzten Sommer gedreht habt, war die Welt, vor allem in den USA, noch eine andere. Hast du damals daran gedacht, dass «The Wedding Banquet» in eine Zeit kommen könnte, in der queeres Alltagsglück stark bedroht ist? Ich mache mir oft viele Sorgen. Bei gesellschaftlichen Veränderungen erwarte ich immer, dass es nach zwei Schritten vorwärts auch einen zurück geht. Der Backlash gegen die queere Community ist ja nicht neu. Auch in meiner Familie habe ich wieder einen wachsenden Konservatismus bemerkt, den ich als überwunden geglaubt hatte. Das ist frustrierend, aber ich hatte nie das uneingeschränkte Gefühl, dass alles gut wird.

Umso wichtiger war es mir, eine Geschichte mit Herz, Freude und Ernsthaftigkeit zu erzählen. Manche empfinden letzteres im Kino als plump, aber ich wollte, dass die Sorgen in «The Wedding Banquet» echt wirken und klar wird, dass es um authentische Gefühle geht. Wenn wir diese nur spielerisch abtun, können wir nicht wachsen – weder als queere Community noch als Gesellschaft.

Lass uns noch über das tolle Ensemble sprechen. Mit Bowen Yang hast du bereits bei «Fire Island» zusammengearbeitet und beschreibst ihn als deine Muse, richtig? Er ist jemand, mit dem ich immer wieder arbeiten möchte. Schon bei «Fire Island» habe ich schnell gemerkt, dass wir uns nicht nur mögen und er mich zum Lachen bringt, sondern dass ich ihn als Künstler und Menschen wirklich verstehe. Das passiert nicht oft.

Deshalb möchte ich weiterhin Rollen für ihn schreiben und gemeinsame Projekte umsetzen. Aber das heisst nicht, dass ich die anderen Schauspieler*innen weniger schätze. Sie alle waren unglaublich grosszügig mit ihrer Zeit und Energie und haben sich als Ensemble liebevoll unterstützt. Es war eine Freude, mit ihnen zu arbeiten.

Die Zusammenstellung des Casts kann man als eklektisch bezeichnen. Wonach hast du die Besetzung der Rollen zusammengestellt? Es spielten viele Faktoren eine Rolle, angefangen mit Gesprächen mit meinen Produzent*innen und meiner Casterin Jenny Jue. Ich schaue viele Filme und Serien, um herauszufinden, wer mir gefällt, und spreche mit Kolleg*innen, um zu hören, wer gut in der Zusammenarbeit ist.

Am Ende folgen lange Gespräche, um zu prüfen, ob wir als Team funktionieren. Das war wichtig, da das Projekt kurzfristig zustande kam und ich keine Zeit hatte, Schauspieler*innen miteinander vorsprechen zu lassen. Ich suchte nach Verletzlichkeit und Begeisterung für das Drehbuch – und fand zum Glück schnell, was ich brauchte.

Verrate uns, warum jede*r für dich die Idealbesetzung war. Angefangen mit Han Gi-chan als Min, der eigentlich mit Bowen Yangs Chris liiert ist, aber für seine koreanische Grossmutter eine Frau heiraten will. Ich habe ihn über ein klassisches Vorsprechen gefunden, weil ich für die Rolle einen Schauspieler aus Korea wollte. Er hatte noch nie auf Englisch gedreht. Ich vergleiche Schauspieler*innen gerne mit Hunderassen. Einige, die vorsprachen, erinnerten mich zu sehr an Golden Retriever. Aber Han Gi-chan hatte etwas von einem Pudel: stolz, temperamentvoll und voller Lebensfreude – genau wie ich mir Min vorgestellt habe.

Kelly Marie Tran und Lily Gladstone spielen, im Sinne des authentischen Besetzens, das lesbische Paar Angela und Lee. Bei Kelly Marie war ich schnell überzeugt, dass sie den Spagat zwischen Komödie und Drama, der für ihre Rolle wichtig ist, perfekt meistern würde. Sie hat die Figur in all ihren Unsicherheiten sehr gut verstanden. Von Lily bin ich ein Fan seit «Certain Women». Für ihre Rolle suchte ich jemanden, der etwas Erdung in den Freundeskreis bringt – und Lily hat eine wundervoll ruhige, geerdete Energie. Sie kann diese vielseitig einsetzen, sorgt hier aber für das liebevolle, fast mütterliche Element.

Und dann sind da noch Joan Chen als Angelas Mutter, die sich als Ally inszeniert, sowie Oscar-Gewinnerin Youn Yuh-jung als Mins Grossmutter, die aus Korea angereist kommt. Unfassbar, beide. Joan ist eine Ikone des chinesischen und amerikanischen Kinos. In unserem ersten Zoomcall sprachen wir nicht über das Drehbuch, sondern nur über unsere Familien. Danach wusste ich jedoch alles, was ich wissen musste. Mit Youn Yuh-jung zu arbeiten war für mich inspirierend. Sie war, auch aus persönlichen Gründen (ihr ältester Sohn ist schwul), begeistert, Teil einer queeren Geschichte zu sein – gerade, weil die konservative koreanische Gesellschaft in diesem Bereich noch Nachholbedarf hat.

Wir müssen noch über den schon erwähnten Drehbuchautor James Schamus sprechen. Als Mit-Autor beider «Wedding Banquet»-Filme und Produzent von «Brokeback Mountain» ist er wirklich der queerste Hetero in Hollywood? Haha, das dürfte ihm gefallen. Mit ihm zusammenzuarbeiten ist eine wundervolle Erfahrung. Er hat ein Filmstudio geleitet, als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent gearbeitet, und ich denke, es gibt kaum jemanden mit einem so allumfassenden, interessanten Blick auf die Filmarbeit wie James. Unsere Kollaboration war für mich eine Lehrstunde, in der ich staunte, wie viel Raum er mir liess, meine eigene Vision zu entfalten und Fehler zu machen. Diese Grosszügigkeit gegenüber einem jüngeren Kollegen hoffe ich auch zu haben, wenn ich in seinem Alter bin.

Zum Abschluss: Wie haben deine Eltern damals auf Ang Lees «The Wedding Banquet» reagiert – und wie nun auf deine Version? Meine Mutter erinnert sich nicht mehr an den Film, obwohl sie ihn ausgesucht hatte. Mein Vater fand es damals erstaunlich, eine Geschichte mit queeren Figuren zu sehen, aber darüber sprachen wir nicht; so war meine Familie. Der Film hinterliess bei mir Spuren.

«Ich bin so glücklich wie das Filmende.»

Andrew Ahn

Meine Eltern sahen meinen Film bei der Weltpremiere in Sundance, denn sie haben mich als queeren Menschen und Künstler immer unterstützt. Das war ein Lernprozess, und sowohl die Mutter- als auch die Grossmutterfigur in «The Wedding Banquet» basieren auf meiner eigenen Familie. Ich kann sagen, dass ich heute genauso glücklich bin wie das Ende meines Films.

Badr und Dali Rtimi sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in Tunesien auf, arbeiten in derselben NGO, geraten beide ins Visier der Polizei. 2019 beantragt Badr politisches Asyl in Dresden. Dali bleibt zurück (MANNSCHAFT-Story).

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