«Es geht um Sex, Macht, Queerfeindlichkeit und Rassismus»
Diese Woche startet die neue Serie «Schwarze Früchte»
Schon mit seinem Kurzfilm «Hundefreund» sorgte Lamin Leroy Gibba für Aufsehen. Nun legt er seine erste eigene Serie vor – und diese achtteilige Dramedy «Schwarze Früchte» über den Mittzwanziger Lalo sucht ihresgleichen im deutschsprachigen Raum.
Wir trafen den 30-jährigen Schauspieler, Drehbuchautor und Filmproduzen in Berlin zum Interview.
Lamin, deine Serie «Schwarze Früchte» erzählt aus dem Leben eines jungen, queeren, Schwarzen Mannes. Hast du erkannt, dass das etwas ist, was es in der hiesigen Fernsehlandschaft so noch nicht gab?
Ich habe nicht so strategisch gedacht, sondern mich einfach gefragt, was mir persönlich fehlt – an Schwarzen Perspektiven, an Stil, Tonalität und Humor. Ich wollte komplexe Charaktere zeigen und ausprobieren, wie weit man mit einem widersprüchlichen Protagonisten gehen kann, von dem sich das Publikum distanzieren möchte, sich aber gleichzeitig in der Unvollkommenheit und Verletzlichkeit der Figur wiedererkennen kann.
Die Hauptfigur Lalo hat einiges mit dir gemeinsam, aber du betonst, dass die Serie nicht autobiografisch ist. War es schwer auszuloten, wie viel Persönliches du in die Rolle einfliessen lässt?
Es war weniger ein bewusster Prozess. Lalo und ich sind Schwarz, queer und aus Hamburg, aber die anderen biografischen Eckpfeiler von Lalos Geschichte in dieser ersten Staffel sind nicht meine, das war immer klar. Doch in vielen Details der Geschichte und in den Charakteren erkenne ich mich wieder.
Die erste Episode beginnt damit, dass Lalo die Eltern seines Freundes kennenlernt. Doch bald stellt sich heraus, dass es in «Schwarze Früchte» auch um seine Freundschaft zu Karla (gespielt von Melodie Siminia) geht . . .
Ja, die Freundschaft der beiden gehört zum Kern der Serie. Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit und stehen an anderen Punkten in ihren Leben. Ihre Beziehung wird auf die Probe gestellt und sie müssen herausfinden, was sie noch zusammenhält. Durch die acht Episoden ziehen sich Fragen, Gedanken und Themen, die mich schon lange beschäftigen.
Zum Beispiel?
Was hat unsere Vergangenheit mit der Gegenwart zu tun? In welchen Beziehungsdynamiken sind wir gefangen? Wie wirkt sich das Fremdbild auf das Selbstbild aus? Wie übernimmt man Verantwortung – auch für das eigene Verhalten? «Schwarze Früchte» ist Drama und Komödie zugleich, und im Idealfall gleichzeitig, so dass man sich nicht immer sicher ist, ob man lachen soll. Es geht um Freundschaft, geistige Gesundheit, Sex, Ehrgeiz, Macht, Mutterschaft, Verantwortung und die Absurditäten des Lebens, auch Queerfeindlichkeit und Rassismus. Letztere sind aber nicht die Hauptthemen, sondern Teil der Erfahrungswelt der Figuren.
Man übertreibt wohl nicht, wenn man die Serie als eine kleine Revolution für die hiesige Branche bezeichnet. Wie bewusst ist dir eigentlich, was euch da gelungen ist?
Mir ist sehr bewusst, dass es ein besonderer Prozess war, diese Serie Wirklichkeit werden zu lassen. Hinter «Schwarze Früchte» steht ein Team, das es ermöglicht hat, dass die Serie und die Vision, die dahinter steckt, so geblieben ist, wie ich sie von Anfang an gesehen hatte, und darüber hinaus gewachsen ist. Da kamen viele Faktoren zusammen: von der langen Phase, in der ich Zeit hatte, alleine an dem Stoff zu arbeiten, dann mit den Produktionsfirmen Jünglinge Film und Studio Zentral zusammenzukommen, die sofort das Potenzial gesehen haben, bis hin zur Filmförderung aus Hamburg, die den Startschuss für die tatsächliche Umsetzung gegeben hat. Und dann hatten wir das Glück, mit der ARD zusammenzuarbeiten, die uns die Freiheit gab, die Geschichte so zu erzählen, wie wir sie erzählen wollten. In einem anderen Kontext, ausserhalb der ARD-Mediathek, wo es im Moment darum geht, neue Geschichten zu erzählen und andere Zielgruppen zu erreichen, hätte es nicht so reibungslos funktioniert.
Gerade weil es eine solche Serie im deutschsprachigen Raum noch nicht gegeben hat, ist der Erwartungsdruck ziemlich hoch, oder? Wie gehst du damit um, dass manche erwarten, «Schwarze Früchte» sei die ultimative Serie über Schwarzes oder Schwarzes queeres Leben in Deutschland?
Immerhin gab es in den letzten Jahren schon Serien wie «Sam – Ein Sachse», «All You Need» oder die sechste Staffel von «Druck», in denen Schwarze Perspektiven im Mittelpunkt standen. Das Besondere an «Schwarze Früchte» ist, dass hauptsächlich Schwarze Figuren Raum einnehmen. Und obwohl wir unterschiedliche Schwarze Perspektiven zeigen, sind diese nicht allumfassend und präsentieren keine allgemeingültige Schwarze und queere Perspektive. Im Gegenteil, ich hoffe, dass es bald noch viele weitere Serien geben wird, die andere Schwarze und queere Geschichten erzählen.
«Das Besondere an ‹Schwarze Früchte› ist, dass hauptsächlich Schwarze Figuren Raum einnehmen.»
Lamin Leroy Gibba
Hast du Angst, was passiert, wenn deine Serie floppt? Wenn die Sender zu dem Schluss kommen, dass so etwas nicht funktioniert, schliesst sich vielleicht auch für andere die Tür . . .
Wenn man nicht der Mehrheitsgesellschaft entspricht, schwingen immer der Druck und die Verantwortung mit, mit meiner Arbeit repräsentativ zu zeigen, wie zukünftige Projekte funktionieren können. Oder eben nicht. Aber ich kann nur mein Ding machen – und hoffen, dass die Leute etwas damit anfangen können.
Viele, die erstmals eine eigene Serie auf die Beine stellen, setzen auf ein Team von erfahrenen Mitstreiter*innen. Du hast dich bewusst mit Menschen umgeben, die noch nie ein Projekt dieser Grössenordnung verantwortet haben, richtig?
Ja, für viele war «Schwarze Früchte» das erste Serienprojekt, und die meisten, die bei uns leitende Funktionen hatten, hatten noch nie so viel Verantwortung bei einer Produktion getragen. So wie die beiden Regiepersonen David Uzochukwu und Elisha Smith-Leverock. Beide hatten noch keine Serienerfahrung und bisher nur Kurzfilme, Musikvideos und Werbefilme gedreht. Aber so wie man mir eine Chance gegeben hat, ohne dass ich vorher beweisen musste, dass ich als Showrunner eine eigene Serie umsetzen kann, wollte ich anderen neue Möglichkeiten eröffnen. Das wurde auch von den Produktionsfirmen und der ARD unterstützt. Ich hoffe, dass sich für all die talentierten Leute in unserem Team weitere Türen in der Film- und Fernsehwelt öffnen.
Lamin Leroy Gibba ...
... ist ein Schauspieler, Autor und Produzent, der mit seiner Serie «Schwarze Früchte» neue Massstäbe setzt in der hiesigen Fernsehlandschaft.
Der 30-Jährige spielt darin die Hauptrolle des Lalo, entwickelte das Konzept der Serie und fungierte als Chefautor. Er studierte Schauspiel und Film in New York. Danach spielte er in Deutschland Theater und war u.a. im Kinofilm «Einfach mal was Schönes» von Karoline Herfurth zu sehen. Zudem beteiligte er sich 2021 an der Initiative «Act Out», in der sich queere Schauspielende für mehr Diversität in der Film- und Fernsehszene einsetzten. «Schwarze Früchte» startet ab dem 18. Oktober in der ARD-Mediathek.
Du selbst hast zunächst Schauspiel studiert. Wusstest du trotzdem schon immer, dass du auch eigene Geschichten erzählen willst?
Ich habe schon als Kind viel geschrieben, aber als ich am Ende meiner Schulzeit gehört habe, dass man sich innerhalb der Branche für eine Sache entscheiden muss, habe ich alles auf die Schauspielerei gesetzt. Meine Uni in New York war aber interdisziplinär. Im Schauspielstudium musste man ein Semester lang auch Theatertexte schreiben und inszenieren. Ich bemühte mich auch um Zugang zu zusätzlichen Filmklassen und am Ende habe ich tatsächlich einen mittellangen Film gedreht.
Warum bist du nach dem Abitur direkt nach New York gegangen?
In der Theater- und Filmwelt hier in Deutschland habe ich keine Möglichkeit für mich gesehen, so zu arbeiten, wie ich es mir wünschte. Es gab keine Zukunft für mich als queeren, Schwarzen Schauspieler, deshalb wollte ich nach England oder Amerika. Letzteres hat geklappt, mit einem Studienplatz und Stipendium. Eigentlich dachte ich, dass ich dort bleibe. Aber nach dem Abschluss wurde mir bewusst, dass ich als Autor aus einer Schwarzen deutschen Perspektive schreibe und schreiben will. Und dass das auch wichtig ist, weil unsere Perspektiven unterrepräsentiert sind. Also habe ich angefangen, Stoffe zu entwickeln, die in Deutschland spielen. Ich gab mir ein Jahr Zeit, um zu sehen, ob das geht. Daraus sind fünf Jahre geworden.
Heute scheint es, als sei die deutschsprachige Film- und Fernsehbranche eine andere als damals, als du weggingst. Hast du den Eindruck, dass Veränderungen im Gange sind, die Bestand haben werden?
Ich hoffe, dass das, was gerade passiert, auch nachhaltig ist. Auf jeden Fall sehe ich viele Veränderungen, die direkt miteinander zusammenhängen, und ich bin froh, ein kleiner Teil davon zu sein. Die Arbeit von Organisationen wie Schwarze Filmschaffende e.V., Label Noir, Berlin Asian Film Network, RomaTrial e.V., Leidmedien oder Queer Media Society haben viel bewegt und verändert. Aber es ist noch so viel zu tun, damit unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt im deutschen Film und Fernsehen abgebildet wird. Dafür brauchen wir jede einzelne Person, die mithilft, und politische Entscheidungen, die die Filmfördermittel gerechter aufteilen und Zugänge erleichtern. Wir brauchen strukturelle Diversität und Inklusion in allen Abteilungen und auf allen Ebenen der Branche. Sonst werden diese Veränderungen bloss punktuelle Momente bleiben.
Der 24-jährige Chukwuebuka Ibeh schreibt im Roman «Wünschen» eindrucksvoll, wie schwierig das Leben für queere Menschen in Nigeria ist (MANNSCHAFT berichtete).
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