TSG-Reform gescheitert: Autonome trans Gruppe greift SPD-Büro an
Nach der gescheiterten Reform des Transsexuellengesetzes in Deutschland ruft eine autonome Gruppe zu Gewalt auf, um Wandel zu erzwingen
Am Wochenende wurde in Haltern am See (im Regierungsbezirk Münster in Nordrhein-Westfalen) ein Anschlag auf ein SPD-Bürger*innenbüro verübt – mutmasslich von «selbsternannten Transgender-Aktivist*innen», wie es in einer Pressemitteilung der SPD vom Sonntagabend heisst.
Bei dem Anschlag wurde u.a. die Aussenwand des Büros beschmiert mit dem Satz «TSG abschaffen!», womit ein inhaltlicher Zusammenhang der Aktion mit der gescheiterten Reform des Transsexuellengesetzes (TSG) letzte Woche hergestellt wird (MANNSCHAFT berichtete). Zur Erinnerung: Fast alle Abgeordneten der SPD-Fraktion hatten im Bundestag zusammen mit einem Grossteil der CDU/CSU und AfD zwei Gesetzesentwürfe von FDP und Grünen abgelehnt, in dem es um mehr Selbstbestimmung von trans Personen ging. Die SPD-Politiker*innen begründeten ihre Ablehnung der Reform in namentlicher Abstimmung damit, dass die Union als Koalitionspartner eine Einigung blockiert habe.
In der Nacht vom Samstag auf Sonntag veröffentlichte eine «Gruppe autonomer trans* Personen» um 3.29 Uhr auf Indymedia («Don’t hate the media, become the media») einen Text, in dem zu lesen ist: «Heute haben wir, ein autonomer Zusammenschluss von trans* Personen das sPD [sic] Büro in Haltern angegriffen. Wir wollen unsere Ohnmacht und Wut darüber ausdrücken, dass sich die sPD lieber für einen bald irrelevanten Koalitionsvertrag einsetzt, als trans* freundliche Politik zu machen.» Deshalb habe man in der Nacht vom 28. auf den 29.05. das SPD-Büro in Haltern «mit Hämmern und Steinen angegriffen, Löcher in die Scheiben geschlagen und mit Farbe ‹TSG abschaffen!› an die Fassade des Gebäudes geschrieben».
Vandalismus vs. demokratischer Diskurs Nadja Lüders, die Generalsekretärin der SPD in NWR, fragt: «Wie kommt man da drauf, wegen einer Abstimmung im Deutschen Bundestag ein SPD-Büro in Haltern am See zu demolieren?» Sie gibt auch gleich selbst eine Antwort: «Dazu braucht es schon eine sehr gefährliche und undemokratische Denkweise. Die Frustration darüber, dass es in Deutschland nicht progressiv genug zugeht bei der Selbstbestimmung, in allen Ehren – wer zu Gewalt und feigem Vandalismus greift, entzieht sich dem demokratischen Diskurs.»
Der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft NRW SPDqueer, Fabian Spies, ergänzt: «Auch für das queere Engagement in unserer Partei war die nicht gelungene Abschaffung des TSG im Bundestag eine Enttäuschung.» Doch mit der Sachbeschädigung von Bürger*innenbüros werde «eine rote Linie des Protests» überschritten, so Spies. «Hetze und Aufrufe zu Hass und Gewalt in den sozialen Medien sind der Nährboden für solche Taten. Dafür haben wir keinerlei Verständnis.»
Hetze und Aufrufe zu Hass und Gewalt in den sozialen Medien sind der Nährboden für solche Taten
Natürlich gehe die Diskussion zur Einführung eines selbstbestimmten Personenstandsrechts ohne Pathologisierung und entwürdigendem Zwangsgutachten bei der SPDqueer weiter, sagt Spies, aber nur mit denen, «die auf dem Boden unseres demokratischen Rechtstaats legitim dafür streiten wollen».
Der Vorfall wirft erneut die Frage auf, wie weit Queer-Aktivismus gehen sollte, der sich selbst auf der moralisch «richtigen» Seite verortet und für den Veränderungen zu langsam vorankommen. Demokratie ist im Grundsatz die Kunst, Mehrheiten für eine bestimmte Position zu organisieren, und das kann oft ein langer gesellschaftlicher Prozess sein. Einige Aktivist*innen haben als Abkürzung den Weg über Gerichte entdeckt, die mit Urteilen manchmal schneller Fakten schaffen.
«Virtue signaling» an die eigene Community? Vielleicht angefeuert durch die entsprechenden Grundsatzurteile glauben manche, keine Überzeugungsarbeit mehr für Mehrheiten leisten zu müssen. Und greifen zu Gewalt, um ihrer Entrüstung über zu langwierige Prozesse Ausdruck zu geben. Ist das dann eine Art «virtue signaling» an die eigene Community? Ist das der gerechte Zorn der Unterdrückten, in einem gesellschaftlichen Klima, das fast nonstop über patriarchale «Privilegien» der heterosexuellen weissen Mehrheitsgesellschaft debattiert und «Machtmissbrauch» anprangert? Wird mit solch einer Aktion wie in Haltern am See der LGBTIQ-Aktivismus vorangetrieben? Hilft solch ein Anschlag trans Menschen weiter, indem die Probleme rund um das TSG abermals Schlagzeilen machen und dadurch möglicherweise neu aufgerollt werden? (MANNSCHAFT berichtete über LGBTIQ-Aktivismus in Pandemiezeiten.)
In ihrem (bislang nicht verifizierten) «Bekenner*innenschreiben» heisst es bei der Gruppe autonomer trans* Personen: «Wir sind uns bewusst, dass dieser Angriff die Abstimmung über das TSG nicht rückgängig macht. Aber wir sind es satt, Spielzeug einer Politik zu sein die sich einen Dreck um uns schert! Das TSG ist verfassungsfeindlich, menschenfeindlich und die Tatsache dass es immer noch existiert ist ein Schlag ins Gesicht jeder trans* Person. Es braucht JETZT ein vernünftiges Selbstbestimmungsgesetz, nicht nach der Bundestagswahl. Deshalb haben wir uns selbst ermächtigt, etwas gegen die Verachtung der sPD für uns zu unternehmen.»
Der stellvertretende Bundesvorsitzende von SPDqueer, Oliver Strotzer, nennt diese Form von queere Selbstermächtigung auf Twitter das «Ergebnis grüner Schaufensteranträge». (Den Tweet hat er inzwischen wieder gelöscht.) Ein Vorwurf, den die Grünen über ihre queerpolitische Sprecherin im Bundestag, Ulle Schauws, umgehend als «niveaulos» zurückwiesen. Ihr Kollege Sven Lehmann ergänzte, der Vorwurf im Zusammenhang mit Haltern sei «einfach nur unverschämt und politisch dumm». Ist er das wirklich?
«Stonewall was a riot» Um nochmals aus dem Schreiben der autonomen trans* Gruppe zu zitieren: «Die Beschädigung eines sPD Büros bringt vielleicht nicht viel, weswegen wir hier an dieser Stelle andere Menschen ermutigen wollen, das Selbe zu tun wie wir.» Ein solcher Aufruf zur Gewalt wird begründet mit den Worten: «Nehmt euch die Nacht zurück, nehmt euch die Strasse zurück. Egal ob […] in der Provinz, oder in Grossstädten.» Denn: «Trans*rechte werden nicht in den Parlamenten beschlossen (wie mensch neulich erst wieder schmerzlich bemerken durfte!) sondern auf der Strasse erkämpft. Und diesen Kampf werden wir gewinnen. […] Stonewall was a riot.»
Im Gespräch mit MANNSCHAFT sagt trans Mann und Autor Till Randolf Amelung («Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik») zu den Vorfällen, dass ein Ereignis solcher Anschläge sein könnte, dass die Zustimmung für trans Aktivismus schwinde. «Dieser Vorfall fügt sich in den gefährlichen Trend ein, Frust und Wut über die Bundespolitik an Kommunalpolitiker*innen auszulassen. Für das SPD-Büro in Haltern ist dies schon der zweite Anschlag 2021. Gewalt gegen Kommunalpolitiker*innen kam in den letzten Jahren eher aus dem rechten Spektrum, man denke an den Fall Henriette Reker bis hin zu Walter Lübcke. Hier ist die Gewalt hingegen eher links-autonom motiviert. Und das ist genauso gefährlich für unsere Demokratie.» (MANNSCHAFT berichtete über die neueste Gewaltstatistik in Deutschland.)
Es ist ein gefährlicher Trend ein, Frust und Wut über die Bundespolitik an Kommunalpolitiker*innen auszulassen
Auch Amelung urteilt kritisch über die TSG-Reform und die Grünen. Zu MANNSCHAFT sagte er am Montagmorgen: «Meine Kritik an dem Grünen-Entwurf ist, dass da zu viele Aspekte untergebracht wurden. Es ging nicht ausschliesslich um einen formalen Akt zur Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags. Der Entwurf beinhaltete auch ein Recht auf medizinische Behandlungen ab 14 Jahren, eine pauschale Strafe fürs Misgendern und Offenbarung des alten Namens. Gerade diese Dinge waren nicht gut durchdacht. Karl-Heinz Brunner liess als queerpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion durchblicken, dass da ein Gesamtpaket untergeschoben werden sollte, was in dieser Form nicht annehmbar war. Es ist nicht nur an der Union gescheitert, sondern eben an den Grünen, weil da zu viel durchgedrückt werden sollte, ohne Kompromisse.»
Die Reform des TSG liegt derweil auf Eis und niemand weiss, wie es weitergehen könnte. Realistisch wird sich politisch erst etwas bewegen, wenn im September 2021 in Deutschland gewählt wird und eine neue Regierung möglicherweise anders abstimmt.
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