Max Appenroth – als erste trans Person bei Mr. Gay Germany
Klischees und Lanzen werden gebrochen
Max Nicolai Appenroth ist 35 Jahre alt und wohnt in Köln. Er promoviert am Institut für Public Health der Charité Universitätsmedizin Berlin zum Zugang zur medizinischen Versorgung von trans Menschen und setzt sich für deren Rechte ein. Mit seinem Projekt #ProudToBeAlive bewarb er sich zum Vorentscheid zum Mr. Gay Germany und hat es in die Vorauswahl geschafft. Damit ist er der erste trans Mensch in dem Wettbewerb, der seit diesem Jahr für «alle offen ist, die sich als männlich identifizieren» unabhängig vom Geburtsgeschlecht. (MANNSCHAFT berichtete).
Die Vorauswahl findet dieses Wochenende vom 26. bis 28. November statt. Dabei konkurriert Max mit anderen 11 Personen, die sich alle um das Amt des Mr. Gay Germany bewerben, um Deutschland beim Mr. Gay World Contest vertreten zu können. Wer das am Ende sein wird, wird im Finale am 17. bis 19. Dezember entschieden.
Was bedeutet es für dich beim Contest mitmachen zu können? Das bedeutet mir sehr viel, vor allem, dass ich es als erste trans Person geschafft habe und meiner Community damit mehr Sichtbarkeit verschaffen kann, da dies mit einer grossen Symbolkraft einhergeht, die notwendig ist. Denn ich höre oftmals von cis schwulen Männern, dass ich in der Community nichts zu suchen hätte, dass ich kein richtiger Mann sei, was auch immer ein «richtiger Mann» sein mag.
Wie bereitest du dich vor auf den Contest? Ich versuche viele kleine Selfcare-Inseln einzubauen, weil ich sehr aufgeregt bin und mich auch inhaltlich intensiv drauf vorbereite. Ich habe in den letzten zwei Wochen viel mit Menschen telefoniert, die darüber berichten (wollen) und versuche Kooperationspartner für meine Kampagnen zu finden. Teil meiner Kampagne ist die Einrichtung einer Krisenhotline für Jugendliche und junge Erwachsene Queers, um ein Hilfsangebot in der Not zu schaffen und hoffe, das alles umsetzen zu können, unabhängig davon, ob ich gewinne oder nicht. Warum denkst du, dass die Teilnahme für trans Personen erst jetzt möglich gemacht wurde? Ich glaube, dass sich noch nicht so viele aus der Community beworben haben, weil uns auch einfach das Selbstbewusstsein fehlt und die nötige Sichtbarkeit, die es braucht, um diesen Schritt zu gehen.
Wie kam deine Zulassung in der LGBTIQ-Community an? Ich bekomme wahnsinnig viel positives Feedback. Von den Menschen, die mir nahestehen natürlich. Aber es schreiben mir auch fremde trans Personen, die mir sagen, wie wichtig es für sie ist zu sehen, dass die Teilnahme für unsere Community endlich möglich ist und sie daraus Kraft schöpfen.
Du wurdest weiblich geboren? Ja, bei mir wurde damals fälschlicherweise das Kreuz bei weiblich gemacht. Ich habe für mich irgendwann festgestellt, dass das nicht richtig ist. Ich identifiziere mich zwar nicht ausschliesslich und eindeutig als Mann, fühle mich aber im männlichen Spektrum ganz wohl. Aber das was gesellschaftlich stereotypisch als Mann gilt, davon bin ich dann doch ein Stück weit entfernt.
Zu welchem Geschlecht fühlst du dich sexuell hingezogen? Ich fühle mich in der schwulen Community zu Hause. Ich bezeichne mich selbst als androsexuell. Aber es ist auch völlig ok, wenn Menschen mich als schwul bezeichnen. Ich bin auch seit 7,5 Jahren mit einem Mann zusammen und seit über vier Jahren sind wir verheiratet.
Wann wurde dir klar, dass ein Community-Projekt wie dein #ProudToBeAlive notwendig ist? Da sich meine Arbeit um den Gesundheitszugang für trans Personen handelt, ist Suizidalität permanent ein Thema (MANNSCHAFT berichtete). Gerade jetzt verstärkt die Pandemie Probleme bei queeren Jugendlichen (MANNSCHAFT berichtete). Es ist auch statistisch belegt, dass junge Queers häufiger von Suizidalität betroffen sind (MANNSCHAFT berichtete), insbesondere trans Menschen. Ich kenne kaum jemanden, der oder die nicht wenigstens einmal in irgendeiner Form darüber nachgedacht hat, mich eingeschlossen. Ich bin froh, dass ich heute noch hier bin. Ich bin froh, dass ich die Stärke gefunden habe, weiterzumachen. Mein Wunsch ist die nächsten Generationen zu stärken. Der Kampf, den wir heute kämpfen ist morgen leider noch nicht vorbei.
In welcher Phase deines Lebens hast du über Suizid nachgedacht? Ich habe nie einen Versuch unternommen. Aber diese Gedanken «Ich wünschte ich wäre normal.» und «Hat mein Leben überhaupt einen Sinn?», die haben mich zu der Zeit als ich meine Vornamen- und Personenstandsänderung durchlaufen habe, was nebenbei gesagt die Ausgeburt der bürokratischen Hölle ist (MANNSCHAFT berichtete), permanent begleitet. Diese Verfahren schränken und entmündigen trans Personen in Deutschland extrem. Das war für mich eine Zeit, in der es mir psychisch richtig schlecht ging, auch aufgrund dieser Ungleichbehandlung, die ich erfahren habe. Ich bin heute so froh darüber, dass ich «nicht normal bin», weil mir das so viel Lebenskraft und Lebensfreude gibt mich nicht immer an irgendwelche Normen halten und einschränken zu müssen. Das möchte ich jungen Leuten klarmachen.
Mein Sein mit anderen zu teilen ist auch eine Art Selbstheilungsprozess.
Bei welcher Altersgruppe kommt dein Projekt am meisten an? Mein Ziel sind LSBTIQ Jugendliche und junge Erwachsene. Ich bin momentan dabei ein trans-empowerndes Kinderbuch herauszubringen, was für Kinder zwischen fünf und zehn ist. Wichtig ist zu sehen, dass laut Statistik die Suizidalität, bei 13-17 jährigen queeren Jugendlichen, extrem hoch ist (MANNSCHAFT berichtete). Das ist eine Phase, in der queere Jugendliche besonders geschützt werden und an die Hand genommen werden müssen. Wenn sie also schon zuvor in Kinderbüchern sehen, dass sie nicht allein so sind, wie sie sind, kann das viel bewirken.
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft sich bzgl. Schwulen, Lesben und Bi-Sexuellen mehr öffnet als trans Personen gegenüber? Homosexualität wird in der Gesellschaft anders angesehen als Transgeschlechtlichkeit, weil es einfach eine andere Sichtbarkeit hat. Zudem gilt Homosexualität seit 1990 schon nicht mehr als psychische Störung oder Erkrankung gilt. Für trans Menschen kam diese Änderung der WHO erst 2019 und so lange der ICD-10 in Deutschland noch gilt, werden trans Personen auch offiziell hierzulande immer noch als psychisch krank eingestuft. Das sollte sich aber mit der Einführung des ICD-11 im kommenden Jahr endlich ändern und den Weg für mehr Akzeptanz ebnen.
Wie war dein Coming-out? Ich hatte drei Coming-outs. Mit 13 als lesbisch, mit 23 als trans, wo die Reise als Max begann und damit der fliessende Übergang zu schwul. Ich habe angefangen, Hormone zu nehmen und begonnen, mit meiner männlich gelebten Identität auch Erfahrungen mit anderen schwulen Männern zu machen. Durch die Transition haben sich für mich Räume eröffnet, die mir vorher verschlossen waren.
Wann ist dir bewusst geworden, dass das dir zugeordnete Geschlecht nicht du bist? Es gab schon Anhaltspunkte in der Kindheit. Aber ich hatte weder Worte noch Wissen, das zu beschreiben. Also habe ich versucht, mich in die Rolle des «Mädchen» zu pressen, die von mir erwartet wurde. Das ist mehr als einmal kläglich gescheitert und war sehr schwer für mich.
Wie hat deine Familie reagiert auf die Coming-outs reagiert? Das erste Coming-out war das schwierigste bzw. für meine Mutter war es erst schwer nachzuvollziehen. Sie hat es aber dann irgendwann auch angenommen. Als ich mich später als trans geoutet habe, haben meine Eltern nicht die Champagnerkorken knallen lassen, aber sie haben es von Anfang an akzeptiert. Ich konnte ihnen damals noch nicht sagen, wo meine Reise hingeht. Sie haben mich aber von Anfang an unterstützt und sind noch heute immer da für mich, dafür bin ich sehr dankbar. Die Stärke, die ich durch meine Familie erfahre, möchte ich anderen Menschen weitergeben, die das nicht haben.
Musst du deine Komfortzone häufiger verlassen? Ich werde jetzt wahrgenommen, wie es sich für mich richtig anfühlt. Damit ist es aber nicht getan, denn ich muss mich trotzdem immer wieder aufgrund der sozialen Gegebenheiten unserer Gesellschaft erklären und outen. Sei es beim Ärzt*innenbesuche oder wenn ich mich, aufgrund meiner offen geführten Ehe, mit anderen Männer treffe. Man begibt sich dadurch immer wieder in eine Gefahr, auch womöglich Transfeindlichkeit zu erleben. Ich habe bspw. in der Vergangenheit immer einen «Packer» in meiner Badehose getragen, weil ich nicht auffallen wollte. Der Moment, in dem ich begriffen habe, dass mich nicht kümmern sollte, was andere von mir denken war für mich sehr befreiend. Da bin ich in meine Komfortzone gerutscht und konnte den Packer getrost zu Hause lassen.
Was hättest du gerne früher gewusst? Ich hätte gerne Vorbilder gehabt. Zur Zeit meines Coming-outs gab es aber nur zwei sichtbare trans Personen, die im öffentlichen Leben standen und zwar als Pornostar und Sportler. Sie haben aber Inhalte vertreten, die nicht auf mich zutrafen und für mich als junge trans Person schwierig zu verstehen waren. Es ist so wichtig zu wissen, dass trans Personen ein glückliches Leben führen können und dass sie trotz der gesellschaftlichen Hürden, die sie nehmen müssen, Menschen sind die, Respekt, Community und Support verdient haben (MANNSCHAFT berichtete). Was mir fehlt, sind sichtbare transmännliche und nicht-binäre ältere Personen. Davon sehe ich im öffentlichen Leben kaum welche. Ich zähle mit meinen 35 selbst schon zu den Älteren.
Woher kommt die meiste Abneigung? Kannst du das klassifizieren? Das kommt meist von Menschen mit rechtem Gedankengut oder jenen, die tradierte Familienbilder vertreten und auch eben von dort, wo es auch einfach etwas aus unterschiedlichen Gründen an Bildung fehlt. Viele lehnen das Unbekannte aus Unwissenheit oder Angst ab. Mit meiner Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit versuche ich den Menschen die Angst zu nehmen, in dem ich sage, ich nehme ihnen nichts weg oder dränge etwas auf. Ich will kein Geschlecht abschaffen, sondern einfach nur meinen Platz in der Gesellschaft. Mehr nicht. Justice through education. Bildung schafft Gleichberechtigung und da will ich hin.
Wie gehst du mit Hass um? Selfcare steht an erster Stelle. Ich habe kein Problem damit zu sagen, ich steh mir am nächsten. Weil, wenn ich nicht funktioniere, kann ich auch nicht mit anderen Menschen positiv interagieren. Unter einem kürzlich geführten Interview mit mir waren unterirdische Facebook-Kommentare. Ich knabbere zwar einen kurzen Moment dran. Aber es ist auch Benzin für meinen Motor, weil ich dann denke: «Jetzt erst recht». Ich versuche solche Erfahrung in Kraft umzuwandeln, die meine Arbeit voranbringt. Diese Öffentlichkeitsarbeit, mein Sein mit anderen zu teilen ist auch eine Art Selbstheilungsprozess.
Wie wichtig ist gendergerechte Sprache? Wichtig. Denn Sprache schafft Realität. Wir sind nun mal eine vielfältige und plurale Gesellschaft. Und wer sich dem verschliesst, wird auf lange Sicht hinten runterfallen. Das schafft Sichtbarkeit und ein gutes Gefühl, wenn man sich darin wiederfindet. Menschen, die damit nichts anfangen können, werfe ich nichts vor. Aber ich frage mich was das Problem ist, denn ihnen wird ja nichts weggenommen.
Was ist deiner Ansicht nach der grösste Erfolg, der innerhalb oder für die trans Community erreicht wurde? Dass Transsein nicht mehr als psychische Erkrankung zählt. Erreicht wurde das durch den unermüdlichen Aktivismus meiner Community hin zur Depathologisierung und den Rufen nach Selbstbestimmung. Trans Personen leiden zwar häufiger an psychischen Erkrankungen, aber nicht aufgrund des Transseins, sondern wegen des gesellschaftlichen Umgangs mit uns. Wir sind nicht psychisch krank, weil wir trans sind! Aber bis das aus den Köpfen der Menschen raus ist, das wird noch eine Weile dauern.
Wie kann man dein Projekt und dich unterstützen? Generell unterstützt man mich, indem man meine Message verbreitet, unabhängig vom Wettbewerb. Für das Contest-Voting kann man auf Instagram, Facebook und YouTube aktiv mitmachen. Dort kann man abstimmen, indem man mein Bild liked und es teilt, noch besser wenn dabei auch noch Mr.Gay Germany verlinkt wird.
Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.
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