Kastration und KZ: So bestraften die Nazis queere Personen
Sie gehören in Österreich bis heute zu den am schlechtesten erforschten Opfergruppen
Die Historiker Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher stellen in Wien einen neuen Forschungsband vor. Homosexuelle und trans Opfer des Nationalsozialismus sollen nicht in Vergessenheit geraten.
In Österreich wurden die nationalsozialistischen Greueltaten lange Zeit verdrängt. Dies hing damit zusammen, dass sich Österreich nach 1945 als erstes Opfer der Nazis präsentierte. Doch nach der «Waldheim-Affäre» im Jahr 1986 war der Opfermythos nicht mehr aufrecht zu erhalten. Langsam begann die Gesellschaft, sich mit der Mitverantwortung Österreichs an der NS-Herrschaft zu beschäftigen. Viele Opfergruppen wurden entschädigt.
Völlig anders war die Situation bei Menschen, die von den Nazis wegen Homosexualität verfolgt wurden. Gleichgeschlechtlich Liebende gehören in Österreich bis heute zu den am schlechtesten erforschten Opfergruppen. «Die Ignoranz der Geschichtsschreibung und der öffentlichen Erinnerung legten einen Teppich des Schweigens«, heisst es dazu im Wiener Mandelbaum Verlag erschienenen Buch «Homosexualität und Nationalsozialismus in Wien».
Zunächst setzten sich Einzelpersonen, die aus emanzipatorischen und aktivistischen Gruppen wie der Hosi Wien stammten, mit dem Thema auseinander. Anschliessend begannen auch Historiker*innen mit entsprechenden Forschungen. 2013 startete schliesslich «QWIEN» (Zentrum für queere Geschichte in Wien) das Projekt der namentlichen «Erfassung der homosexuellen und trans Opfer des Nationalsozialismus in Wien».
Dazu wurden alle erhaltenen Strafakten der Wiener Landesgerichte und des Sondergerichts Wien sowie alle im Österreichischen Staatsarchiv erhaltenen Akten von Wiener Standorten der NS-Militärgerichte digitalisiert und ausgewertet. Dies hat mehrere Jahre gedauert. Jetzt liegen genaue Zahlen und Berichte über homosexuelle und trans Opfer in Wien vor.
In Summe wurden 768 Strafakten gefunden. Darin enthalten sind die Ergebnisse von Hausdurchsuchungen, Protokolle von Ermittlungen und Verhören sowie Dokumentationen von Verhaftungen. Die Dokumente bilden auch die Grundlage für die in dem vorliegenden Buch veröffentlichen Beiträge. Die Expert*innen beschreiben detailliert, wie homosexuelle Menschen als Volksfeinde eingestuft, ausgegrenzt, verfolgt und bestraft wurden.
Im ersten Artikel unterstreichen die Historiker Franz X. Eder und Hannes Sulzenbacher, dass die NS-Ideologen «nicht heterosexuelles Verhalten auch deshalb als so problematisch empfanden, weil dieses aus der polaren Zweigeschlechtlichkeit bzw. Geschlechternorm herausfiel». In den Gerichtsakten sei «immer wieder auf die Verwischung und Auflösung der angeblich natürlichen bzw. gesunden Geschlechtergrenze hingewiesen» worden, weshalb bei trans und inter Personen oftmals auch gerichtsmedizinische Begutachtungen durchgeführt worden seien.
Im Zuge des Zweiten Weltkrieges haben die Nazis das Strafrecht weiter verschärft. Ab 1941 wurden gefährliche Gewohnheitsverbrecher mit dem Tod bestraft. Davon waren auch homosexuelle Menschen, die mehrfach aufgegriffen wurden und verschiedene Sexualpartner hatten, betroffen. Viele Schwule wurden in ein Konzentrationslager eingewiesen. Laut der Opferdatenbank von QWien wurden 119 Männer aus Wien in ein Konzentrationslager deportiert, von ihnen überlebten nur 37. Nach den Jüd*innen sowie Rom*nja und Sinti*zze war die Todesrate unter den homosexuellen Menschen in den Konzentrationslagern am höchsten, wie aus den Forschungsdaten hervorgeht.
Anders als im deutschen «Altreich« haben die Nazis auf dem Gebiet des heutigen Österreichs nicht nur männliche, sondern auch weibliche Homosexualität bestraft. Allerdings war die Intensität der Verfolgung und das Ausmass der Strafen geringer als bei Männern. Natascha Bobrowsky geht in dem Buch in ihrem Beitrag der Frage nach, ob Frauen, die nach Einschätzung der Ermittler und Richter maskulin auftraten und als «Mannweiber» verleumdet wurden, höhere Strafen zu befürchten hatten.
Leider ging ein grosser Teil der Dokumente des Wiener Jugendgerichts verloren. Trotzdem ist es Daniela Pscheiden auf Grundlage von Aktenkopien und Splitterakten gelungen, die Verfolgungspraxis von Jugendlichen, die wegen Homosexualität angeklagt wurden, zu erforschen. In dem Buch befindet sich eine Zusammenfassung ihrer Arbeit.
Jonas Sperber beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Wiener Gestapo-Leitstelle und dem für Homosexuelle zuständigen Referat. Die Gestapo-Leitstelle war die grösste im Dritten Reich. Bei den Verhören wurde nicht nur psychische, sondern auch massiv körperliche Gewalt angewendet, um entsprechende Geständnisse zu bekommen. Neben der Gestapo machte auch die Wiener Kriminalpolizei Jagd auf Homosexuelle, wie Friederike Sudmann schreibt. «Während die Gestapo mit dem ‹Schneeballprinzip› ganze Freundeskreise und subkulturelle Netzwerke aushob und zerstörte, konzentrierte sich die Kripo auf Ermittlungen ausser Haus, verschärfte aber ebenfalls die Intensität», schreibt die Autorin.
So wurden von der Kripo in Wien bekannte Treffpunkte von Homosexuellen observiert, um Schwule sofort festnehmen zu können. In einem anderen Beitrag beschreibt Roman Birke, wie homosexuelle Männer freiwillig der Kastration zustimmten. Sie hofften damit, einer noch heftigeren Strafe wie der Deportation ins Konzentrationslager oder der Todesstrafe entgehen zu können. Das lesenswerte Buch enthält noch viele weitere Beiträge. Den Autor*innen ist für die wissenschaftliche Aufarbeitung zu danken, damit homosexuelle und trans Opfer des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten.
Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher (Hg.): Homosexualität und Nationalsozialismus in Wien, Mandelbaum Verlag, Wien 2023
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