«In My Room» – Mein Vater, das unbekannte Wesen

Das neue Stück von Falk Richter dreht sich um toxische Männlichkeit und die Frage: Ist die Krise der Gegenwart eine Krise der Männlichkeit?

Jonas Dassler in «In My Room» (Foto: Ute Langkafel)
Jonas Dassler in «In My Room» (Foto: Ute Langkafel)

Am Mittwoch hat das neue Stück von Falk Richter «In My Room» seine umjubelte Premiere am Gorki-Theater gefeiert. Der zweistündige Abend zeigt Momentaufnahmen von Söhnen, die sich an ihre Väter, an Familienrituale und Alltagsgeschichten erinnern und gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen.

Nein, ein Vater-Bashing ist es nicht. Wenn die fünf Schauspieler abwechselnd über ihre Erzeuger reden, ist das mal komisch, mal rührend, durchaus traurig, aber auch voller Wärme und Liebe. Das gehört zu den besten Szenen des Abends, der stellenweise etwas zu wortreich und geschwätzig geraten ist, aber über die Länge von weit über zwei Stunden intensiv und über die Kunst der Assoziation aufschlussreich und faszinierend gelingt.

Wofür schämen sich schwule Männer – und wie toxisch ist Scham?

Da sind jene, die ihren Sohn stundenlang gefilmt haben, mit ihm spielten und ihn knuddelten oder Schlittenfahren gingen, und solche, die – konventionell mit einer Frau verheiratet – ihren Sohn nach ihrem Liebhaber nannten. Und da gibt es Väter, die mit der Homosexualität ihres Sohnes hadern: Er darf weiter zu Besuch kommen, sein Partner – dieser «Perverse!» – bleibt aber bitteschön zu Hause. (Einfach ist die Beziehung schwuler Söhne zu ihren Väter wohl nie – MANNSCHAFT berichtete).

Nach den Regeln der Väter hat man sich gefälligst zu richten – auch Heterosexualität gehört dazu. Da sind Väter, für die Männer wie die Western-Legende John Wayne Helden sind, Vorbilder gar (bei anderen ist es Charles Bronson – auch nicht besser). Wayne, der in seinen Filmen den harten Max gibt – der für Ordnung sorgt, keine Widerrede duldet.

Lang anhaltender Applaus und Standing Ovations für «In My Room» (Foto: Kriss Rudolph)
Lang anhaltender Applaus und Standing Ovations für «In My Room» (Foto: Kriss Rudolph)

Da ist man ganz schnell bei den deutschen, erschreckend erfolgreichen Gangsta-Rappern («John Wayne war Bushido», heisst es «In my room» – und so absurd dies klingt, so sehr es das Publikum im Gorki-Theater zum Lachen bringt – so naheliegend ist dieser Bezug). Kollegah, noch so eine Zumutung, die sich Gangsta nennt. Einer, der neue Anführer in Deutschland fordert («Wir haben in Deutschland ein akuten Mangel an Alphas») und von «Bosshaftigkeit» faselt (und seine homophoben Texte nicht problematisch findet – MANNSCHAFT berichtete).

John Wayne damals, Bushido heute – höchst zweifelhafte Mannsbilder, Posterboys in Sachen toxische Männlichkeit. Das ist eine der Brücken, die der Regisseur Falk Richter vom Gestern ins Heute baut.

Auch mit Vaterfiguren, die heute noch vom Gestern gequält werden, von ihren Kriegstraumata. Das gehört zum Schicksal von Söhnen eines gewissen Alters (Falk Richter hat kürzlich seinen 50. Geburtstag gefeiert, sein Vater diente Soldat im Zweiten Weltkrieg). Väter, die im Krieg Unsagbares erlebt haben, die unruhige Nächte verbringen, weil sie die Vergangenheit im Traum verfolgt. Im Fernsehen ist es Alexander Gauland, der sie verfolgt. Er und seine AfD verkörpern Männerbilder – oder verlangen nach ihnen, die vom alten toxischen Wayne’schen Schlag sind. Die sich nicht in Frage stellen (lassen). Für die Sich-Entschuldigen ein Zeichen von Schwäche ist.

Jonas Dassler (Mitte) in «In My Room» (Foto: Ute Langkafel)
Jonas Dassler (Mitte) in «In My Room» (Foto: Ute Langkafel)

Gauland hat seinen Auftritt in einer mystischen Familienaufstellung, in der er immer den Satz «Es war alles nicht so schlimm» plärren darf. Die Schatten Alexander sagen: Lasst uns den Blick von dieser Zeit abwenden.» (gemeint ist die von Gauland «Vogelschiss» der Geschichte genannte Nazi-Zeit) Denn: «Wir haben ganz andere Sorgen: Unsere Frauen sind in Gefahr. Wir müssen unsere Männlichkeit endlich wiederentdecken.»

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Es gibt Dinge, die ändern sich scheinbar nie in Deutschland. Schweinefleisch gehört dazu, auch irgendwie toxisch. Der türkische Vater, von dem einer der fünf Protagonisten von «In My Room» erzählt, kam einst als Gastarbeiter nach Castrop-Rauxel. Das von seinen Gasteltern dargebotene Schweinefleisch wollte er nicht essen. «Du isst was auf den Tisch kommt!», hiess es. Er hungerte lieber. Und heute? Schicken «rechtsbraunversiffte Wutbürger» Morddrohungen an Kitas, in denen Schwein vom Speiseplan gestrichen ist.

Gut, manches ändert sich doch. Da ist das schwule Paar, das Falk Richters Erfolgsstück «Small Town Boy» weiterzuerzählen scheint, das seit sechs Jahren am Gorki läuft (MANNSCHAFT berichtete). Sie haben geheiratet, wie all die Heteros das immer schon gemacht haben, weil sie es seit 2017 dürfen. Aber ihre Sexualität ist eingeschlafen. Alles was man noch hinkriegt, ist gemeinsames Wichsen vor dem Einschlafen. Vor allem den älteren der beiden Männer (er ist 50) stört es, was ihm als Angst vor der eigenen Vergänglichkeit ausgelegt wird, Angst vor dem Sterben. In dieser Szene offenbar sich einmal mehr eine von Richters Stärken – das Beobachten und Analysieren aktueller schwuler Befindlichkeit, ob als Single oder als Paar.

Und wie erbärmlich stirbt es sich, auch – oder vor allem – als Mann. Da sind all die John Waynes und «Alphas» nur noch Schatten ihrer selbst – faseln unverständliches Zeug vor sich hin und schaffen es nicht mal, ihr Krankenhaushemdchen richtig an- und auszuziehen. Diese Männer haben die längste Zeit Ansagen gemacht und die Einhaltung von Regeln aufgestellt.

«In My Room» läuft das nächste Mal am Samstag im Maxim-Gorki-Theater.

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