Anita trifft Mathilde: Lesbische Liebe in einer religiösen Gemeinschaft?

Ein Crowdfundingprojekt sucht Unterstützer*innen für die Graphic Novel

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Anita trifft Mathilde (Bild: Moom Comics)

Der französische Cartoonist Paul Winck erzählt eine erstaunliche Geschichte über zwei Frauen, die sich in einer Glaubensgemeinschaft kennenlernen und verlieben.

Mathilde, eine junge Journalistin, ist auf der Suche nach etwas, das bisher weit ausserhalb ihrer eigenen Erfahrungen liegt. Da stösst sie plötzlich auf eine Gruppe von Menschen, die sehr zurückgezogen leben. Eine spirituelle Gemeinschaft? Eine Sekte? Sie weiss damit kaum etwas anzufangen. Zu stark sind ihre eigenen Vorurteile gegenüber solchen Gruppen von Menschen. Doch sie wagt sich hinein und erlebt dort etwas, mit dem sie nie gerechnet hatte: Dass die Menschen dort trotz ihrer starren Regeln viel differenzierter sind als sie dachte. Und sie findet dort ihre Liebe.

Als Mathilde dort ankommt und für ihre Geschichte recherchieren will, ist sie erst einmal fasziniert von dem Leben im Ashram, wie es dort praktiziert wird. Dieses kloster-ähnliche meditative Leben steht total im Kontrast zu dem, was sie bisher erlebt hat. Nachdem sich aber der Zauber des Neuen bald gelegt hat, irritieren sie die strengen Regeln und die steife Hierarchie immer mehr. Dann geschieht etwas vollkommen Unerwartetes: Sie verliebt sich in eine der Frauen, die dort lebt.

Anita, die Köchin der Gemeinschaft, erweckt das Interesse von Mathilde. Beide interessieren sich füreinander und kommen sich näher. Doch bleibt die Journalistin zunächst distanziert und unsicher. Könnte sie mit einer Frau, die ein solches Leben lebt, wirklich zusammen sein?

Der in Berlin lebende französische Cartoonist Paul Winck hat diese Geschichte für seine Graphic Novel «Zwischen den Bäumen» entwickelt. Die Handlung spielt im abgelegenen Süden Frankreichs. Diese Faszination am Unbekannten, die Mathilde in die religiöse Gemeinschaft hineinführt, hat auch Paul als Heranwachsender erlebt.

«Ich finde es unglaublich faszinierend, wie sehr Religion Teil der Identität sein kann.»

Cartoonist Paul Winck

«Ich bin in den 90ern in einem kleinen Dorf im sehr konservativen Elsass in Frankreich aufgewachsen - stell dir Bayern auf Steroiden vor», sagt Paul gegenüber MANNSCHAFT. Religion sei überall gewesen. Seine Lehrerin habe sogar einmal seine Eltern dazu auffordern wollen, ihm doch irgendwie Religion nahezubringen und dieses «Versäumnis» zu korrigieren. So habe er Religion immer als Aussenstehender wahrgenommen. Er war von religiösen Lebensentwürfen oft fasziniert, weil er das verstehen wollte, was andere Menschen dort so hinein zog.

Paul Winck
Paul Winck (Bild: zVg)

Dass in seiner Geschichte ein Ashram vorkommt, hat ebenfalls biografische Ursachen. Denn mit seinen Hippie-Eltern sei er schon früh in Indien unterwegs gewesen und dort mit religiösen Ritualen in Kontakt gekommen. «Ich finde es unglaublich faszinierend, wie Menschen beginnen zu glauben und wie sehr Religion Teil der Identität sein kann», sagt Paul heute.

Paul ist der Meinung, dass je stärker Technik und wissenschaftlicher Einfluss in der Gesellschaft würden, desto mehr verspürten einige von uns das Bedürfnis nach einer spirituellen Existenz. Solche religiösen Gruppen wollten sich oft von der Gesamtgesellschaft abkoppeln, sagt er. Dadurch wollten sie Ordnung in das Chaos gegenwärtiger Entwicklungen bringen. «Ich glaube, dass diese Verheissung in der heutigen Gesellschaft extrem verlockend ist – sogar für eine Skeptikerin wie Mathilde».

Dies ist bei weitem nicht die erste Graphic Novel von Paul, sich mit den Themen von Selbstfindung und queerem Leben befasst. Auch in seiner ersten Geschichte, «Damals», in der es um einen schwulen Mann aus der Lederszene in London der 80er Jahre ging, interessierte sich Paul bereits für die inneren Dynamiken von Gruppen. Paul setzt dabei offenbar auf einen Trend, denn Graphic Novels werden scheinbar ohnehin in der queeren Community immer beliebter, wie etwa «Starman» über David Bowies Leben, oder auch die «Heartstopper»-Bücher zeigen.

Graphic Novel: Zwischen den Bäumen
(Bild: Moom Comics)

Um ein möglichst realistisches Bild solcher Lebensentwürfe zu zeigen, hat Paul für seine Graphic Novel auch viele Recherchen angestellt und mit Menschen gesprochen, die ein solches Leben gelebt haben. Was er dabei besonders spannend fand, war, dass viele, die in so einer Gemeinschaft leben, reflektierte, offene Menschen seien. Und dass sie ganz unterschiedliche Dinge suchen würden: Manche nach Spirituellem, andere nach einer Gemeinschaft. «Ich hatte das Gefühl, dass ich religiöse Gruppen nicht einfach als manipulative, böse Organisationen darstellen konnte, ohne an der Oberfläche zu bleiben und in ein Klischee zu verfallen», sagt Paul.

Ob der Zugang zu diesem Thema einer Liebe zwischen zwei Frauen für ihn leicht gewesen sei? Er sehe sich als genderfluide Person und liebe es, mit den Geschlechterrollen zu spielen, sie zu biegen oder ins Extreme zu treiben, sagt er. «Ich versuche, die Welt einer lesbischen Frau durch die Augen von Mathilde zu beschreiben. Dieses Buch ist mein Geschenk an all meine lesbischen Freundinnen», erklärt der Cartoonist.

Graphic Novel: Zwischen den Bäumen
(Bild: Moom Comics)

Für das aktuelle Projekt von Paul mit der Liebesgeschichte zwischen Mathilde und Anita, habe man schon 91 Prozent der Finanzierung zusammen, sagt Łukasz Majcher vom Verlag Moom Comics gegenüber MANNSCHAFT. Łukasz ist grosser Fan von Graphic Novels, weil man mit einem Blatt Papier und einem Stift eine ganze Welt erschaffen könne und anders als beim Film keine riesigen Budgets brauche. «Diese Freiheit ist einzigartig», sagt er. Bekannt geworden ist Majcher mit seinem ersten Comic «Power Bear».

Besonders bei queeren Themen würden sich Comics anbieten, findet der Verleger. Komplexe Emotionen wie Einsamkeit, Angst, Depression, oder die Unsicherheit vor einem Coming-out könnten sichtbar gemacht werden. Dies seien alles Gefühle, mit denen Menschen aus der Community oft gleichzeitig zu kämpfen hätten, sagt er. Einzelne gezeichnete Bilder könnten solche Empfindungen auf seine sehr direkte und intime Weise transportieren, findet Łukasz.

Graphic Novel: Zwischen den Bäumen
«Zwischen den Bäumen» (Moom Comics)

Für die Graphic Novel «Zwischen den Bäumen» sei die Finanzierung aber noch nicht vollständig und die Unterstützungsphase in diesem Crowdfundingprojekt laufe noch, sagt der Verleger von Moom Comics. «Es bleiben noch zwei Wochen, und wir brauchen jede Unterstützung».

Hier kannst du Łukasz und Paul bei ihrem Projekt unterstützen.

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