Keine «importierte Ideologie»: So vielfältig und queer ist China

Unter dem Titel «Better Together» werden LGBTIQ aus China porträtiert und erzählen ihre Geschichten

Chaoxiaomi aus der Ausstellung «Better Together» (Foto: Shawn Zhang / All Out)
Chaoxiaomi aus der Ausstellung «Better Together» (Foto: Shawn Zhang / All Out)

Dank der Olympischen Winterspiele in Peking konnte man in den letzten Wochen viel über China lesen. «Aber es gibt auch eine Seite Chinas, die viele wahrscheinlich noch nicht gesehen haben», sagen die Vertreter*innen der Bewegung All Out.

Deshalb seien die stolz darauf, «Better Together» zu präsentieren, ein Fotoprojekt des chinesischen Fotografen Shawn Zhang über die LGBTIQ-Community in China.

Es handelt sich um eine Sammlung von Fotos und Geschichten, die Einblick geben ins Leben von «normalen queeren Chinesinnen und Chinesen», heisst es in der offiziellen Ankündigung. «Wir glauben, dass die Berichterstattung über das Projekt ein wirksamer Weg ist, um Liebe und Verständnis für die wunderbare und vielfältige queere Gemeinschaft in China zu fördern», sagt All Out. (MANNSCHAFT über eine LGBTIQ-Organisation in China, die Ende 2021 den Betrieb einstellen musste.)

Der chinesische Fotograf Shawn Zhang (Foto: Shawn Zhang / All Out)
Der chinesische Fotograf Shawn Zhang (Foto: Shawn Zhang / All Out)

Die virtuelle Ausstellung lädt mit mehreren Kapiteln zum Stöbern ein. Das erste heisst: «Auf der Suche nach Identität.»

Body-Shaming und zerstörtes Selbstvertrauen Im ersten Kapitel wird u. a. die 25-jährige Shan Shan aus Guangdong vorgestellt, die lesbisch ist. Sie erzählt: «Als ich im Teenageralter war, war ich 163 cm gross und wog etwa 50 kg. Ich erinnere mich noch genau an diese Zahlen, weil mein Vater diesen Körper als ‹zu dick› bezeichnete. Und so ist Body-Shaming bis heute Teil meines Lebens und hat mein Selbstvertrauen zerstört. Als lesbische Frau in China wurden meine Identität, mein Körper und mein Leben von den Menschen um mich herum immer abgelehnt. Egal, was ich tue, es scheint, dass ich nie gut genug bin und es nicht verdiene, geliebt zu werden, nicht einmal von mir selbst.»

Erst vor kurzem habe sich Shan Shan dazu entschlossen, sich selbst zu mögen, sagt sie.

Shan Shan aus Guangdong Foto: Shawn Zhang / All Out)
Shan Shan aus Guangdong Foto: Shawn Zhang / All Out)

«Ich weiss, dass das immer leichter gesagt als getan ist, aber ich weiss auch, dass ich es tun muss», so Shan Shan. «Ich werde jedes Jahr ein Foto von mir machen, um meinen Körper zu dokumentieren. Es ist ein Geschenk an mich selbst, und ich hoffe, dass ich meinen Körper am Ende akzeptieren kann.»

«Ein Mädchen mit viel Persönlichkeit» Der 26-jährige Qing Zi sagt als «FtM» aus Guangdong: «Ich habe mir diesen Namen selbst gegeben, als ich in der Grundschule war. Das chinesische Wort ‹Zi› vermittelt normalerweise einen Hauch von Männlichkeit. In meiner Erinnerung ist es der Name eines typischen nordchinesischen Jungen, wie ‹Xiang Zi› oder ‹Hai Zi›. Mir gefällt diese Assoziation, obwohl ich aus dem äussersten Süden Chinas komme. Seit meiner Kindheit hörte ich Kommentare wie ‹ein Mädchen mit viel Persönlichkeit› oder eine Art ‹Existenz jenseits des Geschlechts›. Ich bin immer verwirrt, wenn auf der Geburtsurkunde ‹weiblich› steht, und versuche, eine wissenschaftlichen Erklärung für mein eigenes Ich zu finden.»

Qing Zi aus Guangdong (Foto: Shawn Zhang / All Out)
Qing Zi aus Guangdong (Foto: Shawn Zhang / All Out)

Nach mehr als zehn Jahren des Erforschens habe Qing Zi alle Theorien über den Haufen geworfen, sagt er. Er habe stattdessen selbst die folgende Theorie aufgestellt: «Ich bin ein trans Mann. Glücklicherweise hat diese Theorie bis jetzt standgehalten. Abgesehen von meiner trans Identität gibt es noch eine andere Identität, die für mich von Bedeutung ist: Ich bin Chinese. Ironischerweise stehen diese beiden Identitäten immer im Widerspruch zueinander. Viele Menschen in China sind der Meinung, dass LGBTIQ-Menschen in unserem Land nicht existieren, dass es sich nur um eine importierte Ideologie aus dem Westen handelt, die abgeschafft werden sollte. Obwohl ich dem nicht zustimme, habe ich wenig Selbstvertrauen, wenn ich mit diesem Argument konfrontiert werde, weil meine Identität einfach so ‹international› und ‹westlich› zu sein scheint.» (MANNSCHAFT berichtete über Zensurmassnahmen in China, um die vermeintlich «dunklen Seiten der westlichen Gesellschaft» unsichtbar zu machen.)

Katalysator für individuelles Wachstum Im Kapitel «Auf der Suche nach Liebe» wird u.a. das schwule Paar Yanzi und Yangyi vorgestellt, beide in ihren 30ern.

Yanzi und Yangyi aus Guangdong (Foto: Shawn Zhang / All Out)
Yanzi und Yangyi aus Guangdong (Foto: Shawn Zhang / All Out)

Yangyi sagt: «Ich habe immer geglaubt, dass Wertschätzung das wichtigste Element für eine langfristige Beziehung und der Katalysator für individuelles Wachstum ist. So schätze ich auch Yanzi, den Menschen, den ich liebe, der fleissig, ausdauernd, selbstbewusst im Beruf und dazu auch noch charmant ist. Yanzi und ich arbeiten beide für eine Organisation, die LGBTIQ-Menschen hilft. Wir leben also zusammen und sind Arbeitskollegen. Ich finde es lustig, dass er bei der Arbeit immer zu einer anderen Person wird — er macht die Dinge schwierig, besonders wenn es um die Grenzen zwischen unseren Jobs und unserem Leben geht. Aber ich weiss, dass die dringenden Anliegen unserer Community im Vordergrund stehen, wenn wir unserer Arbeit nachgehen.» (MANNSCHAFT berichtete, dass die Dating-App Grindr in China aus den App-Stores entfernt wurde.)

«Jeder kann irgendwann einmal eine Minderheit sein» Ein weiteres Kapitel trägt die Überschrift «Auf der Suche nach Vielfalt (Jeder kann irgendwann einmal eine Minderheit sein)». Dort kommt u.a. Chaoxiaomi aus Peking zu Wort. Chaoxiaomi wird als «genderqueer» vorgestellt und sagt: «Manche Leute hassen mich, manche mögen mich irgendwie, aber die meisten finden mich einfach nur nervig.»

Der Hauptgrund sei, dass sie nicht erkennen können, ob Chaoxiaomi ein Mann oder eine Frau sei. «Wenn ich meine Maske im Gesicht, meine hochhackigen Schuhe und meine langen Kleider trage, sehe ich nicht viel anders aus als die Mädchen auf der Strasse. Aber wenn ich meine Maske abnehme, ist mein Bart wahrscheinlich so voll, dass er fast mein ganzes Gesicht bedeckt. ‹Diese Person ist schrecklich›, ‹diese Person ist so pervers›, ‹haltet euch alle von dieser Person fern›, ‹diese Person hätte von einem Auto überfahren werden sollen… ›» Weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht anzugehören, scheint nicht wirklich eine Option zu sein.»

Chaoxiaomi aus Peking, diesmal in der Vollversion des Bildes (Foto: Shawn Zhang / All Out)
Chaoxiaomi aus Peking, diesmal in der Vollversion des Bildes (Foto: Shawn Zhang / All Out)

Doch Chaoxiaomi habe diesen «falschen» Weg gewählt: «Manche Menschen wollen Hormone einnehmen, manche wollen sich operieren lassen, manche wollen nichts dergleichen unternehmen und sind trotzdem nicht geschlechtskonform. Wir sind einfach alle trans, und ich bin sowohl trans als auch queer. Ich war sehr erleichtert, nachdem ich meine Identität gefunden hatte, was bedeutet, dass ich mich nicht zwingen muss, nur ein Mann oder eine Frau zu sein. Ich fühle mich wohl und bin sogar ein bisschen verliebt in diese Version von mir. Ich weiss, dass es nur wenige Menschen gibt, die mir zustimmen, aber ich werde weiterhin dieses ‹perverse› Leben führen.»

All Out ist eine globale Bewegung für Liebe und Gleichstellung. Laut Auskunft auf ihrer Homepage will sie tausende Menschen mobilisieren, für eine Welt einzutreten, in der niemand Familie, Freiheit, Sicherheit oder Würde opfern muss, um sie/er selbst zu sein und die Person ihrer Wahl zu lieben.

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