«Die jüngste Tochter»: Lesbisch, muslimisch, verliebt

Hafsia Herzi hat das vielbeachtete Buch von Fatima Daas verfilmt

Nadia Melitti in «Die jüngste Tochter»
Nadia Melitti in «Die jüngste Tochter» (Bild: June Film / Katuh Studio / Arte France / mk2films)

Am 25. Dezember kommt «Die jüngste Tochter» in die Kinos. Regisseurin Hafsia Herzi erzählt die Geschichte der 17-jährigen Fatima, die zwischen Familie, Religion und ihrer lesbischen Identität ihren Platz in der Welt finden muss. MANNSCHAFT traf die Regisseurin zum Gespräch.

Frau Herzi, Ihr neuer Film «Die jüngste Tochter» basiert auf dem gleichnamigen, autobiografischen Roman von Fatima Daas (MANNSCHAFT berichtete). Was reizte Sie an dem Stoff? Die Idee, den Roman zu verfilmen, stammte erst einmal nicht von mir, sondern von meinen Produzentinnen. Nach meiner zweiten Regiearbeit suchte ich nach einer Idee für den dritten Film und sie schickten mir Daas‘ Debütroman «Die jüngste Tochter». Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet – und wurde von der Protagonistin und ihrer Geschichte geradezu überrumpelt.

Bis dato hatte ich noch nie eine literarische Vorlage adaptiert, was mich ehrlich gesagt recht nervös machte. Aber ich wusste, dass ich diesen Film einfach drehen musste. Wobei mich dann im Schreibprozess Fatima zum Glück in vielen langen Gesprächen unterstützte.

Ihre Hauptdarstellerin Nadia Melliti, die beim Festival in Cannes schliesslich als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, stand vorher noch nie vor der Kamera. War das angesichts der Tatsache, dass sie letztlich in jeder Szene zu sehen ist und den Film auf ihren Schultern trägt, nicht ein ziemliches Risiko? Zumindest war es eine Herausforderung. Aber beim Schreiben des Drehbuchs wurde mir schnell bewusst, dass diese Rolle für jeden eine Herausforderung sein würde, ganz gleich, wer sie spielt. Deswegen hatte ich auch die Produzentinnen dazu gedrängt, dass wir so früh wie möglich mit dem Casting beginnen. Wir sahen uns viele professionelle junge Schauspielerinnen an, doch ich wollte das Netz so weit wie möglich auswerfen, und so öffneten wir das Casting auch für Laien. Bei Nadia war ich schliesslich auf Anhieb vom ersten Foto begeistert, das eine Casting-Agentin bei einer Pride-Parade in Paris von ihr gemacht hatte.

Aber ein Foto allein sagt ja noch nichts aus über schauspielerisches Talent … Klar, es gab dann natürlich auch ein richtiges Vorsprechen, ausserdem probten wir ein paar Tage lang. Als wir uns kennenlernten, wusste ich, dass viel Arbeit vor uns lag. Aber ich war trotzdem schnell davon überzeugt, dass Nadia die richtige für die Rolle ist. Sie hatte grosse Lust auf diese Erfahrung, und wir entwickelten schnell Vertrauen zueinander.

Dass Fatima im Film nun, anders als im Buch, Fussball spielt, habe ich zum Beispiel Nadia zuliebe integriert, denn sie ist enorm sportlich und spielt selbst auf ziemlich hohem Niveau. Damit wollte ich ihr den Weg hinein in diese Figur leichter machen. Was auch bestens funktionierte, denn je länger wir an der Rolle arbeiten, desto weniger Unterschiede entdeckte ich zwischen ihr und möglicherweise erfahreneren Schauspielerinnen.

War eine persönliche Nähe zwischen der Schauspielerin und der Figur, die zwischen ihrem muslimisch geprägten Umfeld und ihrer Identität als lesbischer Frau hin- und hergerissen ist, wichtig? Es war nicht so, dass ich ausschliesslich nach Darstellerinnen gesucht habe, deren Biografie sich mit Fatimas deckt. Aber ich würde sagen, dass es Nadia zumindest geholfen hat, dass es bestimmte Berührungspunkte gab und sie einige von Fatimas Erfahrungen selbst gemacht hat. Sie ist selbst Studentin, auch in der familiären Situation gibt es durchaus Parallelen. Wäre ihr diese junge Frau vollkommen fremd gewesen, wäre es sicherlich schwieriger geworden, dass sie sich Fatima mit solcher Intensität verschreibt. Denn eine leichte Rolle ist das auf keinen Fall.

Apropos Laien-Schauspielerinnen: im Pressematerial zum Film berichten Sie von einem Taxifahrer, dem Sie die Rolle als Fatimas Vater anboten. Doch obwohl er davon träumte, mal vor der Kamera zu stehen, lehnte er ab, weil er mit dem Thema Homosexualität nichts zu tun haben wollte. Erlebten Sie so etwas häufig? Darüber, dass uns die Thematik der Geschichte hier und dort Schwierigkeiten bereiten würde, machte ich mir von Beginn an keine Illusionen. Und tatsächlich gab es schon bei der Finanzierung einige Probleme und Berührungsängste. Beim Casting haben wir immer mit ganz offenen Karten gespielt und von vornherein jedem gesagt, worum es in dieser Geschichte geht, um niemanden zu überraschen.

Trotzdem gab es auch Fälle von Darstellerinnen, die erst zusagten, es sich dann aber doch noch einmal anders überlegten, weil sie kalte Füsse bekamen. Das war natürlich etwas mühsam. Hatte aber auch den Vorteil, dass wir beim Dreh schliesslich nur von Leuten umgeben waren, die zu 100 Prozent hinter der Sache standen und Lust darauf hatten.

Das queere Publikum feierte in Cannes und bei anderen Festivals nicht zuletzt eine Partyszene in einem queeren Club, weil gerade im lesbischen Kontext so etwas eher selten auf der Leinwand zu sehen ist. Ahnten Sie, wie wichtig genau diese Szene sein würde? Nein, anfangs überhaupt nicht. In der Vorlage geht es mal am Rande ums Nachtleben, also schrieb ich ins Drehbuch, dass Fatima auf eine Party geht. Da ich selbst ja nicht zur LGBTIQ-Community gehöre, beschloss ich, erst einmal selbst in einem solchen Club feiern zu gehen.

Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie es dort zugeht – und war vollkommen begeistert von der Stimmung. Selten habe ich Menschen so glücklich und ausgelassen, aber vollkommen aggressionsfrei feiern erlebt. Man spürte wirklich: diese Menschen sind eine echte Gemeinschaft und können hier wirklich loslassen, sie fühlen sich wohl, frei und sicher miteinander. Das wollte ich unbedingt für den Film einfangen, so bewegt war ich davon.

Leichter gesagt als getan? Wir haben in einem echten queeren Club in Paris gedreht, das war hilfreich. Die Community empfing uns mit offenen Armen und unterstützte den Film begeistert. Alle rissen sich darum, als Statist*innen in dieser Szene mit dabei zu sein, und waren so gut vorbereitet und gelaunt, dass sich der Dreh tatsächlich wie eine Party anfühlte. Am Ende wollte kaum jemand nach Hause, sondern lieber noch weiterfeiern. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Anfangs drehten wir die Tanzfläche von einer erhöhten Position aus, doch die Stimmung war so elektrisierend, dass ich meinen Kameramann Jérémie Attard irgendwann direkt ins Getümmel schickte. Er protestierte erst, weil ihm die Beleuchtung viel zu dunkel erschien. Aber als ich später die Aufnahmen sah, bekam ich Gänsehaut.

«Als ich später die Aufnahmen sah, bekam ich Gänsehaut»

Hafsia Herzi, Filmregisseurin

Wo wir gerade bei Ihrem Kameramann sind: worauf kam es Ihnen beim Look des Films an?

Jérémie hat schon bei meinen vorangegangenen Filmen mit mir gedreht und weiss, dass ich bevorzugt mit natürlichem Licht arbeite. Mich nervt es immer, wenn ein Kameramann erst einmal drei Stunden braucht, bis er die Beleuchtung eingerichtet hat.

Im Fall von «Die jüngste Tochter» war es mir wichtig, dass der Film noch ein wenig schöner aussieht als meine bisherigen. Da kamen dann nicht zuletzt auch das Kostüm- und Produktionsdesign ins Spiel. Wobei immer Natürlichkeit und Realismus grossgeschrieben wurde und ich auf zu viel Maske grösstenteils verzichtet habe, auch angesichts der vielen Nahaufnahmen.

Von denen gibt es in der Tat viele! Mehr noch als in meinen anderen Filmen wollte ich einfach ganz nah dran sein an Fatima, emotional wie visuell. Ich wollte so viele Gefühle wie möglich einfangen. Wobei ich sehr froh bin, dass sich Nahaufnahmen heutzutage auch herstellen lassen, ohne dass man immer zwingend ganz nah mit der Kamera an den Schauspieler*innen dran ist. Ich wollte Nadia und die anderen auf keinen Fall damit irritieren, dass wir immerzu direkt vor ihrer Nase hängen. Oft waren wir im Gegenteil ziemlich weit weg, damit sie ganz ungehemmt sein konnte, und haben dann lieber herangezoomt. Manchmal sogar erst im Schnitt!

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