Auf dem Weg zur Koalition: Wie wär's mal mit Queerpolitik?
Sorge um das Selbstbestimmungsgesetz
Schaffen Union und SPD bald eine Einigung bei den Koalitionsverhandlungen? Die Spitzenrunde kommt am Montag wieder zusammen. Die SPD lobt den Ton der Gespräche. Aber was ist mit queeren Themen?
SPD-Politiker*innen haben den guten Ton der Koalitionsverhandlungen mit der Union hervorgehoben. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte der Rheinischen Post: «Die Gespräche sind von grossem Respekt und echtem Gestaltungswillen geprägt. In diesem Geist geht es weiter.» Jetzt gelte es, Stabilität und Aufbruch, soziale Sicherheit und wirtschaftliche Stärke zu verbinden. «Daran arbeiten wir», sagte der offen schwule Genosse.
Zum Stand der Verhandlungen erkärte am Wochenende der Queer-Beauftragte Sven Lehmann: «Es steht sehr viel auf dem Spiel für LGBTIQ in Deutschland und weltweit. Bisher gibt es zwischen Union und SPD keine Einigung bei den queerpolitischen Vorhaben. Sollte sich die Union bei den strittigen Punkten durchsetzen, würde das nicht Stillstand, sondern sogar Rückschritte bei der Gleichstellung und Akzeptanz von LGBTIQ bedeuten. Das wäre fatal.»
Man müsse nicht nach Russland, Ungarn oder in die USA schauen, um politische Kräfte zu finden, die LGBTIQ mit forcierten Angriffen und Kampagnen in die Rechtslosigkeit und Unsichtbarkeit zurückdrängen wollen. «Laut Verfassungsschutz agitieren rechtsextreme Gruppen in den letzten Jahren immer offener und aggressiver gegen LGBTIQ und täglich werden in Deutschland sechs queerfeindliche Angriffe erfasst. Die Dunkelziffer ist deutlich höher.»
Eine neue Bundesregierung müsse sich hinter LGBTIQ stellen und dafür sorgen, «dass alle Menschen gleichberechtigt, frei, sicher und selbstbestimmt leben können.»
Zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) liess Sven Lehmann wissen: «Es wäre eine Kampfansage, dieses Gesetz wieder abzuschaffen und transgeschlechtlichen Menschen wieder ihre Rechte zu nehmen. Beim Umgang mit Transgeschlechtlichkeit ist die Politik von Trump eine Warnung, kein Vorbild.»
Erst im November 2024 trat das SBBG in Kraft und ersetzte nach über 40 Jahren endlich das demütigende Transsexuellengesetz. Es gehört zu den bisherigen Forderungen von CDU/CSU, das Selbstbestimmungsgesetzes in der geltenden Fassung abzuschaffen.
«Wir dürfen in diesen Zeiten, in denen Anfeindungen gegen marginalisierte Gruppen zunehmen, nicht in unserem queerpolitischen Engagement nachlassen».
Kalle Hümpfner, Bundesverband Trans*
Zum Trans Day of Visibility am diesem Montag teilte auch der Bundesverband Trans* mit: «Es ist sehr schmerzhaft, dass das Selbstbestimmungsgesetz, das gegen Desinformationskampagnen und trans*feindliche Hetze erkämpft wurde, erneut zu Debatte steht. Der Fortschritt durch das Selbstbestimmungsgesetz darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Diese Forderung, das Gesetz wieder abzuschaffen, trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem geschlechtliche Vielfalt als Bedrohung dargestellt, lächerlich gemacht oder schlichtweg geleugnet wird.» Das sei für alle trans, nicht-binären und inter Personen gefährlich.
«Wir dürfen in diesen Zeiten, in denen Anfeindungen gegen marginalisierte Gruppen zunehmen, nicht in unserem queerpolitischen Engagement nachlassen», so Kalle Hümpfner vom Bundesverband.
Ein weiterer Punkt zum Theme Koalitionsverhandlungen ist der Aktionsplan «Queer leben», wie Lehmann erklärt. «Erstmalig gibt es seit 2022 einen Aktionsplan einer Bundesregierung für den Schutz und die Akzeptanz von LSBTIQ*. Nach zwei Jahren sind 83 von 134 Massnahmen aus dem Aktionsplan bereits umgesetzt oder in Arbeit. An dieser Erfolgsbilanz sollte die neue Bundesregierung unbedingt anknüpfen und den Aktionsplan verstetigen. Es braucht eine aktive Politik gegen Diskriminierung. In spätestens zwei Jahren kommt es zum Schwur, denn dann soll die Bundesregierung erneut über den Stand der Umsetzung berichten und zeigen wie sie sich für die Gleichstellung von LGBTIQ eingesetzt hat.»
Die SPD hat erklärt, man führe den ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan fort, um die Lebensrealität queerer Menschen und Familien besser zu berücksichtigen. Wir schützen queeres Leben noch besser vor Diskriminierung. Die Union lehne den Vorschlag ab, das Thema sei in der Arbeitsgruppe nicht besprochen worden, so Lehmann.
Zur Reform des Abstammungsrechts teilt der Queer-Beauftragte mit: «Die Reform des Familienrechts, bei der die Ampel-Regierung auf einem guten Weg war, muss jetzt zügig umgesetzt werden. Denn die bestehenden gesetzlichen Regelungen diskriminieren vor allem lesbische Mütter und ihre Kinder. Wenn ein Kind in eine Ehe mit zwei Frauen hineingeboren wird, hat es laut Gesetz nur einen sorgeberechtigten Elternteil. Der andere Elternteil, die Co-Mutter, muss adoptieren. Das ist langwierig, belastend und schadet dem Kindeswohl.»
Momentan hätten manche Kinder weniger Rechte und weniger Absicherung als andere, bloss weil sie in Regenbogenfamilien aufwüchsen. «Hier kann die neue Bundesregierung zeigen, dass sie alle Familien stärken will und ihr das Kindeswohl am Herzen liegt.»
Zu seinem Amt schliesslich erklärt der Queer-Beauftragte: «Erstmalig gibt es mit diesem Amt eine direkte Ansprechperson in der Bundesregierung und jemanden, der bei allen relevanten Gesetzen die Perspektive der Community stark macht. Dieses Amt ist Ansprechperson für Verbände und Organisationen und es gehört auch zu den Kernaufgaben, in der Öffentlichkeit für die Rechte und Anliegen von LGBTIQ zu sensibilisieren. Dieses jetzt etablierte Amt ersatzlos wieder abzuschaffen, wäre eine Kampfansage an alle LGBTIQ.» Das Amt müsse erhalten und weiter gestärkt werden.
Dem könnte entgegenstehen, dass die CDU fordert, das «ausgeuferte Beauftragtenwesen des Bundes» um mindestens 50 Prozent zu reduzieren.
News aus Österreich: Es gibt ein «neue Stufe der Eskalation» –Vermummte greifen queere Einrichtungen an. HOSI Wien und Villa Vida werden immer häufiger Zielscheibe von Angriffen (MANNSCHAFT berichtete).
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