Osnabrück: Theaterstück über Missbrauch in der Kirche abgesagt

Im Stück kamen Missbrauchsopfer zu Wort. War das zu viel Realität für die Intendanz?

Theater Osnabrück
Das Theater in Osnabrück, wo Ödipus Exzellenz laufen sollte (Bild: J.-H. Janßen, CC BY-SA 4.0)

Was passiert, wenn ein Theaterstück zu sehr ins Schwarze trifft? In Osnabrück wird es aus dem Spielplan gekickt.

Eigentlich sollte «Ödipus Exzellenz» zur Spielzeiteröffnung am Theater Osnabrück zeigen, was Seneca mit Missbrauchsvertuschung in der katholischen Kirche zu tun hat. Kurz vor der Premiere zieht Intendant Ulrich Mokrusch die Notbremse – das Stück wird abgesagt. Der Vorwurf: zu viel Kritik, zu viel Wahrheit, zu viel Realität.

Regisseur Lorenz Nolting und Dramaturgin Sofie Boiten wollten die Sprache und Logik der Institution entlarven, die in Osnabrück buchstäblich Tür an Tür mit dem Theater liegt. Sie hatten bewusst eine Verbindung zwischen Senecas antiker Tragödie sowie den heutigen kirchlichen Machtstrukturen in der Stadt gesucht. In Osnabrück, einer katholisch geprägten Stadt mit CDU-Bürgermeisterin und sogenanntem «CDU-Abo» im Theater, war die geplante Aufführung von Anfang an brisant – nicht zuletzt, weil eine vom Bistum beauftragte Studie im Vorjahr 400 Missbrauchsfälle im kirchlichen Umfeld dokumentierte (MANNSCHAFT berichtete).

Ein pikantes Detail: Mokrusch soll, laut Künstlerteam, gesagt haben, er wolle «nach dem Stück noch mit dem Generalvikar Kaffee trinken können». Die Botschaft: Lieber kein Theater als schlechte Stimmung mit der Kirche. Dabei hatte das Team Gespräche mit Missbrauchsbetroffenen geführt, sich an Studien orientiert – und einen Betroffenen selbst in die Stückentwicklung eingebunden.

Karl Haucke, der als Kind in einem kirchlichen Internat missbraucht wurde, schrieb mit. Er sollte für Realismus sorgen. Doch was dann passiert, ist kaum zu fassen: Weil ein Vaterunser im Stück auftaucht, fühlt sich der Intendant plötzlich selbst «missbraucht». Das sagt er vor dem gesamten Ensemble. Haucke ist entsetzt – und sagt später gegenüber der Zeit: «Uns Betroffenen diese Begrifflichkeit zu stehlen, um damit ein individuelles Machtinteresse zu verwirklichen, ist unanständig.»

Der Theaterbetrieb, sonst so stolz auf seine Diskursstärke, zeigt sich hier von seiner empfindlichsten Seite – und von seiner schwächsten. Statt die künstlerische Auseinandersetzung zu ermöglichen, wurde das Team entlassen. Die Theaterleitung legte ein Papier vor, in dem gefordert wurde, dass keine religiösen Symbole verletzt werden dürfen. Gottesdienst im Stück? Nur unter Aufsicht. Kunstfreiheit? Unter Vorbehalt. Wer da wem Rechenschaft schuldet, scheint plötzlich nicht mehr klar – das Theater dem Publikum? Der Intendant dem Bistum? Oder vielleicht doch der Kunst dem Gewissen?

Osnabrück ist nicht Berlin oder Zürich oder Wien, könnte man jetzt sagen und das stimmt sicherlich. In einer Grossstadt wäre eine solche Absage ein Aufschrei wert, oder einen Hashtag, einen Solidaritätsbrief. In Osnabrück aber bleibt sie derzeit ein leiser Skandal – einer, der zeigt, wie schnell Kunstfreiheit verhandelbar ist, wenn sie zu konkret wird. Und wie verletzlich kritische und aufklärerische Stimmen bleiben, wenn sie ausserhalb der Grossstadt laut werden.

Mehr: «Leuchtendes Beispiel» – Pride Award für Susanne Baer (MANNSCHAFT berichtete)

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