«Die Zeit ist vorbei, in der cis Männer trans Frauen spielen»

Amy ist eine der ersten offen trans lebenden Musicaldarsteller*innen im deutschsprachigen Raum

Amy: «Das Theater ist für mich ein sicherer Raum»
«Ich möchte nicht immer besetzt werden, weil ich trans bin, sondern weil ich gut bin und man mir vertraut.» (Bild: Rachel Fichtner)

Amy kämpft auf Bühnen und im Leben für trans Menschen. Ihr Ziel: die deutschsprachige Musicalszene revolutionieren. Ihre Geschichte in eigenen Worten, aufgeschrieben von Denise Liebchen.

Schon in der Ausbildung merkte Amy: Hier kann ich sein, wie ich wirklich bin. In der Gesellschaft ist es nicht leicht: «Wir sind zu Staatsfeinden» geworden, sagt sie

Ich glaube, ich kann nichts anderes als auf der Bühne stehen. Aufgewachsen bin ich mit den Disney-Filmen, von denen die meisten auch Musicals sind, und zu Hause habe ich die Szenen nachgespielt. Meistens schlüpfte ich in die Rolle der antagonistischen, bösen Frau: Meine liebste war und ist die Ursula in «Arielle». Es hat sich früh abgezeichnet, wo es für mich hingehen würde.

Gleich nach der Schule – da war ich 17 – bin ich zum Vorsprechen an die Akademie für Darstellende Kunst. Dort hat es dann prompt geklappt. Zum Glück. Denn es hätte für mich keine Alternative gegeben. Ich wüsste nicht, was ich sonst machen soll.

Seit acht Jahren bin ich nun in der Musicalszene verankert – seit Anfang dieses Jahres als Amy, davor noch unter meinem Deadname. Mein Coming-out hatte ich vor zwei Jahren. In meiner Jugend wusste ich nicht, dass man trans sein kann, dass es Hormontherapien gibt. Ich hatte nicht dieses Wissen, das junge Menschen heute haben, mit Tiktok, Instagram.

Während der Corona-Zeit fing es bei mir an, als Nicht-Binarität in aller Munde war. Da dachte ich, oh, vielleicht ist das etwas für mich und habe mich damit gelabelt. Es gibt viele, die nicht labeln wollen, aber ich finde es schön, sich zu etwas zugehörig zu fühlen. Im Laufe der Zeit merkte ich, wie wohl ich mich fühle, weiblicher in Erscheinung zu treten.

«Ich wusste sofort: Ja, Amy ist mein Name. Seitdem bin ich sehr, sehr glücklich mit mir.»

Amy

Das war wie ein Erwachen, als ich merkte: Wow, es ist nicht nicht-binär. Ich bin eine Frau! Das ist es. Das muss es sein. Meine Eltern reagierten so entspannt, als ob es die ganze Zeit klar gewesen wäre. Ihnen fiel auch der Name Amy ein. Ich wusste sofort: Ja, das ist mein Name. Seitdem bin ich sehr, sehr glücklich mit mir.

Im Sommer konnte ich mir einen Traum erfüllen. Ich glaube, wir Musicaldarsteller*innen haben alle insgeheim eine Liste mit Stücken, die wir unbedingt spielen wollen. Auf meiner Liste stand «Jesus Christ Superstar». Ich bin dankbar, dass ich Herodes bei den Luisenburg Festspielen verkörpern durfte. Und das mit einem Inszenierungsteam, das sagte, klar, wir könnten die Rolle des Herodes «normal» mit einem Mann besetzen. Aber die Regisseurin Birgit Simler wollte mich, und zwar als Königin.

Im Stück haben wir auch nie von König Herodes gesprochen, sondern von Her-Rhodes – «her» englisch betont wie das feminine Pronomen «ihr». Das Stück «Jesus Christ Superstar» hat über 50 Jahre auf dem Buckel und in der Besetzung von Herodes haben wir alles gesehen: männlich, weiblich, super queer und nun erstmals mit mir, eine trans Frau; was wir nicht gross betiteln. Also wir sagen nicht, König Herodes ist jetzt eine trans Frau, sondern eine Königin. Das finde ich einen wichtigen Schritt.

In Leipzig spiele ich die trans Frau Helena in dem Kammer-Musical «Ein wenig Farbe». Das war etwas Besonderes für mich, weil es ein intimes Stück über Transidentität ist und noch nie mit einer trans Frau besetzt wurde. Dass ein Haus wie die Musikalische Komödie in Leipzig gesagt hat, wir machen ein Stück über eine trans Person und wollen das mit einer trans Person besetzen, dafür bin ich dankbar.

Das hätten sie anders machen können. Denn in der Uraufführung wurde es von einer cis Frau gespielt, was fantastisch gespielt war, ansonsten nur mit cis Männern. Meiner Meinung nach ist die Zeit vorbei, in der trans Frauen von cis Männern in Kleidern und Perücken dargestellt werden.

Amy
(Bild: Rachel Fichtner)

Über Amy

Amy ist Musicaldarstellerin, Sängerin und Schauspielerin. Sie studierte in Ulm Schauspiel und Gesang an der Akademie für darstellende Kunst. Amy trat bisher u.a. auf als Frank’N’Furter in «The Rocky Horror Picture Show», als Conférencier in «Cabaret», als Gomez Addams in «The Addams Family», als Hedwig in «Hedwig and the Angry Inch», als Leo Bloom im Broadway-Hit «The Producers», jüngst als Herodes in «Jesus Christ Superstar» und als Helena in dem Kammer-Musical «Ein wenig Farbe».

Inwieweit die Musicalbranche diskriminierend ist, ist eine schwierige Frage. In meinem Arbeitsumfeld hat mich niemand bewusst verbal diskriminiert. Wenn ich mich bewerbe und keine Einladung zum Vorsingen bekomme, denke ich mir, okay, die können sich das nicht vorstellen, die wollen das nicht, da fehlt ihnen die Fantasie, vielleicht auch der Mut. Ich glaube, Diskriminierung ist nicht das richtige Wort, eher fehlender Mut, eine fehlende Offenheit für Entwicklung.

Am Broadway und im West End ist der Markt inzwischen offen für trans Frauen – sie spielen Hauptrollen in «Chicago» oder «Wicked». Bei uns ist alles langsamer als im englischsprachigen Raum. Das liegt mitunter an den Musicalverlagen, die streng sind, engstirnig.

Wenn es nach ihnen geht, kauft man die Produktion so ein, wie sie seit 30 Jahren gespielt wird, und ändert kein Wort, keine Tonlage. Solange Theaterleitende kuschen, werden wir in zwanzig Jahren noch das machen, was wir jetzt machen. Wir brauchen mehr Mut, mehr Offenheit. Dafür kämpfe ich.

«Wir trans Menschen sind zu Staatsfeinden geworden.»

Amy

Das Theater ist für mich ein sicherer Raum. Schon in der Ausbildung habe ich gemerkt: Hier kann ich so sein, wie ich wirklich bin. Trans Personen haben es in unserer Gesellschaft nicht leicht – gerade jetzt, wo die sozialen Medien die Sichtbarkeit verstärken. Wir sind zu Staatsfeinden geworden. Wenn eine öffentlich-rechtliche Facebook-Seite etwas zu diesem Thema postet, liest sich die Kommentarspalte wie der Abgrund der Hölle.

Dagegen muss man kämpfen. Genauso gegen die Meinung, dass trans Personen, die in weibliche Schutzräume eintreten, gefährlich sind. Also wenn ich im Theater in der Frauenumkleide bin, bin ich diejenige, die sich unwohler fühlt als die Mädels um mich herum. Von mir geht keine Gefahr aus.

Man muss immer wieder sagen: Wir sind hier, wir sind da und wir sind Teil dieser Gesellschaft, auch im Theater. Gerade dieser Ort ist dazu da, ein Abbild der Gesellschaft zu sein, ein Spiegel der Gesellschaft. Das muss Theater machen. Aber ich möchte nicht immer besetzt werden, weil ich trans bin, sondern weil ich gut bin und man mir vertraut.

Transsein ist meine Geschlechtsidentität, ein Teil von mir, aber es macht mich nicht komplett. Ich will nicht bis in alle Ewigkeit trans Frauen spielen, auch wenn das wichtig ist. Trans Männer und Frauen sollen die Rollen bekommen, die sie sind: Männer oder Frauen.

Amy im Rampenlicht
Amy im Rampenlicht (Bild: Florian Miedl)

Das Problem ist oft, dass die Rollen musikalisch in einer anderen Stimmlage geschrieben sind. Die Theater reden sich damit heraus, dass eine trans Frau mit Bariton keine Sopranrolle singen kann. Für einen trans Mann ist es einfacher, weil seine Stimme sich noch verändern kann. Bei einer trans Frau nicht. Du kannst aus einer Bariton-Person keine Sopranistin machen. Aber es wäre möglich, diese Rollen musikalisch tiefer zu transponieren. Nur wollen das manche nicht und argumentieren, das ginge nicht, weil die Autor*innen es nicht wollten. Komischerweise sitzen die Autor*innen meistens in den USA und dort werden die Stücke umgeschrieben.

Die Oper schreibt seit Jahrhunderten die Rollen in andere Stimmlagen um. Sie nennt es Baritoness, wenn trans Frauen in dieser Stimmlage spielen. Oft halten wir die Oper für konservativ. Dabei führten sie kürzlich in St. Gallen eine Lili-Elbe-Oper auf mit einer Transbaritonesse in der Hauptrolle (MANNSCHAFT berichtete).

Amy: «Für männliche Rollen bewerbe ich mich nicht mehr. Mich kann man nicht mehr unbemerkt in Herrenanzüge stecken.»
«Für männliche Rollen bewerbe ich mich nicht mehr. Mich kann man nicht mehr unbemerkt in Herrenanzüge stecken.» (Bild: Rachel Fichtner)

Die deutschsprachige Musicalszene muss offener werden. Erschwerend hinzu kommt, dass es mehr weibliche als männliche Darstellende gibt, was es für Frauen schwieriger macht, Jobs zu bekommen, und für trans Frauen doppelt so schwer. Für männliche Rollen bewerbe ich mich nicht mehr. Mich kann man nicht mehr unbemerkt in Herrenanzüge stecken.

Erfolg bedeutet für mich, dass es mir gut geht, ich gute Arbeit leiste und in diesem Beruf arbeiten darf. Mein grösstes Ziel ist es, als eine der ersten trans Musicaldarsteller*innen einen Weg zu ebnen und das Genre im deutschsprachigen Raum zu revolutionieren. Dafür braucht es mutige Menschen um mich herum, mutige Menschen in Führungspositionen und gute Autor*innen. Wenn diese Menschen zur richtigen Zeit zusammenkommen, können sie viel verändern, um dieses Genre moderner, offener, zugänglicher zu machen. 

Sie hat gerade den Lauf ihres Lebens. «Padam Padam» katapultierte Kylie Minogue zurück in höchste Chartregionen. Nun ist die australische Popveteranin wieder cool und angesagt. Wir trafen sie in London (zum Interview).

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