Als Mann bietet man mir mehr Geld an: Schauspieler Brix Schaumburg
«23 Jahre lang wurde ich weiblich sozialisiert und den Respekt, den Männer bekommen, den kannte ich nicht.»
Brix Schaumburg gilt als erster offen trans Schauspieler Deutschlands. Seit er sich geoutet hat, verspürt er nicht Privilegien, sondern auch die Verantwortung etwas zu verändern. Seine Geschichte in eigenen Worten, aufgeschrieben von Denise Liebchen.
Man sieht es mir nicht an. Diesen Satz habe ich oft gehört. Warum behandeln wir Menschen anders, wenn man es ihnen ansieht? Mit meinem Coming-out 2019 in unserer eigenen Trans-Theater-Produktion «Transperencia» in Lüneburg war ich einverstanden – und auch mit dem provokanten Satz, dass ich der erste offiziell geoutete trans Schauspieler in Deutschland bin. Denn ich wünsche mir, dass alle so behandelt werden, als würde man es ihnen nicht ansehen. Es ist krass, dass ich heute – fünf Jahre später – kaum andere trans Schauspielende sehe, obwohl ich weiss, dass es mehr gibt.
Ich kann das Erlebte nicht vergessen machen, ob das jetzt der Pay-Gap ist oder sexualisierte Gewalt oder Endometriose.
Brix Schaumburg
Mein lauteres Coming-out hatte ich in der Serie «Sunny – Wer bist Du wirklich?» als trans Mann Nik. Durch RTL und die Bild-Zeitung wurde ich sichtbarer. Was treibt mich dazu an, mich als trans Mann derart zu exponieren? Weil ich überfordert bin mit dem Privileg, dass alles so selbstverständlich ist für mich wie für jeden anderen weissen cis Mann. 23 Jahre lang wurde ich weiblich sozialisiert und den Respekt, den Männer bekommen, den kannte ich nicht. Seit zehn Jahren bin ich Brix und seit acht Jahren sehe ich so aus wie heute – die Hormone haben zwei Jahre gebraucht, um zu wirken. Davor habe ich alles so durchlebt wie die meisten cis Frauen. Und ich kann das Erlebte nicht vergessen machen, ob das jetzt der Pay-Gap ist oder sexualisierte Gewalt oder Endometriose. Ich finde es krass, wie alles auf einmal weg ist, und ich höre: «So okay, du bist ein Mann, willst du mehr Geld?»
Es gibt so viele Communitys, für die ich eine Flagge hochhalten kann. Ich könnte mich einfach zurücklehnen, aber ich wäre von mir selbst enttäuscht, wenn ich mich ins gemachte Nest lege und dann Teil des Problems bin, wieso sich nichts ändert. Lieber nutze ich diese Privilegien, ziehe einen Anzug an, damit mir mehr Leute zuhören.
Ich denke immer an meine Eltern, für die vieles nicht nachvollziehbar ist oder zu schnell geht. Viel Aktivismus ist mir zu wenig inklusiv. Ich möchte niemanden auf einer Aufklärungsreise verlieren, nur weil er sich überfordert fühlt. Lieber baue ich Brücken.
Seit 2019 bin ich unermüdlich dran: Als Sensitivity Reader prüfe ich Drehbücher, arbeite mit der Queer Media Society zusammen, einer ehrenamtlichen Initiative von queeren Medienschaffenden, die bei Act Out mitgemacht haben und aktiv Dinge anstossen, weil Castings an sich nie divers genug sind. Es ist auf jeden Fall diskriminierend – in alle Richtungen. Sehe ich im Fernsehen all die Menschen, die ich in Köln im Park sehe? Ich glaube nicht. Beim Casting heisst es: «Wir finden die Leute nicht.» Das stimmt nicht. Man sucht nicht gut genug. Viele gehen nach drei schlechten Erfahrungen nicht mehr zu Castings. Diejenigen, die ich kenne, wollen nicht mehr zu Castings gehen oder werden nie eingeladen. Das ist ein Rad, das sich nicht richtig dreht. Ich gehe dann lieber in den Austausch und verweise auf die Queer Media Society, wo sie trans Menschen finden.
Que(e)r durchs Land: Vom 15. September bis 7. Oktober 2024 radelt Brix von der Zugspitze bis nach Berlin. Mit dabei ist Robin, auf Instagram bekannt als «transjoyboy». Dabei sammelt Brix Spenden für gemeinnützige und ehrenamtliche Organisationen, die sich für die Community einsetzen. Mehr Infos darüber gibt's hier.
Ich merke, dass sich viel bewegt und die Leute laut sind. Das ist ein schönes Gefühl. Ich bin kein ungeduldiger Mensch, der sagt, es passiert gar nichts, weil ich weiss, dass vieles wirklich auch Zeit braucht.
Die ARD-Serie «Wo wir sind, ist oben», in der ich mitspiele, wurde von Sky produziert, und die haben einen riesigen Casting-Fächer aufgemacht. So muss man das machen, ob man jetzt rollstuhlfahrende oder queere Menschen sucht. Meine Figur ist Sven Grosny, die rechte Hand von Lobbyist Max Lentor, der Hauptperson. Sven hat vor der Transition zwei Kinder zur Welt gebracht und ist mit einem Mann verheiratet. Es gibt eine Szene, in der ich meine zwei Babys bei mir habe und eine Politikerin zu mir sagt: «Wow, Sie sind aber toll mit den Kindern.» Und ich antworte: «Ja, ich hab’ meinem Mann auch zwei Kinder geschenkt.» Das finde ich ziemlich geil.
Was ich mir wünsche, ist, dass die Menschen sich mehr austauschen und zulassen, dass es unbequem ist. Dass sie sich trauen, Fehler zuzugeben. Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir nur Menschen sind und dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen. Wenn eine trans Person von einer cis Person besetzt wurde, dann können wir das abhaken. Es wurde gemacht, aber wir müssen es nicht wiederholen. Ich wünsche mir auch weniger Verurteilung, die heute so schnell passiert, und mehr Diskurs. Seid mutig. Zeigt uns die Vielfalt, die wir im Park sehen. Zeigt uns alle Menschen. Vor allem im Fernsehen heisst es immer: «Das können wir nicht zeigen.» Was können wir nicht zeigen? Uns als Menschen, so wie wir sind?
Ich strahle eine Leichtigkeit aus, die nicht immer in mir steckt. Der Druck, diese Flagge hochzuhalten, kommt nicht von innen. Ich bin froh, dass ich einen Podcast habe, den sich die Leute anhören können, wenn sie Fragen haben. Zu 90 Prozent meines Seins lebe ich einfach, ohne aufzuklären. Ich verschwende keine Energie an Menschen, die diskutieren wollen, ob ein Sein sein darf oder muss, oder ob und wie wir sind. Der erste Satz in meinem Podcast lautet, dass man mich alles fragen kann – die Frage ist nur wie. Und nur, weil man mich alles fragen kann, heisst das nicht automatisch, dass man andere fragen kann. Mein Weg ist mein Weg. Wir trans Menschen sind genauso vielfältig wie alle anderen.
Der erste Satz in meinem Podcast lautet, dass man mich alles fragen kann – die Frage ist nur wie.
Brix Schaumburg
Wie sehr ich mich danach sehne, nicht als trans Mann, sondern als Brix gesehen zu werden? Sehr! Ich finde es wichtig, dass ich aktiv war und bin jetzt froh, dass andere laut sind und aufklären. Ich bin müde und will nicht mehr auf mein Dasein reduziert werden. Seit zwölf Jahren bin ich nun selbstständig und man muss mich nicht in einer Sparte limitieren. Sichtbarkeit ist wichtig. Ich habe gerne dazu beigetragen, dass sie selbstverständlicher wird und dass die Leute erkennen: «Ach, der ist ja ganz sympathisch, dann sind trans Menschen vielleicht doch nicht so schlimm». Aber alles hat seine Dauer – und meine ist jetzt einfach vorbei.
Ich möchte einmal die böseste und am weitesten von mir entfernte Rolle spielen, in der man mich nicht erkennt. Das würde mir gefallen. Mein Ziel ist es, die Leute mit meiner Arbeit zu beeindrucken, ohne reisserische Schlagzeilen wie «erster geouteter trans Schauspieler». Ich möchte mit meiner Arbeit glänzen.
Ich trete als Dragqueen Cherry La Boom auf, was für einen trans Mann ungewöhnlich ist. Schon als Teenager war ich fasziniert von Make-up und High Heels. Cherry war wichtig für mich, eine schöne Maske, um Dinge zu verarbeiten. Die Reaktionen aus der Community sind meistens gut, vor allem, nachdem ein trans Mann bei «RuPaul» in Drag aufgetreten ist. Es gab aber auch negative Reaktionen. Ein älterer schwuler Mann fragte mich einmal, warum ich Drag mache, ich hätte doch einfach eine Frau bleiben können. Das zeigt das Missverständnis über Drag. Jeder kann Drag machen, sogar meine Oma. Drag ist Kunst und nicht an ein Geschlecht gebunden.
Meine Frau und ich sind als Heteropaar verheiratet, und ich bin der Vater unseres Kindes. Wir sind genauso Eltern wie alle anderen Menschen, aber wir haben mehr Rechte als viele andere queere Eltern. Das ist ein Punkt, zu dem ich nicht schweigen kann. Viele Menschen können nicht schwanger werden oder reisen, um Kinder zu bekommen. Darüber wird zu wenig gesprochen.
Der aktuelle Rechtsruck und der Hass gegen queere Menschen machen mir Angst. Manchmal denke ich daran, alles zu löschen und so zu tun, als ginge mich das nichts an, was ich natürlich nie tun würde. Beunruhigend ist, dass nicht nur alte Menschen hassen, sondern auch viele junge. Bei meiner Radtour 2021 war ich noch mit Fahnen und Logos unterwegs. Jetzt würde ich das nicht mehr machen aus Angst, auf der Landstrasse absichtlich überfahren zu werden.
Menschen wählen die AfD und sehen nicht, dass diese Partei keine Lösungen für ihre Probleme bietet. Es gibt gute Webseiten wie campact.de, die gegen die AfD aufklären. Viele tragen Scheuklappen und sagen, sie seien keine Nazis, verstehen aber nicht, was die Partei macht. Wenn die AfD ihre Pläne durchsetzt, werden unsere Ehen annulliert, uns unsere Kinder weggenommen und mir meine Medikamente gestrichen.
Meine Frau und ich reden oft darüber, dass wir, wenn es noch schlimmer wird, nicht in Deutschland bleiben. Man denkt, so schlimm kann es nicht mehr werden, aber wenn Leute, die damals dabei waren, sagen, dass es so angefangen hat, dann ist das beunruhigend. Es brodelt überall, nicht nur hier.
Ich wünsche mir, dass alle mehr bei sich bleiben und das Leben der anderen akzeptieren, ohne es verstehen zu müssen. Einfach gut zueinander sein.
Über Brix
Brix Schaumburg arbeitet als Schauspieler, Autor, Sänger, Moderator, Speaker, Podcaster, Sensitivity Reader und Coach. Er wuchs im Ruhrgebiet auf, verbrachte einige Jahre in Neuseeland, England und der Schweiz, lebte in Hamburg, wo er eine Musical-Ausbildung absolvierte (2010–13), die er an der London Drama School KSA Academy of Performing Arts erweiterte (2014–15). Einem grösseren Publikum bekannt wurde Brix 2020 als Nik in «Sunny – wer bist du wirklich?», einem Spin-off von «Gute Zeiten, schlechte Zeiten». Damit war er nicht nur der erste trans Mann, der einen solchen im deutschen Fernsehen spielte, sondern auch der erste mit einer durchgehenden Hauptrolle im deutschen Fernsehen. Zuletzt brillierte er in der ARD-Serie «Wo wir sind, ist oben» als Lobbyist Sven Grosny. Mit der Sängerin und Schauspielerin Alina Schaumburg ist Brix liiert. Seit 2020 haben sie eine Tochter.
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