Gendern für Fortgeschrittene: Auf der Suche nach eleganten Lösungen
«Ich bin das Alter Ego, also geschlechtsneutral.»
Unser Kolumnist* sitzt am Computer und ist dabei, einen Architekturtext über eine neu gebaute und soeben eröffnete Schule zu verfassen.
Ich (schreibe): «Es ist Montagmorgen. Die Lehrer und Schüler strömen in das neue Gebäude.» Alter Ego (räuspert sich): Und was ist mit den Lehrerinnen und Schülerinnen? Ich: Ach so, stimmt. Ich denke die beim generischen Maskulinum immer noch mit. Wie würdest du das denn schreiben?
Alter Ego: Ich würde von «Lehrerschaft» und «Schülerschaft» sprechen. Ich: Also «Die Lehrer- und Schülerschaft strömt in das neue Gebäude»? Alter Ego: Genau!
Ich: Das klingt unmöglich. Im Übrigen steckt die maskuline Form da immer noch drin. Alter Ego: Dann halt mit Gendersternchen: «Lehrer*innen» und «Schüler*innen». Ich: Nein, das behindert den Lesefluss. Alter Ego: Ein Binnen-I? Schrägstrich?
Ich: Genderpausen mitten im Wort klingen einfach nicht gut. Alter Ego: Dann halt ausschreiben: «Schüler und Schülerinnen». Ich: Unnötig lang. Ausserdem ist das doch reaktionär-binär. Alter Ego: Na gut, dann halt mit neutralen Begriffen. Statt «Lehrer» könntest du die «Lehrenden» schreiben.
Ich: Und für die Schüler dann die «Lernenden», oder wie? «Die Lehrenden und Lernenden strömen in das neue Gebäude»? Wenn ich so was schreibe, finde ich als Schriftsteller nie mehr einen Verlag. Nein, es muss eine elegantere Lösung geben.
Ich klopfe mit einem Stift auf den Bürotisch und überlege.
Ich: Anstelle von «die Lehrer» «der Lehrkörper»? – Nein, das klingt zu anatomisch. – «Die Lehrkörperschaft»? – Noch schlimmer! Alter Ego: Mach dich doch nicht so verrückt! Ich: Ich? Du hast doch damit angefangen! Alter Ego: Ja, und ich habe dir allseits anerkannte Alternativen vorgeschlagen.
Ich: Die mir aber nicht entsprechen. – Also, noch einmal. Anstatt «Schüler» könnte ich «Kinder» verwenden. Besser noch: «Schulkinder». «Lehrerschaft und Schulkinder strömen in das neue Gebäude.» Das passt! Alter Ego: Geht doch! Ich: Weiter im Text. «Es war die Idee der Architekten, den Eingang seitlich zu platzieren, . . .» Alter Ego: War das Team rein männlich?
Ich (die Augen verdrehend): Nein, natürlich nicht. Dann war es halt die Idee des «Architekturbüros» – neutraler geht’s nicht. «. . . und die ABC-Schützen so von der Hauptstrasse fernzuhalten.» Alter Ego: «Schützen» sind männlich. Ich: Mann, du nervst! Alter Ego: Wer sagt dir eigentlich, dass ich mich als Mann identifiziere? Ich: ???
Alter Ego: Ich bin das Alter Ego, also geschlechtsneutral. Ich: Du bist ein Teil von mir, also cis-männlich!! Alter Ego: Du denkst in Schubladen. Ich: Hallo? Ich bin ja wohl noch Herr über meine eigenen Identitäten!
Alter Ego: Herr?! Ein Patriarch bist du! Ich: Ich kann nicht glauben, dass ich mich gerade mit meiner inneren Stimme streite! Alter Ego: Höchste Zeit, dass wir darüber reden. Ich habe nämlich . . .
Es wird ein langer Nachmittag. (Mitteilung der Redaktion: Der Autor musste sich nach Abgabe seines Textes mit einer Identitätskrise in Behandlung begeben.)
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com eine Kolumne oder einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Die Sprache gehört uns allen und wenn sie sich ändert, bricht Streit aus. Die einen schreien «Gender-Terror», die anderen fordern «Gleichheit». Dabei sollte es längst nicht mehr um das Ob gehen, sondern um das Wie. Und um die Fakten (MANNSCHAFT berichtete).
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