Umfragen wie bei Planetromeo «werden sehr dilettantisch geführt»

Wahlplakaten mit Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD)
Wahlkampf in Deutschland (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

Einer Umfrage von Planetromeo zufolge wählen queere Männer die AfD auf Platz 1 (MANNSCHAFT berichtete). Der Berliner Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski findet solche Befragungen «dilettantisch» und «wertlos».

Im Interview erklärt er die Gründe, spricht von «geborgter Akzeptanz» und hat für Co-Chefin Alice Weidel eine unerfreuliche Prognose.

Patrick Wielowiejski (36) empfängt zum Interview in seiner Wohnung in Neukölln. Der Berliner Kulturanthropologe hat sich in seiner Dissertation mit Homosexuellen in der AfD beschäftigt und sie für zwei Jahre in begleitender Feldforschung untersucht. Nur wenige Tage vor dem Interview hat die Dating-Plattform Planetromeo eine Umfrage veröffentlicht, nach der fast 30 Prozent der Homosexuellen in Deutschland die AfD wählen würden.

Patrick Wielowiejski
Patrick Wielowiejski (Foto: privat) (Bild: privat)

Herr Wielowiejski, hat die Romeo-Umfrage Sie überrascht?

Das ist ja nicht die erste Umfrage, die das andeutet. Also nein, überrascht hat es mich nicht. Aber nicht, weil ich gewusst hätte, dass alle Schwulen AfD wählen, sondern weil ich weiß, dass diese Umfragen einfach sehr dilettantisch geführt werden und somit das Ergebnis wertlos ist. Mitglieder von Romeo, noch nicht einmal alle, bekommen eine Nachricht und der Link zur Umfrage kann leicht kopiert werden. Meiner Meinung nach sollte Romeo aufhören, diese Umfrage zu machen, weil die nur die AfD befördern.

Das Ergebnis ist also nicht aussagekräftig?

Genau. Im Prinzip wählen die Mitglieder von Romeo selbst aus, ob sie teilnehmen und es können auch leicht Menschen ausserhalb des Netzwerks teilnehmen. Wir wissen nicht, ob AfD-Mitglieder mit höherer Wahrscheinlichkeit teilnehmen oder ihre Freunde aufgefordert haben, mitzumachen. Es könnte schliesslich auch sein, dass Grüne und SPD-Anhänger nicht auf Romeo präsent sind. Kurz: Wir können mit diesen Zahlen einfach nicht arbeiten.

Andererseits wollen wir ja heute genau über die Homosexuellen reden, die sich ganz bewusst für die AfD entscheiden. Denn das Phänomen gibt es ja wirklich.

Genau, aber nochmal: Ich will nicht das Narrativ befördern, dass Schwule nach rechts driften. Das ist nicht der Fall, es gibt sogar Studien, die das Gegenteil andeuten. Aber gut, ja, ich hab eben zwei Jahre lang ethnografisch in der AfD geforscht, also habe mich mit einer Gruppe von schwulen AfDlern beschäftigt, den «Alternativen Homosexuellen».

Abkürzung «AH», wie Adolf Hitler?

Nein, sie sagen «AHO».

Was sind das für Leute?

Manche von denen waren gebildet, hatten studiert oder einen wohlhabenden Hintergrund, andere waren aus der sogenannten Arbeiterklasse. Manche haben erst später im Leben sich für rechte Politik interessiert, andere hatten schon immer rechtsnationales Gedankengut – und dann kam die sexuelle Orientierung erst sozusagen oben drauf.

Gab es nur Schwule in der AfD, keine Lesben?

Ich spreche bewusst nicht von LGBT, weil ich nur Männer getroffen habe, die sich geoutet haben. Lesbische Frauen gibt es ausser Alice Weidel auch nicht und wenn, sind sie nicht organisiert wie die Schwulen in der AfD.

Aber über sie reden wir gleich sowieso noch. Aber noch einmal zu den Männern. Was sind das für Typen?

Zum einen sind das Männer, für die Männlichkeit eine wichtige Rolle spielt. Sie wollen als respektable Homosexuelle wahrgenommen werden, die bürgerlich sein wollen, die in die Institutionen der liberalen Demokratie aufgenommen werden wollen. Sie wollen heiraten dürfen und im Militär dienen, sie wollen nicht ausgeschlossen werden, ansonsten ist für die die eigene Homosexualität nichts Politisierendes. Das ist kein neues Phänomen, aber es ist eine Grundlage, auf der es möglich ist, in der AfD aktiv und schwul zu sein.

Und die zweite Gruppe?

Ein weiterer Grund, sich in der AfD zu engagieren ist, weil sie mit Migration ein Problem haben. Die eigene Homosexualität wird dann meist ausgeblendet. Wenn dann die AfD die Ehe für Alle abschaffen will, können sie relativieren. Sie sagen: Ich muss nicht in allem mit meiner Partei übereinstimmen. Das ist die Strategie, die auch Alice Weidel fährt.

Nach dem Motto, die Eingetragene Lebenspartnerschaft hat mir auch schon gereicht. Für diese Schwulen reicht Toleranz im Sinne von «Duldung». Solange ich hier als Homosexueller nicht diskriminiert werde, ist ja alles OK. Das sind häufig Leute, die aus einer privilegierten Perspektive heraus agieren, die nicht besonders viel Diskriminierung in ihrem Leben erfahren haben.

Aber für einige ist doch Diskrimierung gerade ein Grund, für die AfD zu sein: Wenn es um homophobe Migranten geht, zum Beispiel.

Das ist ein klassisches antimuslimisches und migrationsfeindliches Argumente. Ursprünglich kommt diese Angst überhaupt nicht aus der rechten Ecke, sondern wurde durchaus auch von Homosexuellen-Verbänden wie Maneo verbreitet: Die Gewalt von muslimischen Tätern ist durchaus vorhanden. Die hat schon Pim Fortuyn in den Niederlanden für seine populistischen Zwecke benutzt: Er sagte damals ich habe keine Lust, die Emanzipation von Schwulen und Frauen wiederholen zu müssen.

Das heisst, Lesben haben auch kaum einen Platz in deren Lebenswelten?

Eine wichtige Säule rechtspopulistischer Politik ist Antifeminismus, also das Zurückdrehen von Gleichstellungspolitik und diese Vorstellung einer souveränen Männlichkeit. Dazu gehört auch der Kampf gegen eine sogenannte «Genderideologie», die jetzt Vielfalt überall durchdrücken wolle.

Es gibt also homophobe Homosexuelle?

Die Idee, dass wir Männlichkeit zurückgewinnen wollen, das verfängt bei Schwulen, die selbst tendenziell antifeministisch denken. Diese hat es in der homosexuellen Emanzipationsbewegungen schon immer gegeben, das war aber in den letzten Jahrzehnten ein bisschen verschüttet. Homosexualität hat für sie nicht mit Weiblichkeit zu tun, sondern diese Schwulen leben im Gegenteil eine Art der Hypermännlichkeit. Sie umgeben sich nur mit Männern und sind gern in Männerbünden unterwegs. Diese Vorstellung gab es bei den ganz frühen Homo-Bewegungen um die Jahrhundertwende.

«Meine These ist, dass sich die Grenzlinie zwischen normal und pervers verschoben hat.»

Also in der Weimarer Republik?

Schon vor 100 Jahren haben sie Vorstellungen von Magnus Hirschfeld über das dritte Geschlecht zurückgewiesen. Homosexualität hatte für sie nicht mit Überschreiten von Geschlechtergrenzen zu tun. Diese Männer wollten damals nicht einmal privat etwas mit Frauen zu tun haben und ganz bewusst auch keine Familien gründen. Auch heute gibt es Schwule, die sich in der symbolischen Nähe des Weiblichen als unangenehm empfinden und lieber die Nähe von einer Hyper-Männlichkein suchen. Manche nennen das auch internalisierte Homophobie.

Auf Grindr sind das die «Masc4Masc»-Männer?

Ja, zum Beispiel. Aber das gab es schon früher in der Ästhetik von Tom of Finland. Damit sage ich nicht, dass diese Vorlieben faschistoid sind, aber diese Idealisierung von Kraft und Schönheit, Jugend und Männlichkeit lassen sich relativ schnell in die Nähe zu so einer rechten Männlichkeitspolitik rücken.

Auch unter Schwulen gibt es ja einige, die sich nicht als Teil der LGBTIQ-Community wahrnehmen. Gehören sie dazu?

Das sind häufig Menschen, die sich selbst als einen «normalen Schwulen» bezeichnen, ohne sich bewusst zu machen, dass sie nur eine «geborgte Akzeptanz» in der Gesellschaft haben. Meine These ist, dass die Grenzlinie zwischen normal und pervers, die vorher ganz klar zwischen hetero- und homosexuell verlief, sich verschoben hat hin zur Differenz zwischen Vorstellungen von Geschlecht. Die einen sagen also, es gebe nur zwei biologische Geschlechter und das lässt sich nicht verändern – gegenüber anderen, die eine emanzipatorische Vorstellung von Geschlecht und Sexualität haben.

«Es gibt auch trans Personen, die sich in der äussersten Rechten aufhalten.»

Heisst das, es kann keine rechten trans Menschen geben?

Doch, trans Personen, die sich in der äussersten Rechten aufhalten, gibt es auch. Diese argumentieren dann mit einem «Gehirngeschlecht», das heisst, sie sehen sich als 100 Prozent weiblich und werden zum Teil akzeptiert. Solange sie das tun, können sie potenziell in eine identitäre Logik aufgenommen werden. Die Grenze ist, wenn jemand eine Zwischenposition für sich reklamiert, nicht mehr binär argumentieren.

Die neue Trennung verläuft also zwischen queer und identitär.

Identitäre Vorstellungen können für manche Schwule attraktiv sein, die vielleicht tatsächlich Überforderungserfahrung haben mit Vorstellungen von Geschlecht, die fluider sind, oder für bestimmte feministische Strömungen zu weit gehen. Und im Rahmen eines Kulturkampfes kann die Rechte auch Homosexuelle gegen «links-grüne Genderisten» mobilisieren. Plus: Auch Schwule sehen, dass die Preise für Mieten und Einkäufe steigen.

Es gibt also noch viele andere Gründe für Schwule, rechts zu wählen?

Logisch, ich wähle ja nicht nur eine Partei, weil ich schwul bin. Und manche sehen nicht ein, warum es jetzt noch Homopolitik braucht? Und es gab auch eine Zeit, da hat die AfD gezielt für schwule Wähler geworben. Beim Berliner CSD 2016 stand ein Plakat an der Siegessäule, auf dem zwei Männer abgebildet waren. Darunter stand: «Wir legen keinen Wert auf Bekanntschaft mit Muslimen, die unsere Liebe nicht akzeptieren.» Das Plakat wurde bald zerstört, aber dieses Stichwort Migrationsabwehr ist jetzt ein gesamtgesellschaftliches.

afd wahlplakat 2016
(Bild: dpa)

Da bekommt man ja fast das Gefühl, die AfD ist eine bunte Partei. Sie haben sie von innen gesehen. Ist das so?

Nein, die AfD nimmt ganz bestimmte Leute aus dem queeren Potpourri, die sie einschliesst und sagt dann: Schau, wie weltoffen ich bin. Aber Dreierbeziehungen, Regenbogenfamilien, nicht-binäre und trans Menschen werden ausgeschlossen. Das gilt als Dekadenz, früher galt das auch für Schwule und Lesben. Aber wir müssen nur nach Polen oder Ungarn schauen und da werden diese Unterschiede schon nicht mehr gemacht.

Sie haben mit Schwulen in der AfD geforscht. Ganz banal: Gab es auch Sympathien?

Ja und nein. Manche Begegnungen waren angenehm, man hat Anteil am Leben anderer, aber tatsächlich fand ich es oft schwierig auszuhalten. Manches fand ich auch tragisch.

Zum Beispiel?

Einer lud mich zu sich nach Hause ein. Da gab es ein Zimmer, das keinem offensichtlichen Zweck hatte. Er sagt, das könnte mal ein Kinderzimmer sein. Und da war klar, die Rhetorik ist das eine, aber trotzdem haben die Leute verständliche Wünschen. Aber seinen Kinderwunsch als Schwuler kann er in der AfD nicht an die grosse Glocke hängen.

Aber sind ihnen diese Widersprüche bewusst?

Manche versuchen, zu erklären, warum Schwule nicht heiraten sollten. Sie benutzen zum Teil fast linke Argumente, also dass man die konservative Institution der Ehe nicht braucht. Man will eben gern ein Paradiesvogel sein. Aber im Grunde halten sie das aufrecht durch eine sehr starke Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben.

Oder zwischen Partei und privat?

Da war einer, der war beim Bund, hatte dort alle möglichen sexuellen Erlebnisse, berichtete stolz davon, hatte eine Vitrine mit Dildos, pornografische Fotos an der Wand, Modern Talking im Autoradio – kurz: er war richtig in-your-face schwul und hat damit auch kokettiert. Aber er konnte das total abspalten von seinen politischen Interessen.

Haben die AHO denn innerhalb der AfD eine Bedeutung?

Nein, aber die haben eine symbolische Funktion für die Partei. Sie kann zeigen, wir haben auch unsere Homosexuellen, das ist schon alles. Aber in der AfD will niemand mit dieser Gruppe zu tun haben. Weidel hat sich meines Wissens auch noch nie zu denen geäussert.

Also dann jetzt zu Alice Weidel. Was macht sie als Lesbe in der AfD?

Wie alle Homosexuellen trennt sie stark zwischen öffentlich und privat. Das hat alles nichts mit ihrer Politik zu tun. Sie kommt aus einer wirtschafts-libertären Richtung. Für die Völkischen in der AfD, das muss man so hart sagen, ist sie nur ein useful idiot. Meine Prognose: Sie wird abgesägt, sobald sie nicht mehr nötig ist.

Auch wegen ihrer Fehler. Das gescheiterte Elon Musk Interview haben selbst AfD Mitglieder scharf kritisiert (zur Glosse bei MANNSCHAFT).

Die AHO-Mitglieder fanden Weidel schon immer furchtbar, weil sie Anti-Höcke war. Und die AHO sind alle für Höcke.

Was sagt denn Björn Höcke zu Homosexuellen?

Für ihn geht es wieder es um Männlichkeit. In einem Interview hat er einmal gesagt, es gebe in der Politik so manche schwule Männer, die in ihrer Männlichkeit mehr gefestigter seien als so manche Heteros. Er erwähnt auch manchmal in Reden einen schwulen Freund, ein Künstler. Bei Homosexuellen geht es beim Sex nicht um die Schaffung von Leben, das bleibt den Heterosexuellen vorbehalten.

Auf dem letzten Parteitag musste Weidel noch einmal klarstellen, dass «Familie dort ist, wo Kinder sind». Das hat nicht allen gefallen.

Ja, gerade beim Thema Regenbogenfamilien wird deutlich, dass sie vielen in der Partei widerspricht. Gleichzeitig war Alice Weidel noch nie die Vertreterin eines gemässigteren Flügels. Bei anderen Themen ist sie Hardlinerin.

Was würde sich denn für Schwule unter einer AfD-Regierung ändern?

Die Ehe für alle würde rückgängig gemacht, das Selbstbestimmungsgesetz ebenfalls, und Weidel hat angekündigt, Genderstudies abzuschaffen.

Das könnte sie doch wegen der Wissenschaftsfreiheit nicht, oder?

Der AfD beachtet die Institutionen der liberalen Demokratie nicht. Als erstes werden sie das Justizsystem unterwandern, damit sie keinen Gegenwind mehr bekommen. Man kann diese totalitären Ideen schon heute sehen, wenn die Andeutungen richtig hört.

Abschliessend noch die Frage: Will die AfD ändern, was «normal» ist?

Die AfD hat mit «Deutschland aber normal» schon vor vier Jahren Wahlkampf gemacht. Alice Weidel hat sich selbst als «normale Mutter» inszeniert, mit den ganz normalen Sorgen. Aber das Normale erzeugt natürlich immer ein abnormales Anderes. Wenn ich das nicht habe, dann ist Normalität Quatsch.

Drohbrief gegen schwulen Propst: Der Staatsschutz ermittelt. Die AfD will nichts damit zu tun haben (MANNSCHAFT berichtete).

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