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Die EU lässt LGBTIQ-Community in Polen allein

Menschenrechte bedeuten der rechtskonservativen PiS-Partei nichts: Sie hetzt immer weiter gegen queere Menschen. Wie lange will sich das Brüssel noch ansehen?

LGBTIQ in Polen
Trotz Polizeischutz kam es zu Gewalt bei der Lublin Pride 2019 (Foto: Ruptly/Twitter)

Seit Monaten hetzen Regierung und Kirche gegen LGBTIQ in Polen. CSD-Paraden werden von Hooligans angegriffen. Müssen erst Menschen zu Tode kommen, bevor die Europäische Union Massnahmen ergreift?, fragt unser Samstagskommentator*.

Nach Grossbritannien verabschiedet sich mit Polen innerlich bereits das nächste Land von der EU. Ohne freilich die Mitgliedschaft grundsätzlich in Frage zu stellen – schliesslich profitiert man wirtschaftlich massiv von ihr. Doch europäische Werte, vor allem Menschenrechte stören eher. Unter der rechtskonservativen PiS-Partei marschieren unsere Nachbarn im Osten Richtung Mittelalter. Das Feindbild ist klar: Schwule, Lesben, trans Menschen.

Junge Brit*innen werden wieder homofeindlicher

Es geht schon eine ganze Weile so: Im Frühjahr warnte der Chef von Polens rechtsnationalistischer Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, dass Homosexuelle, die Geschlechterforschung ebenso wie eine frühe Sexualaufklärung von Kindern als «Bedrohung» für sein Land seien (MANNSCHAFT berichtete). Das sagte er bei einer Veranstaltung der katholischen Kirche, wo er seine Landsleute auch gleich dazu aufrief, «unabhängig von persönlichen Überzeugungen» die Rolle der Kirche zu respektieren. Logisch, was die Hetze gegen LGBTIQ angeht, sind sich Katholiken und Regierung einig.

Die polnischen Bischofskonferenz hat im Sommer die «LGBT-Ideologie» verurteilt, die eine «Revolution in den sozialen Gewohnheiten und zwischenmenschlichen Beziehungen» durchsetzen wolle. Kritikern dieser «Ideologie» werde mit «weltanschaulichem Totalitarismus» begegnet, erklärte die Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden Stanislaw Gadecki im August. Der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski sprach gar von einer «Regenbogen-Plage». Wer das Wort Plage benutzt, hat vermutlich bereits Pläne zur Ausrottung in petto.


Warnung vor Invasion durch LGBTIQ in Polen
Kürzlich wurde gewählt, und nur drei Tage vorher sendete das polnische Staatsfernsehen TVP1 – das sich längst zum Sprachrohr der rechtspopulistische Regierung entwickelt hat – eine hetzerische Doku gegen LGBTIQ. Titel: «LGBT Invasion» (MANNSCHAFT berichtete). Der Film, der mit fragwürdigen Methoden entstanden ist und zur besten Sendezeit um 20 Uhr ausgestrahlt wurde, liess die queere Community wie eine finstere Sekte erscheinen, die im ganzen Land LGBT-Aufmärsche finanziert.

So machen Polens queere Stars auf Diskriminierung aufmerksam

Die Rechnung ging auf: Die homofeindliche PiS-Partei gewann die Wahl (MANNSCHAFT berichtete). Deutlich. Künftig kann sie allein regieren. Diese Macht wollen die Rechtskonservativen auch nutzen: Schon befasst sich das Parlament mit einem Gesetzesvorhaben, das ein Bündnis von Abtreibungsgegner*innen auf den Weg gebracht hat, denen es vordergründig um den «Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Verdorbenheit» geht. Gemeint sind Homosexuelle, die im Entwurf mit Pädophilen gleichgesetzt werden (MANNSCHAFT berichtete). Sexualkunde soll verboten werden. Lehrkräften drohen Haftstrafen bis zu drei Jahren. Die erzkonservative Regierungspartei PiS unterstützt das Vorhaben selbstverständlich. Immerhin: Das oberste Gericht des Landes geht derzeit davon aus, dass der Entwurf gegen das Recht auf Bildung und Gesundheitsvorsorge verstösst.

Das Gesetz verstösst mindestens auch gegen die Menschenwürde und schürt die ohnehin grassierende LGBTIQ-Feindlichkeit im Land weiter. Gehört so ein Land in die EU? «Die EU ist eine Wertegemeinschaft», schrieb Michael Roth, Europastaatsminister im Auswärtigen Amt und einer der Bewerber für den SPD-Vorsitz, als ich ihn bei Twitter mit der Frage konfrontierte.


«Sie garantiert die Rechte von Minderheiten. Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Nirgendwo. Das bringen wir ggü der polnischen Regierung stets klar zur Sprache & unterstützen LGBTI-Organisationen vor Ort.»

Nach homophobem Hassbrief: Viel Solidarität mit Tiroler Gastwirt

Nur scheint sich die polnische Regierung überhaupt nicht beirren zu lassen. Offenbar ist die Sprache nicht klar genug. Es braucht klare Verurteilungen, wenn sich ein Mitgliedstaat von der Wertegemeinschaft der EU verabschiedet. Es braucht Sanktionen. Den vorübergehenden Ausschluss aus EU-Gremien. Notfalls dauerhaft.

Polen hätte bei heutigem Stand keine Chance, in die EU zu kommen. Was übrigens auch für Ungarn gilt, wo man gerade Coca-Cola zu einer Geldstrafe verdonnern will, weil es im Sommer Plakate zeigte, auf denen schwule und lesbische Paare zu sehen waren (MANNSCHAFT berichtete). Der Konsumentenschutz der Stadt Erd südwestlich von Budapest befand, die Werbung könnte die körperliche, geistige, emotionale oder moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen und sei daher verboten.

In der EU sind durchaus Strafmassnahmen vorgesehen, wenn sich Länder nicht an geltendes Recht halten oder Richtlinien nicht umsetzen. Nur braucht es für Sanktionen einen einstimmigen Beschluss. Dass sich etwa Ungarn gegen Polen stellt, wo man vorgeblich die «Kinder schützen» will, während man gegen Mitglieder der LGBTIQ-Community hetzt, ist unwahrscheinlich.

Aber es gibt ja noch den Europäische Gerichtshof. Der schritt vor zwei Jahren schon erfolgreich, ebenfalls in Polen. Damals ging es um den Bielowieza-Urwald, in dem die polnische Regierung Abholzung erlaubte, obwohl es sich um eins der  artenreichsten Waldgebieten im europäischen Flachland handelt. Die EuGH-Richter griffen im Eilverfahren ein, drohten erstmals in einem solchen Verfahren mit einer Geldstrafe: 100.000 Euro, pro Tag! Das wirkte: Am nächsten Tag stoppte Polen die Fällarbeiten.

Nazi-Hetzjagd gegen Pride im ukrainischen Charkiw

Ein Beispiel zur Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren: Dass alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gleichgeschlechtliche Ehe-Paare im Aufenthaltsrecht anerkennen müssen, auch wenn sie weder Lebenspartnerschaften noch die Ehe für alle im nationalen Recht kennen, entschied der Gerichtshof vor einem Jahr. Hier wurde eine Entscheidung von rumänischen Behörden korrigiert (MANNSCHAFT berichtete).

Vorläufig wird in Polen weiter Stimmung gegen LGBTIQ gemacht. Wozu menschenfeindliche Hetze führt, die von rechtsgerichteten Politiker*innen ausgeht, ist in Deutschland derzeit am Beispiel Halle zu beklagen, wo vor einer Woche der schwer bewaffnete Stephan B. versuchte, in die Synagoge einzudringen. Weil der Plan misslang, erschoss er auf der Strasse eine Frau und kurz darauf einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss. In Polen werden bereits CSD-Teilnehmer angegriffen, wie sich u. a.  im Juli in Bialystok zeigte. Sie wurden von Hooligans mit Eiern, Steinen, Böllern und Flaschen beworfen – katholische Kirche und Nationalisten hatten zuvor gegen die Parade gehetzt (MANNSCHAFT berichtete). Es gibt schwule Polen, die sich nicht mehr aus dem Haus trauen, wie in der sehr lesenswerten aktuellen Reportage von Vice nachzulesen ist.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es gerade bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung am Donnerstag gesagt: «Antisemitische oder rassistische Beleidigungen, islamophobe oder homophobe Herabsetzungen, immer und immer wieder auch frauenverachtende, sexistische, auf brutalste Weise entwürdigende Äusserungen […] öffentlich erdulden müssen, solche Entgleisungen sind es, die der Gewalt den Weg bereiten.»

Es wäre eine Tragödie und eine verdammte Schande, wenn es angesichts der aufgeheizten Anti-LGBTIQ-Stimmung in Polen erst zu Todesfällen kommen muss, damit in der EU endlich Strafmassnahmen ergriffen werden.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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