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Als sich beim ESC noch alle mit, für und über Israel freuten

Dana International änderte einst alles, schreibt unser Autor

Dana International
Foto: dpa

Wegen drohender Hass-Proteste darf Israels ESC-Sängerin Eden Golan ausser zu Proben und Auftritten in Malmö nicht das Hotelzimmer verlassen. Dabei hatte Israel bei LGBTIQ immer einen guten Ruf, nicht zuletzt dank Dana International. Der Kommentar*.

Als sei es vorgestern, höchstens vorvorgestern gewesen, aber ich kann noch ganz frisch aus der Erinnerung kramen. und mir gehen Szenen eines Eurovision Song Contest durch den Kopf, und zwar der in Birmingham 1998. Das ist 26 Jahre her, mehr als ein Vierteljahrhundert. Ich war für die Taz akkreditiert, Internet war noch kein relevantes Kommunikations- und Verbreitungstool, Mails zu schreiben war eine Angelegenheit von wenigen, aber auch noch nicht das Normalste, das sich nur denken lässt.

Deutschland sollte in der englischen Stadt mit Guildo Horn antreten (MANNSCHAFT berichtete), deshalb war der ESC in meinem Land höchst populär. Die Schweiz wartete mit der Sängerin Gunvor, die am Ende des Finales hochdeprimiert, weil mit 0 (!) Punkten abgestraft, als Allerletzte nach Hause fahren musste. Österreich musste pausieren, es hatte im Vorjahr zu schlecht abgeschnitten, entging aber so der Möglichkeit, unter ferner sangen zu landen …

Interessant für mich war eine Teilnehmerin, die Israel entsenden würde, Dana International, eine trans Person. Es war ein ESC, der hinter den Kulissen Brüche mit sich brachte. 1992 (wie dieses Jahr in Malmö) konnten alle akkreditierten Journalist*innen und Fans bis zum Finaltag auf die Bühne und sich mal anschauen, in welchem Bühnenbild die Künstler*innen sich bewegen würden. Birmingham aber, nur sechs Jahre später, war als Stadt von der BBC gewählt worden, weil dort eine Woche in der gleichen Halle nach dem ESC der G8-Gipfel stattfinden sollte, noch mit Russland. So konnte man beim ESC die Sicherheitsbestimmungen trainieren. Und so geschah’s: Zugänge zu bestimmten Bereichen nur mit bestimmten Pässen.



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Aber: Die Künstler*innen bewegten sich in der Stadt frei und fast ungezwungen. Ich darf sogar vom zufälligen Privileg berichten, dass ich einen Abend in der ESC-Disco neben Dana International tanzte, sie im knappsten orangenen Häkel-Bikini seit Erfindung freier Bauchnabelkulturen, neben ihr schwoften auch ihre Backgroundsängerinnen, ein Lied war «Mr. Sandman».

Israel war kein Problem, Dana International sowieso nicht – und dass sie am Ende gewann, umriss den Auftakt der Queerisierung des ESC, und das war gut so. Im Jahr zuvor wurden die TV-Kommentator*innen noch angewiesen, die besondere «schwule» Laszivität des Isländers Pal Oscar nicht als «queer» zu betonen.


Dana International änderte quasi alles, zumal sie bei ihren knappen Siegesworten sagte, dass sie diesen Sieg (britische Zeit: am 10. Mai) ihrem Land zu dessen 50. Geburtstag am 14. Mai widme – und auch allen Queers in aller Welt. Wir als Journalist*innen und Fans lagen uns vor Freude und in Tränen in den Armen, um das Mindeste zu überliefern.

Israel hat unter LGBTIQ-Menschen, gleich wo in der Eurovisionszone, immer einen guten Ruf gehabt. Tolle Partys, tolle Lieder (meist), queeres Commitment in jeder Hinsicht, alles sehr leutselig – so wie es auch in Tel Aviv beim ESC 2019 war.

Das hat sich geändert, und das ist traurig. Israels Sängerin Eden Golan hat mit Einverständnis der schwedischen Organisator*innen in Malmö und auf Geheiss der israelischen Sicherheitsbehörden avisiert bekommen, ausser zu den Proben und zu ihren Auftritten nicht das Hotelzimmer zu verlassen. Ob sie am Galaempfang der Veranstalter*innen teilnehmen wird oder, wegen drohender Hass-Proteste, auch diesen zu meiden hat, ist offen.

Mehrere ESC-Teilnehmer*innen, auch Nemo, der favorisierte Act aus der Schweiz, haben sich zu einer öffentlichen Aktion aufgerafft, um zu einem Waffenstillstand durch Israels Armee aufzurufen, krass genötigt durch ihre Fan-Bases. Die EBU, Veranstaltungsorganisation mit Sitz in Genf, sah sich deshalb veranlasst darauf hinzuweisen, dass der ESC ein unpolitischer Wettbewerb sei, kein Catwalk von politischen Gefühlen (MANNSCHAFT berichtete).

Ich denke daran, dass im Jahr 2000 die israelische Band Pingpong, die nicht gut abschnitt, bei ihrem Lied «Same’ach» auch palästinensische Fahnen schwangen. Oder daran, dass Israel 2009 in Moskau mit einem arabisch-hebräischen Lied namens «There Must Be Another Way» durch Noa und Mira Awad antraten, die eine Jüdin, die andere Araberin.

Es bleibt mir ein Schock, dass viele Fans und Follower*innen des ESC Israel dämonisieren: Als sei der 7. Oktober nicht zuerst und zuletzt ein Massaker der Hamas gegen vor allem junge Menschen in Israel gewesen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

In der kommenden Staffel von «The Voice of Germany» werden Tom und Bill Kaulitz nicht mehr dabei sein. Sie waren erst 2023 dazugestossen (MANNSCHAFT berichtete).


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