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Bolsonaro: «Brasilien darf kein schwules Tourismusparadies werden»

Präsident Jair Bolsonaro spricht sich gegen schwulen (Sex)Tourismus aus. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen findet er allerdings vollkommen in Ordnung und erwünscht

Junge Männer am Strand von Rio de Janeiro - ein Traum für viele schwule Touristen auf den Spuren von Kristen Bjorn (Foto: AdobeStock)

Brasilien war lange für Schwule ein Traumziel. Kirsten Bjorn hat in den 1980er- und 90er-Jahren Schwulenpornos mit Brasilianern zum internationalen Erfolgsphänomen gemacht. Während der Sextourismus im Land zuletzt wegen der Wirtschaftskrise abermals anstieg, erklärte der neue Präsident Jair Bolsonaro diese Woche einheimischen Journalisten in Brasília, ihr Land dürfe «kein schwules Tourismusparadies» werden.

Mit Sextourismus an sich hat der auf seine Homo- und Transphobie «stolze» Präsident allerdings kein Problem. Es geht ihm nicht darum, die Ausbeutung seiner Bevölkerung grundsätzlich zu unterbinden. Im Gegenteil. Zu den Touristen aus aller Welt sagt er: «Wenn Sie hierher kommen wollen und Sex mit einer Frau haben möchten, dann tun Sie das, auf alle Fälle. Aber wir können dieses Land nicht dafür berüchtigt sein lassen, dass es ein schwules Touristenparadies ist. Brasilien kann kein Land in der schwulen Welt sein, für Schwulentourismus. Wir haben Familien», erklärte Bolsanaro laut dem brasilianischen Magazin Exame.

Seinetwegen ist die LGBTIQ-Community in Alarmbereitschaft: Jair Bolsonaro (Bild: Agência Brasil Fotografias / CC BY 2.0)

Die Bemerkungen fielen während eines Pressefrühstücks. Die britische Zeitung The Guardian berichtet darüber in ihrer Freitagsausgabe. Der Guardian gibt auch verschiedene Reaktionen von LGBTIQ-Aktivisten wieder, die die jüngsten Statements Bolsonaros als «nationale Schande» bezeichnen.  Laut David Miranda, einem linken Kongressabgeordneten, würden die Äusserungen nicht nur Brasiliens LGBTIQ Community abermals zum Ziel von Angriffen machen, sondern auch aktiv die sexuelle Ausbeutung von brasilianischen Frauen bewerben.

Letzteres greift der in São Paulo ansässige Anwalt und LGBTIQ-Aktivist Renan Quinalha auf und sagt: «Das ist ein katastrophales Statement, sowohl aus Menschenrechtsperspektive, als auf mit Blick auf das internationale Image Brasiliens.» Laut Quinalha gibt Bolsonaro damit «grünes Licht» zu einem ohnehin schon alarmierenden Gewaltniveau gegen LGBTIQ, indem er wieder einmal betont, dass nur heterosexuelle Familien «wirkliche» Familien seien.


Der brasilianische Politiker, Autor und Journalist Jean Wyllys im Jahr 2015, vor seiner Flucht nach Deutschland (Foto: Ministério da Cultura)

Der bekannte LGBTIQ-Aktivist Jean Wyllys, der im Januar das Land verlassen hatte aus Angst um sein Leben und nach Berlin gezogen war, sagte dem Guardian: «Diese unglückliche Äusserung mit der damit verbundenen LGBTIQ-ablehnenden Geste ist typisch, Bolsonaro ist einfach nur Bolsonaro.»

Selbstkritische Fragen
Die Äusserungen sind der jüngste Schlag gegen langjährige Bemühungen vieler Brasilianer, ihr Land in eine tolerante und inklusive Gesellschaft zu verwandeln; dazu gehörte immer die Unterstützung von LGBTIQ-Tourismus. Was nicht heissen muss, dass dabei keine kritischen Fragen zu sexueller Ausbeutung gestellt werden durften oder dass (selbst)kritische Diskussionen unerwünscht wären.

So hat beispielsweise das Goethe Institut in São Paulo Fichtes skandalträchtigen «Roman der Ethnologie» – der in den 60er- und 70er-Jahren spielt und von den Sexabenteuern des vergleichsweise wohlhabenden deutschen Journalisten handelt, der auf verarmte Brasilianer trifft, die für ein paar Dollar gewillt sind, alles für ihn zu tun – erst kürzlich erstmals ins Portugiesische übersetzen lassen, damit Brasilianer selbst verstehen können, was da über sie geschrieben wird. Es ist auch der Versuch des Goethe Instituts, eine lang geduldete, aber verschwiegene Seite des LGBTIQ-Tourismus zur Debatte zu stellen. Eine Debatte, wie wir als wohlhabende Deutsche mit anderen umgehen wollen, eine Debatte darüber, ob die Fixierung auf dunkle Hautfarbe und grosse Schwänze bzw. Muskelkörper bei finanziell unterlegenen Brasilianern als post-koloniales Verhalten und als Rassismus eingestuft werden muss. Und wenn ja: was dann?


Der 1989 veröffentlichte Film «Carnaval in Rio» (Foto: Kristen Bjorn Video)

Müssen dann alle Kristen-Bjorn-Filme vernichtet werden? Muss der Fichte-Roman verboten werden? Sollten bei Pornhub und ähnlichen Online-Portalen die Kategorien «Latino» und «Brazilian» entfernt werden? Und was ist mit Kategorien wie «BBC» usw.?

Ein Museum für sexuelle Diversität
Solche Debatten will auch das 2012 eröffnete Museum für sexuelle Diversität in São Paulo anstossen. Es ist im Zwischengeschoss eines zentralen U-Bahnhofs gelegen, wo täglich tausende Menschen vorbeikommen.

Das 2012 eröffente Museum für sexuelle Diversität in São Paulo, in einem U-Bahnhof gelegen (Foto: Museum für sexuelle Diversität)

Man muss nicht lange überlegen, wie Bolsonaro ein Museum mit einer Agenda der sexuellen Vielfalt findet – allerdings regiert in São Paulo eine deutlich LGBTIQ-freundlichere (und wirtschaftsstarke) Regionalverwaltung, die sich letztlich aber nur begrenzt gegen die Landesregierung und ihren neokonservativen Kurs stemmen kann.

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Wie kontrovers Bolsonaros Kurs ist, wurde Anfang des Monats deutlich, als in New York Umweltschützer die Absage einer prominent besetzten Gala im Natural History Museum durchsetzten (bekannt aus den «Nachts im Museum»-Filmen), weil dort Bolsonaro anwesend und gewürdigt werden sollte. Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio unterstützte die Kampagne und erklärte, Bolsonaro sei «ein sehr gefährliches menschliches Wesen».

Bolsonaro ist ein sehr gefährliches menschliches Wesen

Nie wieder zurück in den Schrank
Brasilianische LGBTIQ-Aktivisten teilen diese Beurteilung, betonen aber immer wieder, dass sie sich von Bolsonaros Angriffen nicht einschüchtern lassen wollen. «Wir glauben daran, dass Liebe immer den Sieg davontragen wird, nicht Hass. Daran wird auch Bolsonaro nichts ändern», meint Julio Moreira, Mitglied der in Rio ansässigen Aktivistengruppe Arco-Íris. «Wir werden uns nie wieder im Schrank verstecken.»

Ein Blick ins Museum für sexuelle Diversität in São Paulo, wo auch junge Besucher und Besucherinnen willkommen sind (Foto: Museum für sexuelle Diversität)

Der Guardian zitiert Miranda mit den Worten: «Ich sehe es als meine Pflicht, gegen solche Art von Sprache und Statements anzukämpfen, um zu zeigen, dass LGBTIQ-Menschen in diesem Land existieren und dass sie gegen diesen LGBTIQ-phoben Präsidenten kämpfen werden. Ihr könnt sicher sein, dass wir Widerstand leisten werden, und wir werden diesen Widerstand auch auf die Strasse tragen.»


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