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Wer unsere Solidarität verdient

Wie halten wir es mit Russland und Co.?

solidarität
Foto: Pixabay

Solidarisch sein klingt gut. Aber wie geht das – und mit wem? Der Samstagskommentar*

Das Wort selbst kommt aus dem Sprachschatz jener politischen Szene, die sich als links versteht: Solidarität. Wer es mit wem hält, ist natürlich offen – muss einfach jede*r selbst entscheiden. Im menschlichen Nahbereich ist es ganz einfach: Solidarisch ist man mit den Mitgliedern der eigenen Familie, jedenfalls meistens. Man verteidigt die Eltern und Geschwister und die anderen aus der eigenen Sippe beinah prinzipiell. Weil dieser Schutz ja einem selbst auch gilt, meistens.


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Politisch ist das komplizierter. Man zeigt sich solidarisch Weltanschaulichem gegenüber, so wie manche bis viele, die es in jüngerer Vergangenheit mit Judith Butler und andere Kritiker*innen Israels hielten. Die amerikanische Philosophin etwa sagt, am Ende des Tages zähle die Hamas zur internationalen Linken und verdiene mindestens Respekt, weil diese Gruppe gegen Besatzung und Kolonialität (durch Israel, wie sie meinen) kämpfe; dass Israel im Umkeis Tausender Meilen das einzige Land ist, in dem LGBTIQ sicher leben können, sagt sie nicht.


Ich plädiere für einen anderen, jedenfalls nicht weltanschaulich eingetrübten Begriff von Solidarität. Wer mit schwuler oder lesbischer oder trans Brille auf die politischen Umstände guckt, macht, erstens keinen Urlaub in Ländern, in denen LGBTIQ-Menschen verfolgt werden. Das scheidet selbst dann aus, wenn in diesen Ländern ganz besonders attraktive Sehenswürdigkeiten locken. Also: kein Iran, kein Russland, kein Tansania, kein Land generell, in denen die Bürgerrechte von unseren queeren Geschwistern bedroht werden, wo sie mit dem Tode bestraft werden können oder wo ihre schiere Existenz verfolgt wird, wie das aktuelle Gesetz in Russland unsereins zum Freiwild macht.

Ein Freund sagte mir mal vor exakt 14 Jahren, als ich selbst beruflich für den ESC akkreditiert war, ich könnte die Zeit dort doch verlängern, der sensationellen Museumssammlungen wegen. Ich lehnte schon damals ab: Russland kann ästhetische Wunder präsentieren wollen, in diesem Land gebe ich keine Kopeke aus. Rasende Homophobie, Hatz gegen nicht-heteronormative Menschen – das verdient null Solidarität und seien die Dinge, Natur oder Kunst, dort auch besonders schön.

Es gab vor 100 Jahren auch schwule und lesbische Genoss*innen, die es mit der Sowjetunion hielten, dem Imperium des Sozialismus, angeführt vom Diktator Stalin. Sie hätten es besser unterlassen: Homosexuelle waren damals hochgefährdet und landeten in Psychiatrien, Schwules und Lesbisches war faktisch verboten, ähnlich wie im Deutschland der Nationalsozialisten.
Sie hätten sich besser solidarisch gezeigt der Schweiz, den Niederlanden oder Dänemark gegenüber – das waren nicht-sozialistische Länder, aber hatten in ihren Strafgesetzbüchern auch keine homophoben Paragraphen mehr stehen. Klar, es gab in diesen Ländern Diskriminierungen, aber eben keine juristisch lizensierten Verfolgungskonstrukte.


Kurzum: Es gibt keine sozialistischen Länder, in die man reisen könnte, keine Staaten, die von muslimisch geprägten Gesetzen beherrscht werden – im Gazastreifen und in der Westbank, von Iran, Irak oder Afghanistan zu schweigen, sind unsere Geschwister rund um die Uhr akut bedroht.
Solidarisch bin ich mit Menschen. Mit allen schwulen, lesbischen oder trans Menschen, die jede Minute um ihre körperliche und seelische Integrität fürchten müssen.

Womit wir einmal mehr beim Thema Israel wären. Es gibt in den grossen Weiten der queeren Community Menschen, die sagen, Israel müsse als homonationalistisch gegeisselt werden, denn wer findet, dass der CSD in Tel Aviv ein super Event ist, billige auch die Politik gegen die arabischen Nachbar*innen, das Besatzungsregime in der Westbank, überhaupt den, wie sie sagen, „Zionismus“, also die Bewegung für einen jüdischen Nationalstaat als Safe Space für verfolgte Juden und Jüdinnen.

Denn Israel betreibe, noch so ein Schlagwort, Pinkwashing mit dieser Politik – die Rosawaschung eines Staates, der eigentlich schlimm sei. Ich teile dieses Urteil ausdrücklich nicht. Wer schon mal in Israel war, nicht nur in der Szenemetropole Tel Aviv, hat erlebt, dass nur in ultraorthodoxen Vierteln queere Menschen nicht so erwünscht sind, aber das haben wir mit Frauen im Minirock gemeinsam: Dort, in ihren Vierteln, ist niemand gern gesehen abgesehen von Ultraorthodoxen. Aber: In allen Teilen Israel sind queere Menschen respektiert – mehr will ich ja auch nicht.

Solidarität hängt also für mich nicht an Systemen, an Ideologien oder an politischen Anschauungen. Sondern nur an der Frage: Wo leben wir halbwegs sicher. Und werden oft sogar willkommen geheissen, wo droht keine Todesstrafe, wird niemand unserer Geschwister von Hochhäusern geworfen, ins sichere Sterben.

Mit anderen Worten: Unterstützung, Support, mithin Solidarität verdienen alle, die in totalitären, religiös sich verstehenden Ländern sich dafür einsetzen, dass die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sich bessern. Also: Solidarität mit palästinensischen Queer, mit lesbischen und schwulen Menschen in Iran oder mit queerem Widerstand etwa in Russland. Sie wollen so leben wie wir in den freien Ländern der Welt: Das ist unser Ansporn.

Wer Stolz als Queer People in sich trägt, guckt auf die Möglichkeiten von Freiheit. Wie das Motto aus Solidarität mit jüdischen Menschen gilt auch für uns: Nie wieder – ist jetzt. Uns ein besseres 2024!

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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