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Warum viele Lesben die Ehe für alle lange ablehnten

Vom «Macht-Instrument der Männer» zum Zeichen der Gleichstellung

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Die Institution Ehe war lesabischen Aktivistinnen lange ein Dorn im Auge, hier an der Frauendemo Zürich am 5. März 1988. (Bild: Schweizerisches Sozialarchiv)

Noch Anfang der 1990er-Jahre lehnten viele Lesben die Ehe als zutiefst patriarchale Institution ab. Warum sie das taten, wie sie schliesslich doch begannen, dafür zu kämpfen, und was das für die Bewegung bedeutete.

Was für ein Jahr! Nach einem wilden Abstimmungskampf, in dem manche unserer Gegner*innen unter der untersten Schublade mit Argumenten immer noch eine weitere gefunden haben, dürfen wir nun endlich heiraten – oder wahlweise nicht heiraten wollen, statt nicht heiraten zu dürfen. Ein längst überfälliger Schritt nach einem sehr, sehr langen Kampf.

Wobei. So lange jetzt auch wieder nicht. Erste Forderungen nach einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kamen zwar schon Ende der Achtzigerjahre auf – auch geprägt durch die Erfahrungen, welche viele Homosexuelle während der AIDS-Krise gemacht hatten: Die Epidemie hatte plötzlich den Tod in das Leben vieler viel zu junger Schwulen gebracht – und damit die Erfahrung, was es bedeutet, vom Krankenbett, der Beerdigung, und der plötzlich so leeren gemeinsamen Wohnung ihrer langjährigen Partner ausgeschlossen zu werden. Nadja Herz, die Ende 1980er auch in der Lesbenberatung in Zürich aktiv war, berichtete aber auch, dass viele Frauenpaare Probleme hatten, zum Beispiel wenn sie sich von ihren Männern scheiden lassen wollten und um das Sorgerecht für die Kinder bangen mussten, oder wenn eine der Frauen keinen Schweizer Pass hatte.


Nach der Schweiz: Wo kommt die Ehe für alle als nächstes? Vorsichtiger Optimismus gilt Tschechien (MANNSCHAFT+)



Doch in dieser Zeit hatte die Forderung nach einer Ehe für alle in der Community noch einen Aussenseiterinnenstatus. Gerade unter den Lesben löste sie oft nur irritiertes Kopfschütteln aus. Den meisten frauenbewegten Lesben der Achtzigerjahre war die Ehe als zutiefst patriarchale Institution ein Dorn im Auge – schliesslich durften Ehemänner noch bis 1988 per Gesetz bestimmen, wo ihre Ehefrauen lebten und ob sie arbeiten durften. Welche auch nur halbwegs feministische Lesbe würde sich freiwillig in so ein vorgestriges Arrangement begeben wollen?!

Die Ehe als «Männer-Machtinstrument»
Die LOS wurde 1989 gegründet, weil frauenliebende Frauen zusätzlich zur lokalen Basisarbeit auf nationaler Ebene politisch aktiv werden wollten. Aber Forderungen der Öffnung der Ehe standen erstmal nicht zur Sprache. Stattdessen konzentrierten frau sich etwa auf die anstehende Revision des Sexualstrafrechts. Lesbengruppen ging es hier in erster Linie um die Stärkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts. In der feministischen Zeitschrift «Emanzipation» forderten sie das Recht von Frauen auf «die ungestörte Entwicklung und Entfaltung ihrer eigenen Sexualität» und stellten klar: «Der Wille der Frau muss im Sexualstrafrecht massgebend sein: Wenn eine Frau Nein sagt, meint sie Nein. Wenn eine Lesbe Frauen liebt, meint sie Frauen. Jede Missachtung dieses Willens muss strafbar sein.»

Die Lesben- und Schwulendemo Zürich vom 24. Juni1989. (Bild: Schweizerisches Sozialarchiv)

Als das Schweizer Fernsehen 1991 zu einem «Zischtigs-Club» mit dem Titel «Schwule und Lesben: Wir wollen heiraten!» einlud erklärte Marta Feisst-Schöpfer, eine lesbische Aktivistin, dem irritierten Moderator: «Die Lesbenorganisation Schweiz LOS distanziert sich ganz klar von diesem Titel. Das wird so infiltriert: Alle Abnormalen wollen normal werden.» Die Ehe sei «ein Männer-Machtinstrument, das ganz klar auch für die elitäre Schicht entstanden ist.» Übrigens fand auch einer der drei geladenen Schwulen, dass die Ehe im Grunde genommen abgeschafft gehörte – ihn ärgerte vor allem die von aussen aufgedrückte Treue-Pflicht. Ein anderer wollte zwar die Ehe behalten, sie aber von dem ganzen «mittelalterlichen Beigemüse» befreien.


Doch die Zeiten begannen sich zu ändern. Im Jahr 1992 wurde in der LOS viel diskutiert: Sollte man sich auf langfristige Utopien konzentrieren, oder vielleicht doch auf realistischere, kurzfristige Ziele hinarbeiten, die aber möglicherweise mit Kompromissen verbunden sind?

Gleichzeitig tat sich auch in der Schweizer Politik einiges. Der Frauenstreik 1991 hatte viele Frauen politisiert, immer mehr brachten sich in die nationale Politik ein und setzten sich im Parlament für Gesellschaftsthemen ein. Das ebnete nach und nach auch den Weg für die Forderung nach einer Ehe für alle.

Nadja Herz, Gründungsmitglied der LOS, war zwar der Ehe gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt, als Juristin konnte sie aber abstrahieren und betonte die juristische Perspektive und die Menschenrechte: Es sei schlicht und einfach eine Sache der Gleichstellung. Der Vorteil von Gesetzen und Rechten sei ausserdem, dass sie dauerhaft festgeschrieben sind und man damit konkrete Instrumente in der Hand hat, was mehr Sicherheit bietet als da und dort gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, die jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können.

In der «Emanzipation – feministische Zeitschrift für die kritische Frauen» schrieb sie 1993 einen Artikel mit dem Titel «Das Outing der Ehe», in dem sie dafür plädierte, dass nur die Öffnung der Ehe, und nicht etwa die Schaffung spezieller Partnerschaftsgesetze zu einer vollkommenen Gleichstellung führen würde. Zusammen mit Barbara Brosi, ebenfalls Juristin und LOS-Aktivistin, schaffte sie es, ihre Mitkämpfer*innen zu überzeugen: 1994 lancierte die LOS zusammen mit Pink Cross die Petition «Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare».

Eine Teilnehmerin an der Frauendemo in Basel am 8. März 1986 (Bild: Schweizerisches Sozialarchiv).

Bis zu den beiden erfolgreichen Volksabstimmungen 2005 und 2021 war es zwar noch ein langer, anstrengender Kampf. Doch neben politischen Rechten brachte dieser Kampf zwei weitere Dinge: Mediale und öffentliche Sichtbarkeit sowie eine stärkere Bewegung. Die Lancierung der Petition 1994 löste ein grosses Medienecho aus. Bei der Unterschriftensammlung gab es einen richtigen Ansturm von Helfer*innen, und auch Unterzeichnungswillige standen zeitweise Schlange an den Ständen.

Die Petition war auch der Anstoss für die stärkere Zusammenarbeit von Schwulen und Lesben. In den 1980ern hatten sich die beiden Bewegungen weitestgehend separat entwickelt – teilweise weil Frauen in den gemischten Gruppen der Siebzigerjahre nicht gehört und an den Rand gedrängt wurden, aber auch, weil es einfach wenige gemeinsame Themen gab: Kriminalisierung, Prostitutions- und Pornografieverbot, AIDS für Schwule und bisexuelle Männer; Kritik des Patriarchats und seiner Auswirkungen auf Frauen und fehlende Sichtbarkeit für Lesben und bisexuelle Frauen. Doch nun entwickelten sich durch den gemeinsamen Kampf für partnerschaftliche Rechte, die unzähligen Aktionen und das gemeinsame Feiern von Erfolgen nach und nach Freundschaften und die Einsicht, dass eine Zusammenarbeit möglich und nötig ist.

Warum mussten wir so eindringlich betonen, wie schön, glücklich, stabil, verantwortungsvoll, gleichwertig unsere Liebe, unsere Familien sind?

Es ist noch ein weiter Weg
Diese Sichtbarkeit, die Einigkeit und Stärke unserer Bewegung müssen wir mitnehmen, auch nach dem längst überfälligen Erfolg, den wir 2021 feiern konnten (MANNSCHAFT berichtete). Denn trotz der Freude hinterlässt er einen schalen Nachgeschmack: Warum gibt es immer noch Einschränkungen beim Familienrecht? Warum mussten wir so lange warten? Warum mussten wir so eindringlich betonen, wie schön, glücklich, stabil, verantwortungsvoll, gleichwertig unsere Liebe, unsere Familien sind? Warum mussten wir beweisen, dass wir es wert sind, Menschenrechte zu bekommen – die ja eigentlich per Definition eben gerade jedem Menschen bedingungslos zustehen? Diese Fragen zeigen, dass es bis zur vollständigen rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung noch ein weiter Weg ist. Dass es noch immer viel Arbeit ist, bis das Patriarchat abgeschafft ist und die Gesellschaft unser Anderssein wirklich als solches anerkennt und wertschätzt, statt nur zu finden, dass wir –- die Art, wie wir unsere Liebe, unser Leben, unsere Familien, und unser Geschlecht leben – ja gar nicht wirklich so fest anders und darum gleichwertig sind.

Was ist mit Familien mit mehr als zwei Eltern?
Keine Frage, dass wir nun heiraten dürfen, ist ein grosser Erfolg. Aber eine wirkliche Anerkennung von Differenz würde bedeuten, dass nicht nur Menschen in romantischen Zweierbeziehungen rechtliche Sicherheiten bekommen, sondern auch Familien mit mehr als zwei Eltern, Liebesgemeinschaften mit mehr als zwei Menschen, oder Gemeinschaften von Freund*innen.

Natürlich kann ein Gesetz nicht auf einen Schlag alle Diskriminierung abschaffen und auch nicht dafür sorgen, dass sich das Denken der Menschen verändert. Aber es ist eine wichtige Grundlage, ein Instrument und ein Signal. Dafür, dass es sich lohnt, den Weg weiterzugehen.

Dieser Artikel erschien erstmals in der LOS Info.


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