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40 Jahre AIDS (2): Was aus der «Gay Related Immune Disease» wurde

Medizinisch gesehen ist HIV heute eine chronische Infektion wie viele andere auch – immer noch ist sie unheilbar

HIV rote Schleife
Halbwissen und Falschinformationen über HIV halten sich besonders hartnäckig (Bild: stock.adobe.com)

Wie aus der «Gay Related Immune Disease» das «Acquired Immune Deficiency Syndrome», kurz: AIDS wurde. Über Vorurteile und Therapie-Ansätze: Teil 2 unserer Serie zu «40 Jahre AIDS».

Den Forschern am US-amerikanischen Center for Disease Control (CDC) war wenig feierlich zumute: Sie berichteten am 5. Juni 1981 erstmals über eine neue und lebensbedrohliche Erkrankung mit massiven Störungen der Immunabwehr. Auslöser für ihren Bericht waren fünf junge Homosexuelle, die mit Symptomen einer Lungenentzündung in verschiedene Krankenhäuser von Los Angeles eingeliefert worden waren. Eine Biopsie bestätigte übereinstimmend, dass es sich in allen Fällen um eine «Pneumocystis carinii»-Lungenentzündung (PcP) handelte. Zwei der Patienten verstarben an dieser Krankheit. Nur einen Monat später berichtete die New York Times über eine ungewöhnliche Form von Hautkrebs («Kaposi-Sarkom»), der bei 41 schwulen Männern in New York diagnostiziert worden war. Acht dieser Patienten waren bereits innerhalb von 24 Monaten nach der Diagnose verstorben.

Damit beginnt die Geschichte von HIV und AIDS – auch wenn die Infektion anfänglich noch ganz anders hiess. Man nannte sie GRID («Gay Related Immune Disease»), weil man fälschlicherweise glaubte, dass nur homosexuelle Männer betroffen seien. Dass Kaposi-Sarkome kurz darauf auch bei Frauen und Kindern festgestellt wurden, wird in der Historie gerne unterschlagen. Es ist dem am südlichen Rand von Greenwich Village praktizierenden Arzt Bruce Voeller zu verdanken, dass der stigmatisierende Begriff GRID in AIDS («Acquired Immune Deficiency Syndrome») abgeändert wurde. Er war auch der erste, der nachweisen konnte, dass Kondome vor der Übertragung des Virus schützen können.

Seitdem sind 40 Jahre vergangen. Man konnte den Weg des Virus bis ins südliche Kongobecken zurückverfolgen, musste sich mit Verschwörungstheorien und AIDS-Leugnern herumschlagen … und noch schlimmer: Bis heute sind weltweit etwa 39 Millionen Menschen an den Folgen der Immunschwächekrankheit verstorben. Fast noch einmal soviel Menschen aber leben mit dem Virus: Homo-, Bi-, Trans-, Inter- und Heterosexuelle, Männer, Frauen und Kinder. Trotzdem geistert immer noch die «Schwulenseuche» durch viele Köpfe. Und immer noch sprechen zu viele Menschen von «AIDS», obwohl das auslösende Virus bereits 1983/1984 entdeckt wurde und die Infektion und alles, was damit zusammenhängt, seit 1986 nach diesem Virus mit «HIV» bezeichnet wird.


Erste Therapieversuche mit Azidothymidin
Mitte der 80er Jahre begannen die ersten Therapieversuche mit Azidothymidin (AZT). Das 1964 zur Krebstherapie entwickelte Medikament musste allerdings, um wirken zu können, sehr hoch dosiert werden, so dass die Nebenwirkungen nicht selten zum Tode der Patienten führten. «Man stirbt nicht an der Krankheit, sondern an der Therapie», argumentierten die Leugner*innen des Zusammenhangs von HIV und AIDS sogar noch 2010 im umstrittenen Film «House of Numbers».

Das Virus richtet unter der Nachweisgrenze im eigenen Körper keinen Schaden mehr an

Dabei war bereits 1996 mit der antiretroviralen Therapie (ART) eine Behandlungsmethode vorgestellt worden, bei der AZT eine – wenn überhaupt – nur noch untergeordnete Rolle spielt. Deren Wirksamkeit wurde seitdem in unzähligen Studien und Praxisanwendungen bestätigt – angefangen 2008 beim Statement der «Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen» (EKAF), in dem erstmals festgestellt wurde, dass unter ART und der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen auf die Verwendung von Kondomen verzichtet werden kann, bis zum heutigen Wissensstand, dass die ART nicht nur dafür sorgt, dass das Virus unter der Nachweisgrenze im eigenen Körper keinen Schaden mehr anrichtet, sondern dass auch bei ungeschütztem Verkehr eine Übertragung auf andere Menschen tatsächlich nicht mehr möglich ist (MANNSCHAFT berichtete). In Deutschland, Österreich und der Schweiz z. B. gilt das mittlerweile für mehr als 90% der mit HIV infizierten Menschen.

Seit 2016 sind die Stimmen der AIDS-Leugner*innen und ART-Kritiker*innen übrigens verstummt. Denn es genügt nicht mehr, etwas in Frage zu stellen, sondern man muss Belege für (s)eine gegenteilige Meinung bringen. Die aber sind die Leugner*innen und Kritiker*innen immer schuldig geblieben.


Medizinisch gesehen, ist HIV heute eine chronische Infektion wie viele andere auch. Immer noch ist sie unheilbar. (Allerdings gab es auch diesen Fall: Timothy Brown hatte Leukämie. Zuvor war er 1995 als HIV-positiv getestet worden. Während der Stammzellbehandlungen gegen Leukämie stellten die Ärzt*innen fest, dass nicht nur die Leukämie in Remission gegangen war, sondern auch Browns HIV geheilt worden war. Im Oktober ist er gestorben – MANNSCHAFT berichtete).

Jedoch vereinfacht sich die Therapiedurchführung immer weiter, sei es durch weniger Medikamente oder die neue Depotspritze. Was aber nach 40 Jahren immer noch nicht überwunden ist, sind Vorurteile, Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zur Kriminalisierung. All das basiert letztlich auf zu wenig oder falschem, weil überaltertem Wissen. Wer das verändern will, muss immer noch dicke Bretter bohren.

Es ist ein mühsames Werk, aber es lohnt sich.

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