Warum Charlotte keine Seidenfummel trägt und Pöbeln nicht butch ist
Immer wieder sonntags verzweifelt unsere Autorin am «Tatort»
Irgendetwas hat die «Tatort»-Redaktion falsch verstanden, wenn sie pöbelnde, korrupte Polizistinnen auf das leiderprobte Publikum loslässt, findet unsere Autorin. Soll das butch sein? Hier ihr Kommentar* zum ARD-Krimi «Alles kommt zurück».
Lesbische Sichtbarkeit ist keine Frage von Quantität, sondern von Qualität. Zu diesem Schluss konnte die geneigte lesbische Zuschauerin kommen, als der Abspann des Tatortes am zweiten Weihnachtsfeiertag lief, denn natürlich hatten sich so einige von ihnen vor dem Fernseher versammelt, weil Maria Furtwängler als Kommissarin Charlotte Lindholm so einige lesbische Fans hat. Doch schon bald konnten diese Fans sich die Augen reiben, denn die Rolle, die sie in der Folge «Alles kommt zurück» unter der Regie von Detlev Buck verkörperte, war so out of Character, dass sie kaum wiederzuerkennen war.
Die kühle, eher abweisende Ermittlerin hatte sich über einen Sexchat auf ein anonymes Treffen in einem Hotel eingelassen; sie legte sich gar halbnackt zu einem fremden Chatpartner ins Bett – und badete förmlich in Blut, denn ihr Date war erstochen worden. Sie schwebte daraufhin panisch in ihrem blutbefleckten Satinmäntelchen ins Foyer und versuchte, eine Horde Udo Lindenberg-Double daran zu hindern, das legendäre Hotel Atlantic zu verlassen, in dem sie abgestiegen war und das der Dauerwohnsitz des echten Sängers ist. Udo selbst tauchte auch diverse Male in diesem Krimi gewohnt cool auf.
Das eintreffende Polizeiteam bestand aus einem verpennten Kommissar, der bei der Verdächtigen eine billige Anmache startete, und einer herumpöbelnden Kommissarin. Eine ignorante Pathologin gesellte sich später dazu. Eine wirre Ermittlung mit viel Hamburger Kiezflair, einem nuschelnden Udo, seinem ebenso nuschelnden Bodyguard und etwas gezwungenen Regiegags folgte. Im Laufe der Handlung stellte sich heraus, dass die blökende Ermittlerin eine Beziehung mit der Pathologin hat und beide extrem korrupt sind. Manchmal wüsste ich zu gern, was echte Polizistinnen von solchen Darstellungen halten.
Das vergnüglichste an diesem Abend war die zuerst ungläubige, dann aber zunehmend verärgerte Schimpftirade meiner Frau.
Das vergnüglichste an diesem Abend war die zuerst ungläubige, dann aber zunehmend verärgerte Schimpftirade meiner Frau. Warum schauen wir uns das überhaupt noch an, war die Frage, die am Ende im Raum stand. Vielleicht ist es, dass wir immer noch hoffen, dass dieser Sendeplatz, an dem immerhin seit Jahrzehnten hohe Zuschauerquoten erreicht werden, einmal wirklich faire lesbische oder queere Charaktere auf den Bildschirm bringt. Einziger Trost war bei diesem Krimi, dass wirklich alle schlecht aussahen.
Meine Botschaft an die Redaktion: Bitte lasst es, das mit den queeren Charakteren, bis wir mal ausführlich darüber geredet haben. «Lesbische Sichtbarkeit» und «Diversität» (von den Sendern selber angestrebt – MANNSCHAFT berichtete) bedeutet nicht, dass ihr «andere» Menschen ins Drehbuch quetschen sollt, die dann doch nur Klischees austoben (die pöbelnde Kommissarin war nicht butch, sondern einfach nur trampelig). Es bedeutet, gute Rollen durch ein gutes Drehbuch und eine gute Regie glänzen zu lassen. Keine Ahnung, warum das beim «Tatort» gerade so selten gelingt. Schade!
Immerhin, beim jährlichen Quotenduell zwischen dem Weihnachts-«Tatort» im Ersten und dem «Traumschiff» im Zweiten hat sich der Sonntagskrimi vergleichsweise knapp durchgesetzt. Der Charlotte-Lindholm-Fall «Alles kommt zurück» mit Maria Furtwängler, Jens Harzer, Anne Ratte-Polle und Udo Lindenberg als er selbst lockte ab 20.15 Uhr 6,72 Millionen Menschen (22,1 Prozent) vor den Bildschirm. «Das Traumschiff» musste sich mit 5,76 Millionen (18,9 Prozent) am zweiten Weihnachtstag geschlagen geben.
* Die Meinung der Autor*innen unserer Kommentare spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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