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Vom Life Ball bis Tuntathlon – Einblicke ins Archiv der queeren Bewegung

Es geht um Smokings und Lebkuchen

Trevor Project
Foto: Delia Giandeini/Unsplash

Wie spannend und vielfältig die queere Geschichte in Österreich ist, zeigt das Buch «Queer Vienna: Einblicke in ein Bewegungsarchiv». Es enthält elf Beiträge von Studierenden über die queere Community, die teils noch nie erzählt worden sind.

Das Besondere ist, dass jede Geschichte mit einem wichtigen Gegenstand aus der queeren Community zu tun hat. Dazu haben sich die Studierenden zu Forschungszwecken in das queere Wiener Archiv Qwien auf Spurensuche begeben.


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Qwien versteht sich als Archiv, Bibliothek und Forschungsstelle für die queere Geschichte in Wien und Österreich. Dort werden nicht nur Bücher, Zeitschriften, Fotos und Plakate, sondern auch Gegenstände aufbewahrt. Die Studierenden suchten sich einzelne Objekte aus, um die jeweils dahinter liegende Geschichte zu erforschen. Im ersten Beitrag geht es beispielsweise um zwei verbogene Alu-Stangen, die in Qwien zwischen Bibliotheksregalen unter der Decke lagen. Die Autorin Livia Suchentrunk dachte zunächst, dass es sich dabei um Sperrmüll handelt. Doch ihre Nachforschungen ergaben, dass die Alustangen aus einer aufwühlenden und traurigen Episode in der queeren Geschichte Österreichs stammen. An den Alustangen hing ein Transparent, das die Anerkennung von homosexuellen Personen als Opfer des Nationalsozialismus forderte.


Getragen wurde es von Aktivist*innen der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien und der Rosa Lila Villa am 24. November 1988 am Wiener Albertinaplatz. An diesem Tag wurde in einem feierlichen Festakt mit vielen Prominenten und Politiker*innen das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka enthüllt. Die queeren Aktivist*innen protestierten bei der Veranstaltung friedlich, dass homosexuelle Personen vom österreichischen Staat nicht als Opfer der NS-Zeit anerkannt wurden. Doch die Politiker*innen wollten davon nichts hören. Es kam zu einem brutalen Einsatz von Polizisten, die das Transparent von den Alustangen herunterrissen und zerfetzten. Zahlreiche queere Aktivist*innen wurden «beschimpft, gestossen, geschlagen und sogar verhaftet», wie aus einem Zeitungsbericht hervorgeht.

In einem anderen Beitrag geht es um einen Lebkuchen in Rosa-Winkel-Form aus den 1980er Jahren. Der Lebkuchen wird bei Qwien bis heute in einer unauffälligen Pappschachtel mit Papierservietten aufbewahrt. Er soll an homosexuelle Häftlinge in Konzentrationslagern während der NS-Zeit erinnern. Diese mussten in den Konzentrationslagern auf ihrer Kleidung ein rosarotes Stoffdreieck, auch «Rosa Winkel» genannt, tragen. Sie waren mit diesem Erkennungszeichen besonders heftigen Grausamkeiten ausgesetzt. In den 1980er Jahren haben in Österreich queere Aktivist*innen Lebkuchen in Rosa-Winkel-Form und Punschtorten für Protestaktionen verwendet. Die Lebkuchen wurden 1988 beispielsweise an Politiker*innen, Zeitungsredaktionen und an den Wiener Polizeipräsidenten geschickt, um auf die Verfolgung von homosexuellen Menschen in der NS-Zeit aufmerksam zu machen und deren Rehabilitierung zu fordern.

In einem anderen Beitrag geht es um die Rosa Lila Villa, die 1982 als erstes Lesben- und Schwulenhaus in Wien ihre Türen öffnete. Besonders wichtig war die dort untergebrachte Informations- und Beratungsstelle Rosa Lila Tip. Hier konnten sich queere Menschen über Homosexualität, Coming-out und Aids beraten lassen.


Spannend ist auch die Geschichte zweier weisser Smokings, die bei Qwien aufbewahrt werden. Sie wurden von Alkis Vlassakakis und Peter Holub auf dem Wiener Life Ball getragen. Die beiden Männer forderten die Prominenz auf, ihre selbstgeschneiderten Anzüge mit Unterschriften zu signieren. Der Life Ball war in Österreich eine wichtige und grosse Benefiz-Veranstaltung, um Spenden für HIV-Infizierte und an Aids erkrankte Menschen zu sammeln.

Im Archiv von Qwien werden auch zwei signierte Fussbälle aus Schaumstoff aufbewahrt. Diese stammen vom Wiener Tuntathlon aus dem Jahr 2008, als in Österreich die Fussball-Europameisterschaft ausgetragen wurde. Der Tuntathlon ist eine queere Parodie einer Sportveranstaltung, die jedes Jahr in Wien im Sommer stattfindet und nicht nur bei queeren Menschen sehr beliebt ist. Dabei handelt es sich um einen Wettbewerb von selbsternannte Tunten jedweder Genderidentität im Handtaschenwurf, Synchronbügeln und Stöckelschuh-Staffettenlauf.

Das Buch über die queere Geschichte Österreichs ist im vergangenen Jahr in der Reihe Æther mit der Buchnummer 8 erschienen. Bei Æther handelt es sich um ein Lehrformat, bei dem sich Studierende mit komplexen Sachverhalten auseinandersetzen und die Ergebnisse anschliessend einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln. Herausgegeben wird Æther vom Schweizer intercom Verlag, ein nicht-gewinnorientierter Verein in Zürich. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich, die einzelnen Beiträge können auch kostenlos im Internet abgerufen werden.

Andreas Brunner, Sebastian Felten, Hannes Sulzenbacher (Hrsg.): Queer Vienna: Einblicke in ein Bewegungsarchiv – Æther Nummer 8. intercom Verlag, Zürich 2023.

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