«Alice Schwarzer trägt nichts Konstruktives zur Debatte bei»
Viel Kritik an den nun veröffentlichten Thesen zu trans Identität
«Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?», so lautet der Titel der Streitschrift von Alice Schwarzer, die an diesem Mittwoch bei KiWi erscheint.
Mit diesem Sammelband wollen die beiden Herausgeberinnen Schwarzer und Chantal Louis (seit 1994 Redakteurin bei Emma) «aufklären über den Unterschied zwischen einem schwerwiegenden, psychisches Leiden erzeugenden Konflikt aufgrund der tiefen Überzeugung, im falschen Körper zu leben, und dem aktuellen Trend, bereits Geschlechterrollenirritation für ,Transsexualismus‘ zu halten» – so kündigt der Verlag KiWi das Buch an.
Schon vor Erscheinen hat der Sammelband für viel Aufregung gesorgt. «Emma Terfs ins Klo» wurde vergangene Woche in schwarzen Buchstaben auf den Aufgang zu dem mittelalterlichen Turm am Kölner Rheinufer gesprüht, in dem Alice Schwarzers Emma-Redaktion untergebracht ist.
Auch aus der Politik kommt viel Kritik. Vom Queer-Beauftragten der Bundesregierung, Lehmann etwa (MANNSCHAFT berichtete). Und von Jürgen Lenders, Sprecher für LGBTI der FDP-Bundestagsfraktion, erklärte am Erscheinungstag des Buches: «Wer wie Alice Schwarzer Transgeschlechtlichkeit als ein neues ,Massenphänomen‘ und ,Trans-Mode‘ betitelt, spricht den Menschen das Gefühl für sich selbst und ihre Selbstbestimmung ab. Sie zeichnet unnötige Schreckensbilder und sorgt damit für Verunsicherung, gerade bei trans Jugendlichen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause werden Justiz- und Familienministerium einen Referentenentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vorlegen. Die transfeindlichen Bemerkungen von Schwarzer sind unhaltbar und zeigen, wie wichtig der morgige Tag der Trans-Sichtbarkeit ist.»
Einzelmeinungen, die als wissenschaftlich überholt gelten, würden im Buch nicht als solche eingeordnet, sondern als Stand der Wissenschaft dargestellt, kritisiert der Bundesverband Trans* e.V. Es entstehe etwas, das «false Balance» (falsche Ausgewogenheit) genannt werde – eine Form der medialen Verzerrung. «Viele der im Buch eingenommenen Positionen wiederholten transfeindliche Annahmen, die auch in christlich-fundamentalistischen, rechtskonservativen und rechtsradikalen Kreisen geäussert werden.» Durch die Veröffentlichung mische sich Schwarzer in die Debatte um die Anerkennung von trans Personen ein und fordere den gesellschaftlichen Fortschritt der vergangenen Jahre zurückdrehen und die Diskriminierung von trans Personen mindestens beizubehalten, wenn nicht gar zu verstärken.
Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* erklärte: «Es macht wütend, dass wir im Jahr 2022 darüber diskutieren, ob trans Personen Respekt verdient haben. Trans Personen gibt es, seit es Menschen gibt. Nur die Bezeichnungen dieser Personengruppe wandelten sich je nach Zeit und Ort. Wir brauchen eine respektvolle Debatte, wie Gewalt und Benachteiligung gegenüber trans Personen abgebaut und langfristig beendet werden können. Eine Veröffentlichung wie der Sammelband von Alice Schwarzer trägt nichts Konstruktives zu dieser Frage bei und verschärft im Gegenteil die Ausgrenzung und Abwertung, die trans Personen erfahren. Diesem Buch und den darin verbreiteten Thesen und Fehlinformation sollte keine Plattform gegeben werden. Es schadet trans Personen.»
Auch der LSVD hält die Erklärungen von Schwarzer für grundlegend falsch und unverantwortlich. Wenn Transgeschlechtlichkeit akzeptiert wird, es Vorbilder gibt und es Menschen leichter gemacht wird, offen trans zu sein, dann wird es auch mehr offen lebende trans Menschen geben. Schwarzer behaupte jedoch, eine zunehmende Zahl offen lebender trans Menschen sei besorgniserregend. Menschen würden zu schnell als trans anerkannt. «Diese Coming-outs müssten angezweifelt und hinterfragt werden. Trans Menschen würden gesellschaftlich vorschnell bestärkt. In letzter Konsequenz ist das ein Plädoyer dafür, es trans Menschen so schwer wie möglich zu machen, sie in die Unsichtbarkeit zu drängen und als Problem und ungleichwertig darzustellen. Das sei ein fataler transfeindlicher Irrweg», so der LSVD.
Die Debatte sei auch schädlich, weil die wenigsten in Deutschland trans Menschen persönlich kennen, so der LSVD. «Sie können daher die Behauptungen nicht mit der Lebenserfahrung von trans Menschen abgleichen. Die wenigsten wissen auch etwas über den rechtlichen Stand in Deutschland sowie über die medizinischen Leitlinien für geschlechtsangleichende Massnahmen. Für uns ist es daher verwerflich, dass Alice Schwarzer ihre Bekanntheit und Reichweite nutzt, um über die Existenz von Transgeschlechtlichkeit zu streiten. Statt tatsächlich aufzuklären, werden Falschbehauptungen verbreitet und Vorurteile geschürt. In keiner Weise spiegeln die Behauptungen die Alltags- und Lebensrealität von trans Personen wider.
Der LSVD wirbt für ein Klima, das Vielfalt als Bereicherung erkennt und wertschätzt. Wir wollen, dass lesbische, schwule und bisexuelle Lebensweisen wie auch Trans- und Intergeschlechtlichkeit als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität respektiert und anerkannt werden. «Selbstbestimmtes lesbisches und schwules Leben bedeutet in der Regel auch einen Ausbruch aus überkommenen Rollenerwartungen. Lesben und Schwule kennen die homophoben Vorurteile, keine ,richtigen‘ Frauen bzw. Männer zu sein. Hier haben sie biografisch oft starke Berührungspunkte mit trans- und intergeschlechtlichen Menschen, die für ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Der LSVD beteiligt sich intensiv an diesem Kampf.» Es gehe um die Verwirklichung elementarer Menschenrechte wie des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, die Achtung des Privatlebens und die persönliche Handlungsfreiheit.
Zusammen mit dem Bundesverband Trans* hat der LSVD die Broschüre «Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden» veröffentlicht. Darin wird über Transgeschlechtlichkeit und das von queeren Verbänden geforderte Selbstbestimmungsgesetz informiert.
Warum die Thesen, die auch Alice Schwarzer in ihrem Buch verbreitet, falsch, gefährlich und transfeindlich sind, erklärt der Verband ausführlich in «9 Kritikpunkte an Alice Schwarzers gefährlichen und falschen Thesen zu ,Transsexualität’».
Die «Sendung mit der Maus» widmete sich am Sonntag dem Thema Trans, was für hitzige Debatten sorgte (MANNSCHAFT berichtete).
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