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«Sicherheitsrisiko schwul»: Doku zur Kießling-Affäre 1984

Vor 40 Jahren wurde der Vier-Sterne-General heimlich in den Ruhestand versetzt, weil er homosexuell gewesen sein sollte

Kießling
Vier-Sterne-General Günter Kießling (Foto: SWR / ARD)

Am 5. Januar 1984 wurde bekannt, dass CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner den ranghöchsten deutschen Offizier und stellvertretenden Nato-Oberbefehlshaber General Günter Kießling wegen angeblicher Homosexualität heimlich entlassen hatte.

Zur Begründung hiess es damals: Der Vier-Sterne-General sei wegen seiner sexuellen Orientierung erpressbar und damit ein Sicherheitsrisiko. Jetzt beleuchtet die SWR-Doku «Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling» den bekanntesten «Homoskandal» in der Geschichte der Bundeswehr (am 8. Januar 2024 um 23.05 Uhr im Ersten und ab 8. Januar auch in der ARD-Mediathek).

Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling
Benno Gammerls «Queer: Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute» (Foto: Hanser Verlag)

In seinem neuen Buch «Queer: Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute» schreibt Benno Gammerl über die Homofeindlichkeit der frühen Aidsjahre in der BRD und über die «geistig-moralische Wende», die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bei Regierungsantritt 1982 ausgerufen hatte, als Reaktion auf die Erfolge der LGBTIQ*-Bewegung der 1970er-Jahre.

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Günter Kießling (l.) und Verteidigungsminister Manfred Wörner in «Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling» (Foto: SWR / ADR)

Zu Kießling liest man bei Gammerl: «Die homofeindlichen Stimmen, die im Zuge der Kießling-Affäre laut wurden, verhiessen nichts Gutes. Damals ging das Gerücht um, dass der Bundeswehrgeneral und stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber in Europa Günter Kießling homosexuell sei. Deshalb versetzte ihn der CDU-Verteidigungsminister in den vorzeitigen Ruhestand. Bald darauf revidierte er diese Entscheidung. Aber nur weil sich die Gerüchte als falsch erwiesen hatten, nicht weil die militärische Führung einsah, dass ein schwuler Soldat keinesfalls automatisch ein Sicherheitsrisiko darstellte.»


Doppelmoral in Politik und Medien
Zuerst hatte die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel vom 5. Januar 1984 auf Kießlings Versetzung in den Ruhestand im Dezember 1983 hingewiesen, die auf Ermittlungen der Kölner Kriminalpolizei basierten und den Verdacht der Homosexualität vage zu bestätigen schienen. Als die Affäre dann nach Bekanntwerden aufgearbeitet wurde und die Gerüchte sich als haltlos entlarvten, wurde Kießling ab 1. Februar 1984 wieder eingestellt und im März mit einem Grossen Zapfenstreich in den «ehrenhaften» Ruhestand versetzt.

Zum 30-jährigen Jubiläum der Bundeswehr war er 1985 allerdings ein einziger General nicht eingeladen. Er arbeitete bis 2000 als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Hunzinger Information AG und hatte einen Lehrauftrag an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg fürs Fach «Betriebswirtschaft der Streitkräfte». Kießling starb 2009.

Die SWR-Doku von Simone Schillinger zeigt exemplarisch, welche Doppelmoral in Politik und Medien damals herrschte. Die Kriminalpolizei und selbst der WDR schickten damals Fernsehreporter in eine schwule Kölner Altstadt-Kneipe und befragte das Barpersonal, als ginge es um die Aufklärung eines Verbrechens mit Fotofahndung.


Coming-out von Bundeswehroffizier Michael Lindner
Nach Ende der Affäre bot Verteidigungsminister Wörner seinen Rücktritt an, Kanzler Kohl hielt jedoch an Wörner fest. Er blieb bis 1988 Verteidigungsminister. Danach war er bis zu seinem Tod 1994 deutscher Nato-Generalsekretär und Vorsitzender des Nordatlantikrats.

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Michael Lindner wurde Anfang der 80er-Jahre aufgrund seiner Homosexualität in den Ruhestand versetzt (Foto: SWR / Björn Schneider)

Die Doku lässt auch Bundeswehroffizier Michael Lindner zu Wort kommen, der damals parallel zur «Affäre Kießling» nach seinem öffentlichen Coming-out mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand versetzt worden war. Lindner klagte dagegen, musste aber 20 Jahre für sein Recht kämpfen. Er wurde 2004 rehabilitiert.

Langer Kampf
Zur Erinnerung: Erst seit 2000 gilt Homosexualität in der Bundeswehr nicht mehr als Entlassungsgrund. 2020 entschuldigte sich die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) offiziell für das Unrecht, das so viele Soldat*innen erfahren hatten. Ein Jahr später beschloss der Bundestag das Gesetzt «SoldRehaHomG», das eine Entschädigung von 3‘000 Euro für betroffene homosexuelle Soldat*innen – in der Bundeswehr sowie der Nationalen Volksarmee der DDR – vorsieht (MANNSCHAFT berichtete).

In der SWR-Doku sagt Lindner rückblickend, der lange Kampf habe sich gelohnt. Er erhalte heute noch Briefe von jungen Schwulen, die sich bei ihm bedankten.

Generalmajor Markus Kurczyk wurde im Oktober 2023 in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil er einen Soldaten gegen dessen Willen auf den Mund geküsst haben soll (MANNSCHAFT berichtete).


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