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«Sehr geehrte Damen und Herren» – Vom Umgang mit schwierigen Wörtern

Ein neues Buch versucht sich an einem Überblick

Buchcover «Kaputte Wörter? - Vom Umgang mit heikler Sprache»
Buchcover «Kaputte Wörter? - Vom Umgang mit heikler Sprache»

Welche Wörter darf man heute sagen? Und bei welchen lässt man es besser bleiben? Diese Fragen führen oft zu spannungsgeladenen Debatten. Ein Buch hat eine Vielzahl von Begriffen gesammelt, die als problematisch gelten. Manche davon überraschen.

Von Silke Sullivan, dpa

Wenn es um den Umgang mit Sprache geht, kann es schnell ungemütlich werden. Das zeigen Debatten wie jüngst über gendergerechte Sprache oder diskriminierende, rassistische Begriffe. Vor allem in den sozialen Medien wird dabei nicht zimperlich miteinander umgegangen. Neben sachlicher Kritik finden sich dort häufig masslose Vorwürfe – von allen Seiten. Wer «falsch» spricht, steht schnell am öffentlichen Pranger. Wer Veränderung fordert, sieht sich nicht selten dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt. Das alles sorgt für Polarisierung und Verunsicherung. Häufig steht dann die Frage im Raum, was man heute eigentlich noch sagen darf.



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Ein neues Buch gibt bei diesem Thema einen Überblick. Für «Kaputte Wörter? – Vom Umgang mit heikler Sprache» hat der Welt-Journalist Matthias Heine rund 80 Wörter gesammelt, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden – früher aber auch als «durchaus neutral» galten, wie er schreibt.

Die Wörter sind alphabetisch gegliedert. Das macht das Lesen übersichtlich und einfach. Es geht los mit A wie Abtreibung und endet mit Z wie Zwerg. Dazwischen finden sich E wie Eskimo, M wie Milch (als Bezeichnung für vegane Milchalternativen) und S wie Schamlippen.


Jedes Kapitel ist aufgeteilt in Ursprung und Gebrauch des Wortes und der Kritik an ihm. Am Ende jeden Abschnitts gibt der Autor eine subjektive Einschätzung. Dabei will er sich nicht als «Sprachpolizei» oder «Anti-Sprachpolizei» verstanden wissen, betont er, sondern zum Weiterdenken anregen.

Die Gründe, warum die Wörter in der Kritik standen und stehen, sind vielfältig. Häufig geht es darum, dass sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen für ihre Rechte und für Respekt einsetzen. (MANNSCHAFT berichtete über diskriminierende Comedy)

So spielt das Thema geschlechtergerechte und geschlechtsneutrale Sprache bei vielen Begriffen eine Rolle. Einmannpackung etwa ist aus dem Grund problematisch geworden – die Bundeswehr nennt diese seit Kurzem daher Einpersonenpackung. Auch auf die Anrede «Sehr geehrte Damen und Herren» wird immer häufiger verzichtet, um Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen, nicht auszuschliessen. Grosses Aufregerpotenzial bei dem Thema hat seit einigen Jahren die Bedeutung des Wortes «Frau» und die Frage, ob trans Frauen Frauen sind.

Andere Wörter werden geändert, um Rassismus und Diskriminierung zu vermeiden. Dazu gehören die Bezeichnungen bestimmter Gerichte, wie eine Schnitzel-Art, die jetzt unter anderem Balkanschnitzel genannt wird, oder die früher gängige Bezeichnung für Schokoküsse.

Und natürlich das N-Wort. Damit wird eine früher gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. In der Debatte, die regelmässig aufploppt, geht es nun um die Frage, ob das eigentliche Wort in Zitaten, Literatur und historischen Quellen verwendet werden darf. Heine schreibt es aus, weil er bezweifelt, dass es durch die Abkürzung – für die man, um sie zu verstehen, das eigentliche Wort kennen muss – verschwindet.

Um andere Wörter wird dagegen nicht mehr gestritten. Dazu gehören Liliputaner als Bezeichnung für kleinwüchsige Menschen, mongoloid, womit lange Menschen mit dem Down-Syndrom bezeichnet wurden oder die Anrede «Fräulein» für unverheiratete Frauen. Sie alle funktionieren nicht mehr und sind aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden.

Wie sehr dagegen manche Wörter verunsichern können, zeigt sich etwa beim Wort Jude. Viele Deutsche haben Hemmungen, es zu verwenden. Sogar im Duden findet sich der Hinweis, dass die Bezeichnung wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch gelegentlich als diskriminierend empfunden wird. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sah sich deswegen Anfang des Jahres zu einer Erklärung veranlasst: Das Wort Jude sei für ihn weder ein Schimpfwort noch diskriminierend.

Wer ins Ausland blickt, der wird feststellen, dass dort die Debatten zu manchen Wörtern zuweilen fortgeschrittener sind als in Deutschland. Das englische Äquivalent zu «bemannt» etwa wird von der US-amerikanischen Weltraumbehörde Nasa seit den Nullerjahren aus Gründen gendersensibler Sprache vermieden. Deutsche Medien dagegen verwenden es auch heute noch – etwa wenn sie über die Raumfahrt berichten. (MANNSCHAFT berichtete über die Klage eines VW-Mitarbeiters gegen Gendersprache)

Welchen Einfluss politische Entwicklungen auf Sprache haben, zeigen sowohl deutsche Städtenamen in Polen und Russland (wer etwa Breslau statt Wroclaw sagte, stand lange unter Revanchismusverdacht – heute ist das allerdings nicht mehr so) als auch Forderungen – etwa ukrainischer Politiker seit Beginn des Krieges in der Ukraine – die ukrainische Hauptstadt aus Respekt mit der ukrainischen Schreibweise Kyjiw oder Kyiv zu benennen, und nicht mit der russischen Kiew.

Überraschend ist, wie der Gebrauch von Messengerdiensten wie Whatsapp Sprache verändern kann. Der Punkt etwa ist laut einer Studie der Universität Birmingham unter Jüngeren zu einem «gefährlichen Satzzeichen» geworden. Ihr zufolge werden im Englischen Textnachrichten, die mit einem Punkt enden, von jüngeren Empfänger*innen als unfreundlich wahrgenommen. Punkte am Satzende seien bei jüngeren Nutzer*innen in Textnachrichten die grosse Ausnahme, der Ton von Sätzen mit Punkt werde mittlerweile von ihnen als abrupt und wütend empfunden, erklärte etwa der Linguist Owen McArdle aus Cambridge.

Die vielen Fakten, die Heine zusammengetragen hat, machen das Buch zu einer kurzweiligen Lektüre. So erfährt man, dass mit Afrika im Jahr 202 vor Christus nicht der gesamte Kontinent gemeint war, sondern nur die römische Provinz Africa im heutigen Tunesien. Und wer hätte gedacht, dass obdachlos und behindert im 19. Jahrhundert eingeführt wurden, um damals als abwertend wahrgenommene Begriffe wie Landstreicher und verkrüppelt zu ersetzen. Heute stehen die beiden Wörter selbst in der Kritik.

Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was Heine zu bestimmten Wörter und den Umgang mit ihnen denkt. Der Wunsch nach einem weniger schrillen Ton bei manchen Sprachkämpfen und mehr offenen demokratischen Diskussionen, mag viele Lesende dagegen überzeugen.


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