Roman Heggli verlässt Pink Cross: «Wir dürfen uns nicht spalten lassen»

Roman Heggli
«Ich habe gelernt, wie langsam politische Prozesse in der Schweiz sein können.» (Bild: David Rosenthal)

Acht Jahre lang war Roman Heggli das Gesicht von Pink Cross – nun tritt er zurück. Im Interview spricht er über politische Erfolge, wachsenden Gegenwind und Spannungen in der Community.

Roman, warum hörst du bei Pink Cross auf? Ich durfte in den letzten acht Jahren viel mitgestalten und gemeinsam mit Pink Cross viele Erfolge feiern. Schon seit Längerem spürte ich, dass es Zeit ist, etwas Neues zu entdecken. Jetzt wage ich den Schritt und werde Rettungssanitäter, worauf ich mich sehr freue.

Erfolge wie das Diskriminierungsverbot, die Ehe für alle oder das Verbot von Konversionstherapien in einigen Kantonen – das ist doch eine starke Bilanz. Ja, wir sind in dieser Zeit wirklich weit gekommen. Das war natürlich nicht nur mein Verdienst. Ich durfte Pink Cross in einer dankbaren Phase übernehmen. Viele Weichen wurden bereits durch das Engagement früherer Aktivist*innen gestellt. Ich konnte darauf aufbauen und habe dabei auch von deren Arbeit profitiert.

Anfangs dachte ich, wir würden viele Dinge viel schneller erreichen. Aber ich habe gelernt, wie langsam politische Prozesse in der Schweiz sein können.

Einige Baustellen sind geblieben. Welche sind das? Zum Beispiel der Diskriminierungsschutz am Arbeitsplatz, ein nationales Verbot von Konversionsmassnahmen oder die rechtliche Absicherung von Regenbogenfamilien. An diesen Themen arbeiten wir seit Jahren – aber bis sie Realität werden, wird es wohl noch dauern.

Was war rückblickend die grösste Herausforderung? Das politische Klima hat sich in den letzten zwei Jahren stark verändert. Als ich 2017 anfing, wurde das Thema LGBTIQ sehr präsent und positiv aufgenommen. Wir hatten das Gefühl, offene Türen einzurennen. Doch plötzlich wurden diese Türen zugeschlagen. Der Gegenwind von rechts wurde spürbar stärker, und wir wurden als Gegner dargestellt.

Queerfeindlichkeit ist leider wieder salonfähig geworden – angeheizt durch Politiker*innen und Medien. Das wirkt sich auf die Community aus: Wir lassen uns spalten, spielen die «Buchstaben» gegeneinander aus. Man hört Aussagen wie: «Für trans Personen müssen wir jetzt nicht mehr kämpfen» oder «Wir haben schon genug gefordert». Diese Entwicklung ist für mich die grösste Herausforderung. Der Aktivismus ist dadurch kraftraubender geworden und verlangt mehr Ausdauer.

«Das politische Klima hat sich in den letzten zwei Jahren stark verändert.»

Roman Heggli

Worauf bist du besonders stolz? Auf eine Woche im April 2019. Damals wurde überraschend das Referendum gegen die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm eingereicht. Gleichzeitig fällte das Bundesgericht ein Urteil, das den Schutz durch das Gleichstellungsgesetz für schwule, bisexuelle und lesbische Personen aufhob. Dann hat Sven Epiney noch einen Heiratsantrag im Live-TV gemacht – und der Sonntags Blick berichtete in sieben Seiten über Homo-Hass.

Das Telefon lief entsprechend heiss. Trotzdem konnten wir innerhalb von zwei Tagen eine starke Kampagne für den Diskriminierungsschutz aufbauen und neun Monate später die Abstimmung deutlich gewinnen. Darauf bin ich besonders stolz.

Du hast angesprochen, dass sich die Community auseinanderdividiert. Was hat sich sonst seit 2017 verändert? Die Akzeptanz in der breiten Gesellschaft ist gewachsen. Begriffe wie «queer» oder «LGBTIQ» sind heute vielen geläufig. Als ich anfing, sprachen wir fast nur von schwulen Männern – alles andere war schwer vermittelbar.

Damals hatten wir viel mediale Präsenz, weil es grossen Nachholbedarf gab. Heute müssen wir deutlich mehr kämpfen, um wahrgenommen zu werden. Selbst wichtige Erfolge, wie das Verbot von Konversionsmassnahmen in konservativen Kantonen, werden medial kaum noch aufgegriffen.

Wie hat sich Pink Cross in deiner Zeit verändert? Wir sind grösser, stabiler und professioneller geworden. Unser Team ist gewachsen, das Budget ebenfalls. Wir haben neue Projekte wie die LGBTIQ-Helpline oder das Schulprojekt Lehrplan Q gestartet. Allerdings hat sich das Verhältnis zu den Regionalorganisationen verändert. Früher wurde Pink Cross stärker als «ihr» Dachverband verstanden. Heute haben sich viele hin zu queer geöffnet, aber gleichzeitig Mühe, gute Leute zu finden, die sich engagieren wollen. Ich wünsche mir hier wieder mehr Zusammenarbeit und eine gemeinsame Strategie – besonders, um die Community vor Ort besser zu unterstützen.

Du hast dich immer für den Zusammenhalt der LGBTIQ-Community eingesetzt. Gab es intern Diskussionen, ob Pink Cross sich nur für schwule und bisexuelle Männer einsetzen soll? Ja, das war zu Beginn meiner Zeit ein grosses Thema. Eine meiner ersten Handlungen war es, die Statuten so anzupassen, dass wir uns klar auch für die ganze LGBTIQ-Community einsetzen – in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen. Diese Entscheidung wurde anfangs diskutiert, war am Ende aber unbestritten.

Inzwischen spüre ich, dass sich in der Community insgesamt etwas verändert hat. Wegen des zunehmenden Gegenwinds ziehen sich einige auf ihre eigenen Anliegen zurück. Das ist menschlich verständlich – aber gefährlich. Wir dürfen nicht aus Angst unsere queeren Geschwister aufgeben, um unsere eigenen Rechte zu verteidigen.

Aktuell trifft der Backlash vor allem trans und nichtbinäre Personen. Aber die Geschichte zeigt: Früher oder später betrifft es auch schwule cis Männer. Deshalb müssen wir früh dagegenhalten – gemeinsam.

Bei einigen Prides taucht die grüne Regenbogenfahne der Schwulen auf. Kapseln sich schwule Männer ab? Ich habe diese Fahne selbst noch nicht gesehen, aber ich nehme schon eine gewisse Abgrenzung wahr. Aussagen wie «Wir sind die normalen Schwulen, die anderen sind zu extrem» sind gefährlich. Auch schwule Männer werden früher oder später betroffen sein, wenn queere Rechte angegriffen werden. Wir dürfen uns nicht spalten lassen.

In der Schweiz gibt es Pink Cross, LOS und TGNS. Wäre ein gemeinsamer Dachverband nicht sinnvoller? Das war tatsächlich eines meiner grossen Ziele. Es hat leider nicht geklappt – bisher. Politisch wäre ein gemeinsamer Verband sinnvoll, weil Politiker*innen und Medien selten zwischen den Buchstaben unterscheiden.

Für soziale Angebote vor Ort ist es aber gut, wenn es spezifische Angebote gibt – zum Beispiel für schwule Männer. Das muss nicht immer für die ganze Community sein. Aber politisch braucht es eine vereinte Stimme.

Was möchtest du Pink Cross und der Community mit auf den Weg geben? Ich wünsche mir mehr Solidarität. Wir sollten uns für jene einsetzen, die noch nicht alle Rechte haben – etwa trans Personen oder queere Geflüchtete. Gerade Geflüchtete haben es durch den Rechtsrutsch deutlich schwerer, in der Schweiz anerkannt zu werden.

Auch Regenbogenfamilien brauchen weiterhin Unterstützung. Ein gut situiertes, verheiratetes Männerpaar kann in der Schweiz häufig sorgenfrei leben. Sobald es Probleme gibt, etwa am Arbeitsplatz, sind wir aber noch immer benachteiligt. Darum braucht es weiterhin Engagement – für die ganze Community, nicht nur für die eigenen Anliegen.

«Ich habe vollstes Vertrauen in die Zukunft von Pink Cross.»

Roman Heggli

Gibt es ein politisches Thema, das du gern noch abgeschlossen hättest? Ja, das Verbot von Konversionsmassnahmen beschäftigt uns seit über zehn Jahren. Es sah lange gut aus, aber wurde nun erneut verschoben – das ärgert mich. Auch ein umfassendes Gleichstellungsgesetz fehlt noch. Es braucht besseren Diskriminierungsschutz am Arbeitsplatz, die Anerkennung der Stiefkindadoption, und mehr rechtliche Sicherheit für Regenbogenfamilien. Das alles steht noch an.

Gibt es schon eine Nachfolge für deine Position? Ja, die neue Geschäftsleitung startet am 1. Juli. Wir werden sie Anfang Juli vorstellen. Ich bin überzeugt, dass wir eine kompetente Person gefunden haben, die auch fest in der Community verwurzelt ist. Ich habe vollstes Vertrauen in die Zukunft von Pink Cross.

Und zum Schluss: Du wirst Rettungssanitäter – warum dieser Schritt? Ich habe lange überlegt, wie mein nächster beruflicher Schritt aussehen könnte. Die Arbeit bei Pink Cross war extrem erfüllend. Wir konnten mit einem kleinen Team grosse politische Erfolge erzielen und schnell auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren.

Es ist schwierig, etwas Vergleichbares zu finden. Aber ich habe gemerkt, dass ich direkter mit Menschen arbeiten möchte. Rettungssanitäter zu werden ist für mich ideal – ich kann helfen, konkret und unmittelbar. Das wollte ich schon lange, und jetzt wage ich den Schritt.

Mehr: Stärker als das Verbot: Grösste Pride in Budapest seit 30 Jahren (MANNSCHAFT berichtete)

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