Schwulenbewegung in der BRD – ganz anders als Stonewall
Ein Gespräch mit Patrick Henze über radikale Tunten, homophobe Linke und warum die deutschen Homosexuellen damals ohne fliegende Steine auskamen.
Im 50. Jubiläumsjahr der Stonewall Aufstände erscheint das neue Buch von Patrick Henze besser bekannt als Patsy l’Amour laLove («Beissreflexe), das sich ausführlich mit der westdeutschen Schwulenbewegung beschäftigt. Ein Gespräch über radikale Tunten, homophobe Linke und warum die deutschen Homosexuellen damals ohne fliegende Steine auskamen.
Patsy, während in Amerika die Stonewall Riots als Ausgangspunkt für die moderne Schwulenbewegung gelten, sind es in Deutschland eher Bücher oder Filme, vor allem Rosa von Praunheims «Nicht der Homosexuelle …» – kann man das vereinfacht so sagen? Prinzipiell schon. Das Gemeinsame an den Anfängen in den USA und in Westdeutschland war, dass die Schwulenbewegung jeweils nicht aus dem Himmel fiel, sondern inspiriert von der zunehmenden gesellschaftlichen Liberalisierung und der Frauenbewegung entstanden. Da fängt dann aber auch schon der grosse Unterschied an. In den USA beeinflusste zusätzlich die Black Liberation Bewegung den schwulen Aktivismus.
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In der BRD war es der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) mit Reimut Reiche, Rudi Dutschke, die studentische linke Bewegung insgesamt, die für die Schwulenbewegung die zentrale Orientierung war. Ein paar meiner Interviewpartner sprachen von einem Zeitgeist: Die sexuell spröde Adenauer-Ära wurde hinter sich gelassen, und die 60er verbanden zunehmend linke Kaderpolitik und Flower Power Befreiungsromantik. In dieser Zeit, 1969, wurde der Paragraph 175 in Westdeutschland stark reformiert. Erst zwei Jahre später aber, 1971, erschien der Praunheim-Film.
Und, wie Du sagst, ausgelöst durch die Vorführungen und Diskussionen zum Film gründeten sich schwule Aktionsgruppen wie die Homosexuelle Aktion Westberlin oder die Rote Zelle Schwul. Während man in den USA mit den Stone Wall Riots noch eher von einem militanten Befreiungsschlag sprechen kann, so war das in Westdeutschland eher eine Organisierung linker Homosexueller, die sich mit den Zugeständnissen eines sich liberalisierenden Kapitalismus nicht zufrieden geben und die bestehende Schwulenfeindlichkeit anprangern wollten.
Daran merkt man schon: Die westdeutsche Bewegung war bei allem Aktionismus auch eine intellektuelle Angelegenheit, was sie eher mit den französischen Schwestern der Zeit vergleichbar macht. Internationales Alleinstellungsmerkmal sind die Theorien auf die sie sich bezogen: Eine ganz deutliche entsprechende Prägung hat das Standardwerk der Schwulenbewegung aus dem Jahr 1974, das hoch und runter studiert wurde, «Der gewöhnliche Homosexuelle» von Martin Dannecker und Reiche.
Wobei aber die Geschehnisse in der Christopher Street vermutlich auch Eindruck auf die Homosexuellen in Deutschland gemacht haben, oder? Den Archivdokumenten zufolge gab es zuerst Mal eine Abgrenzung von dem schwulen Aktivismus amerikanischer Prägung, der als überaus positiv geprägt wahrgenommen wurde. Nach dem Motto «gay is beautiful». Die westdeutschen Aktivisten glorifizierten die schwule Welt nicht in der Form. Da gab es eher eine Kritik in zwei Richtungen: Eine Kritik an der Hetero-Gesellschaft und eine Kritik an der schwulen Subkultur.
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Trotzdem gab es natürlich rege Kontakte in die USA, besonders ab Mitte der 70er, und dann Ende der 70er Jahre, besonders bei den sogenannten Spontis, die weniger Theorie und mehr Aktion einforderten, gab es auch eine Begeisterung für die US-Protestformen, die bunter und unmittelbarer waren. Diese spontaneistische Fraktion in der Schwulenbewegung verschaffte sich beispielsweise Ausdruck in dem Frankfurter Festival «Homolulu» 1979. Für andere Aktivisten der ersten Stunde wie Egmont Fassbinder wiederum war diese neue Protestform ein persönlicher und politischer schwuler Vulkanausbruch, der Emanzipation sozusagen spürbar machte.
Die meisten Schwulenaktivisten von damals oder Bewegungsschwestern, wie Du sie nennst, waren zuvor in linken Studentengruppen organisiert. Dabei wollten linke Heteros damals lieber nichts von Schwulen und Lesben wissen. Die linken Heteros setzten Schwule bei Diskussionen an die hintersten Stellen der Redelisten, drängten sie bei 1.-Mai-Demos ab und ähnliches lässt sich in ihrem Umgang mit Frauen sagen. Die Frauen aber waren vehementer in ihrer Abkehr von den linken Männern. Die linken Schwulengruppen strengten sich noch eine ganze Weile an, um bei der Studentenbewegung zu punkten und so eine richtige Umkehr gab es erst durch die radikalen Tunten ab Mitte 1973, die sich der Lesben- und Frauenbewegung zuwandten und feministische Literatur diskutierten. Besonders war aber von vornherein die linke, kommunistische Ausrichtung der Schwulenbewegung – zunächst hin auf eine Revolution gerichtet und etwas später zumindest auf eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung.
Es gab neben Berlin gewisse Zentren, wo sich Schwulengruppen oder Schwulenbewegungen gegründet haben, u.a. in Frankfurt, aber auch in Münster, wo 1972 die erste Schwulendemo Deutschlands stattfand. Kam die Initiative immer aus universitären oder intellektuellen Kreisen? Ja, die westdeutsche Schwulenbewegung war eine durchweg studentische Angelegenheit. Es gab ein paar Ausnahmen, wie Rolf Stein in Westberlin, der sich mit der «Homosexuellen Arbeiter Aktion Westberlin» abspaltete – doch damit wurde aus heutiger Sicht eher die Regel, das Studentische, bestätigt. Einige Aktivist*innen wie Rosa von Praunheim übten daran regelmässig Kritik, wollten mehr Aktionismus und mehr Sex auch in der Bewegung. Doch selbst der aktionistische Flügel der Tuntenfraktion blieb sehr theorieaffin. Diese intensive, intellektuelle Beschäftigung mit Kritik, mit Gesellschaft und Sexualität, bei gleichzeitiger Betonung des Anderen am Schwulsein ist die besondere Mischung dieser Bewegung, die mich nach wie vor fasziniert.
Das ausführliche Interview ist im März-Heft der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.
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