«Ich liebe die Community, aber wir sind nicht fehlerfrei»
Jonathan erzählt von seinen Erfahrungen mit Rassismus in der LGBTIQ-Szene
Die LGBTIQ-Community beschreibt sich gerne mit den Adjektiven «tolerant» und «offen». Dennoch erfahren BIPOC (Black, Indigenous, People of Color) auch in der Community Rassismus. Jonathan Gregory aus Berlin ist beruflich und privat in der Szene unterwegs und erzählt uns von seinen Erlebnissen.
Nach der Tötung von George Floyd erwarten viele Weisse nun von Betroffenen, dass sie von ihren Erfahrungen berichten und aufklären, meint Jonathan. Doch das Zuhören bereite einigen noch Schwierigkeiten. «Es kann nicht erwartet werden, dass wir über unsere Erfahrungen sprechen und diese gleichzeitig nicht ernst genommen und hinterfragt werden», sagt der Wahl-Berliner. Wie bei der #MeToo-Bewegung sei auch bei Erfahrungsberichten über Rassismus der erste Schritt zu sagen: «Ich glaube dir.»
In eigener Sache: Wir stärken uns für die Zukunft
«Rassismus fängt nicht damit an, dass Schwarze getötet werden», sagt Jonathan, «sondern bei scheinbar harmlosen Aussagen. Zum Beispiel fragte mich meine Hausärztin, ob ich deutsch spreche, obwohl ich sie mit ‹Guten Tag› begrüsst habe.» Solche Aussagen würden aber oftmals verharmlost und mit einem «ist doch gar nicht so gemeint» abgetan.
Rassismus in der Community «In Gremien muss ich doppelt so eloquent wirken, damit ich ernst genommen werde», erzählt er. Jonathan ist als Sozialarbeiter in der HIV-Prävention tätig. Beruflich ist er somit oft in queeren Bars und Clubs anzutreffen. Dort werde er oft gefragt, woher er komme. «Stuttgart» genüge vielen als Antwort nicht, obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist. Manche versuchen auch, seine Herkunft zu erraten, was sehr unangenehm und unangebracht ist.
Eine weisse Arbeitskollegin machte in einer Besprechung auf das so genannte «Racial Profiling» (wenn Personen auf Grund ihres Äusseren als verdächtig eingestuft werden, ohne konkreten Verdachtsmoment) aufmerksam, das sie in ihrer Feldarbeit beobachtet hatte. Ihr wurde entgegnet, dass es so etwas nicht gibt. Auch als Jonathan von einer persönlichen Erfahrung erzählte, bei der er als einzige Nicht-Weisse Person aus einer Gruppe von Freund*innen herausgepickt wurde, stiess er auf taube Ohren. «Da fühlte ich mich als Fachperson nicht ernstgenommen. Es ist, als würde man sagen: ‹Deine Erfahrungen sind nicht echt›».
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2015 hat Jonathan bei der Mr.-Gay-Germany-Wahl mitgemacht und den dritten Platz belegt. Auch da hat er Rassismus erlebt. Im Halbfinale musste jeder Kandidat eine Community-Kampagne vorstellen, die bei einem Sieg realisiert wird. «In meiner Kampagne ging es darum, Vorurteile abzubauen, und Diskriminierung und Alltagsrassismus zu bekämpfen. Meine Hautfarbe wird meistens als erstes registriert. Ich wollte meine negativen Erfahrungen in etwas konstruktives umwandeln und zeigen, dass Diversität und Vielfalt das sind, was unsere Community ausmachen», erzählt Jonathan.
«Daraufhin wurde mir eine Gegenfrage gestellt: Ob ich denn weiss, dass schon einmal ein Schwarzer gewonnen habe. Dieser sei auch aus Stuttgart gewesen und sei sogar noch dunkler gewesen als ich.»
In der Situation sei ihm kein Konter eingefallen, so eine Aussage mache auch sprachlos. «Ich finde es schwierig, einen Community-Botschafter zu suchen, dann aber die Kandidaten dermassen zu kategorisieren». Die restlichen Kandidaten der Top 10 waren alle weiss. Von einem Mitstreiter sei er zudem als «Quotenschwarzer» bezeichnet worden. «Ich weiss, dass das nur ein Spass war, ich habe selbst mitgelacht», sagt Jonathan.
«Es gibt Unterschiede zwischen unbedachten rassistischen Äusserungen und Rassist*innen – dessen bin ich mir bewusst.» Dennoch zeige einem das auch, dass man anders ist. Dieses sogenannte «Othering» kann für Betroffene genauso verletzend sein wie offener Rassismus.
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Die Community bemühe sich aber darum, inklusiver zu werden. Jonathan war bereits mehrmals als Kampagnengesicht auf Plakaten zu sehen, was er auch gerne macht: «Jedes Medium, das Nichtweisse darstellt, trägt zur Sichtbarkeit bei.» 2017 hat er aber auch da eine negative Erfahrung gemacht. Er wurde von einer Berliner Partyreihe angesprochen, für deren CSD Promo als Model für Flyer und Plakate fotografiert zu werden. «Dann haben sie meine Haut heller und meine Lippen schmaler gemacht. Ich habe mich selber fast nicht wiedererkannt. Als ich sie darauf ansprach, meinten sie, es sei normal, dass Bilder in der Post-Produktion verändert werden.» Eine Entschuldigung gab es nie.
Rassismus im Dating Als Reaktion auf die Unruhen in den USA haben Grindr und weitere Datingapps angekündigt, ihren «Ethnienfilter» zu entfernen (MANNSCHAFT berichtete). Dieser erlaubte User*innen, gewisse Ethnien auszublenden. Jonathan begrüsst diesen Schritt. «Als ich auf Datingplattformen aktiv war, habe ich immer wieder ‹keine Schwarzen› oder ‹keine Asiaten› gelesen. Oft suchen marginalisierte Gruppen um sich weiter zu marginalisieren und gesellschaftliche Hierarchien auch innerhalb der Randgruppen aufrecht zu erhalten.»
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Selber wurde er auch schon als «heisser Rassekater» bezeichnet. Auch Aussagen wie «Ich hatte noch nie Sex mit einem Schwarzen» können verletzend sein. «Für mich klingt das so, als wäre ich ein Punkt auf einer Bucketlist, aber kein Mensch mit Gefühlen», meint Jonathan. Wenn er sein Gegenüber auf die rassistischen Nachrichten aufmerksam macht, bekam er oft nur ein «Das ist doch nicht rassistisch, stell dich nicht so an» zurück.
«Ich bin seit über zehn Jahren Teil der Community. Ich liebe sie, aber wir sind nicht fehlerfrei. Wir sind ein Querschnitt der Gesellschaft, es gibt Barrieren und Diskriminierungen. Wir dürfen uns diesem Thema nicht verwehren. Auch wenn wir selber eine Minderheit sind, können wir dennoch für andere Minderheiten einstehen», findet Jonathan. «Es ist schwierig, sich einzugestehen, dass man selber auch Vorurteile hat. Auch ich habe Vorurteile. Das Bewusstsein dafür zu entwickeln bedarf ein offenes Herz und vor allem aber die Bereitschaft, einander zu zuhören und von einander zu lernen.»
Zum IDAHOBIT 2020 war Jonathan einer von vier Protagonist*innen, die ihre besten Freund*innen oder Verbündeten in einem MANNSCHAFT-Video vorstellten:
Der Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss beklagte in einem MANNSCHAFT-Gastbeitrag, dass seine Hautfarbe für ihn und andere schwarze Kolleg*innen bei Besetzungen im deutschen Fernsehen noch immer ein massives Handicap ist. Rassismus gibt es aber nicht nur dort.
Das Kollektiv «Colours of Change» veranstaltet am Sonntag, 5. Juli 2020, von 15 bis 17 Uhr eine Kundgebung auf dem Rudolfplatz in Köln. Die Forderung der Veranstalter*innen: mehr Solidarität mit nicht-weissen Mitgliedern der Queer Community. Auf dem Programm stehen neben Standpunkt-Reden auch Voguing-Tanz-, Musik- und Gesang-Performances sowie eine Podiumsdiskussion.
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