«Wenn ich sterbe, wird eine Regenbogenflagge wehen»

LGBTIQ im Ukraine-Krieg – eine Reportage von Anastasia Biefang (Teil 2)

Kafa (Foto: Patrick Enssle)
Kafa (Foto: Patrick Enssle)

Auf der Suche nach Einhörnern: Warum LGBTIQ in der Ukraine sich freiwillig zum Militär melden und kämpfen. Im ersten Teil traf Anastasia Biefang Nastya, der zweite und letzte Teil handelt von Kafa.

Zwei Tage später stehe ich draussen vor einem Wohnhaus in der Stadt Kramatorsk, nicht weit von Bachmut entfernt. Ein silberner Mercedes ML fährt vor. Kafa, 21, steigt dynamisch aus dem Fahrzeug aus und geht lächelnd auf mich zu. Ihre Finger sind an beiden Händen tätowiert – Stick-and-Poke-Style. Sie strahlt über das ganze Gesicht und ist herrlich mitreissend aufgeregt. Das Auto war eine Spende von Radical Aid Force für sie. Damit ist sie mobil an der Front und kann ihre Arbeit effektiver machen, wenn sie nicht direkt in den Stellungsräumen ist.

Kafa ist erst seit diesem Januar Soldatin und dient seitdem in Bachmut. Wir kennen uns bisher nur über Instagram und Signal. Sie umarmt mich herzlich und bedankt sich, dass ich hier bin. Kafa wird von einem Soldaten aus ihrer Einheit begleitet. Sie sind beide Drohnenpiloten in der Einheit Seneca, benannt nach dem Callsign eines im letzten Jahr gefallenen Soldaten, der den römischen Philosophen verehrte. Viele der Soldaten dieser Einheit kämpften schon während der «Revolution der Würde» auf dem Maidan in Kiew für eine freie Ukraine. Kafa war damals erst 13 Jahre alt. Sie wurde 2001 auf der Krim in Simferopol geboren. Die Krim ist ihre Heimat. Ihr Vater, Wolgadeutscher, und ihre Mutter leben weiter auf der Krim unter russischer Besatzung. Kafa erinnert sich genau, als die «grünen Männchen», die russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, im Jahr 2014 in ihre Heimat einmarschierten und die Krim überfielen. Sie fängt an, Ukrainisch zu lernen und zu sprechen, denn ihre Muttersprache ist Russisch.

Nicht ich selbst zu sein, ist keine Option.

Kafa ist nicht-binär, sie verwendet die Pronomen she und they. Ihren Eltern sagte sie damals, sie sei bisexuell. Alles andere hätten sie nicht verstanden. Eine wilde, queere Teenagerin, die von vielen für verrückt gehalten wurde. Sie wollte sich nicht an irgendwelche Normvorstellungen von Geschlecht und Sexualität anpassen. Früh erkennt sie, dass sie für sich und ihre Überzeugungen kämpfen muss. Sie wird zu einer queeren Aktivistin. Ein Jahr nach dem Überfall auf die Krim lebt Kafa mit ihrer Zwillingsschwester in Kiew. Sie gehen dort zur Schule. Nach dem Abschluss fängt sie an Biologie zu studieren. Vögel begeistern sie bis heute. Im Jahr 2018 verlässt Kafa die Ukraine und zieht nach Deutschland. Dort arbeitet sie und lebt in Bremen und zeitweise in Berlin. Sie lebt queer, laut und bunt. Ihr Queer-sein sollen alle sehen. Sie versteckt sich nicht. «Nicht ich selbst zu sein, ist keine Option», sagt sie.

Am 24. Februar 2022 rollt die russische Eskalation über die Ukraine. Kafa muss aus der Ferne erleben, wie Russland ihre Heimat bombardiert. Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Sorge um ihre Familie kommen hoch. Wieder wird Kafa die Heimat genommen. In dem Moment entscheidet sich Kafa: «Ich bin in Deutschland und kann nichts tun. Jetzt ist die Zeit. Du packst deine Sachen und gehst nach Hause.» Sie schliesst die ‚Leben in Deutschland-Prüfung‘ und den B1 Sprachkurs ab. Auf dem CSD in Berlin demonstriert sie zuletzt mit vielen anderen queeren Ukrainern, schafft Aufmerksamkeit für die Lage in ihrer Heimat und fordert lautstark Waffen. Sie hofft, dass ihre Botschaft bei den Menschen verstanden wurde.

«Das Problem der Deutschen ist, dass sie die Ukrainer nicht für sich selbst sprechen lassen. Melnyk hatte eine Stimme. Die hat den Deutschen nicht gefallen. Er hatte recht, aber er war zu laut und zu direkt für die Deutschen. Wir sind keine Kriegstreiber. Wir kämpfen um unser Überleben. Wir kämpfen für unsere Freiheit. Frieden, wie die Deutschen sich den teilweise vorstellen, ist keine Option. Kein Frieden ohne Freiheit. Vor meinen deutschen Freunden muss ich wie verrückt ausgesehen haben. Während Mariupol gab es keine Reaktionen von ihnen. Ich musste sie wachrütteln. Sie waren so still.» Ihre Enttäuschung über die deutsche Haltung in dieser Zeit schwingt spürbar in ihrer Stimme mit. Zweifel an der Demokratiefähigkeit ihres Landes musste sie oft ausräumen. Sie kann die Fragen von Deutschen über Neonazis in der Ukraine nicht mehr hören. Dsas es diese Gruppierungen gibt bestätigt sie. Dass diese auch Jagd auf queere Menschen gemacht haben und die Pride Demonstrationen in den letzten Jahren angegriffen und gestört haben ist ihr bekannt. Eloquent zeigt sie auf, dass im deutschen Bundestag die AfD sitzt, mit deutlich mehr Sitzen als rechte Gruppierungen in der Ukraine.

Im Oktober 2022 ist Kafa zurück in Kiew, macht dort den Führerschein und besucht die zivile Flugschule für Drohnenpiloten. «Wenn du keine Wahl hast, lernst Du schnell“ sagt sie. Alles ist selbstfinanziert. Dann meldet sie sich zur Armee. Ihre Fähigkeiten als Drohnenpilotin werden dringend gebraucht. Kafa erinnert sich genau an ihren ersten Einsatz an der Front direkt in Bachmut. „Die Geräusche sind wie in einem Club. Es ist das fuckin‘ Berghain. Der Lärm, die Explosionen der Artillerie, das Maschinengewehrfeuer. Gefechtslärm härter als Techno.“ Hatte sie Angst? Sie war angespannt. „Ich muss meine Drohne präzise und sicher fliegen. Dafür bin ich hier. Nur darauf kommt es an.»

Im Schützengraben rezitierte sie dreimal eine Passage aus dem Roman «Dune». «Ich darf mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewusstsein. Die Furcht führt zu völliger Zerstörung.“ Danach war sie fokussiert. Sie klärte feindliche Stellungen auf, übermittelte Zielkoordinaten an die Artillerie und bekämpfte russische Soldaten. Den Text hat sie seitdem als Screensaver auf ihrem Telefon. Der Tod macht ihr keine Angst. «Wenn ich sterbe, wird Lana Del Ray spielen und eine Regenbogenflagge wehen. Und ich werde in meinem Leopardenmantel begraben.» Sie ist überzeugt davon, dass sie hier sein muss. «Ich fühle zum ersten Mal in meinem Leben, zu 150%, dass ich hier am richtigen Ort bin. Ein Kämpfer zu sein, ist das Beste, was du sein kannst. Für deine Werte zu kämpfen, ist eine ehrenvolle Aufgabe.»

Etwas später fahren wir zu einem Trainingsgelände. Hier üben Drohnenpiloten ihr Handwerk, vertiefen ihre Kenntnisse und tauschen sich untereinander zu ihren Erfahrungen aus. Ich darf zuschauen. Der Himmel ist heute fast klar mit ein paar Wolken. Kein Wind. Es ist nicht kalt. Im Hintergrund die Geräusche der Artillerie und der schweren Waffen. In Bachmut wird gekämpft. Ein Soldat startet eine Drohne, wir verfolgen gemeinsam die Flugbahn. Kafa ist begeistert und erklärt mir wie alles funktioniert. Ihre Begeisterung ist ansteckend.

Später zeigt sie mir auf ihrem Telefon Videos von ihren Drohnenflügen. Es sind Aufklärungsvideos von russischen Stellungen zu sehen sowie Aufnahmen von bekämpften russischen Soldaten. Für sie hat sie kein Mitleid. Ihre Aufgabe ist es sie zu bekämpfen, sie zu töten. Im Auto spielt sie mir ein Lied, gesungen von einer Freundin von ihr – «Lullaby of Death». In einer Strophe heisst es: «Ihr wolltet dieses Land. Nun werdet eins damit.» Kafa spricht diese Zeilen deutlich und bestimmt. Keine Gnade. Kein Verzeihen.

Kafa (Foto: Patrick Enssle)
Kafa (Foto: Patrick Enssle)

Kafa versteckt sich nicht. Auch nicht im Militär. Queer, laut und sichtbar. Sie weiss, wer sie ist und warum sie hier ist. Ein Jahr hat sie sich verstecken müssen in ihrer Jugend auf der Krim unter russischer Besatzung. Das will sie nicht mehr. Das wird sie nie wieder tun. «Queer sein bedeutet für mich, Dinge nicht einfach zu akzeptieren, wie sie erscheinen. Ich bin weder Mädchen noch Junge. Ich bin Kafa, eine Soldatin der Ukraine, Anarchistin, interessiert an Ornithologie – ich bin ein wildes Kind.» Die Last der Sichtbarkeit schultert sie gerne und kämpft auch hier mit demselben Willen und Stärke wie gegen Russland.

Wir kämpfen für Eure Freiheit.

Als ich mich von Kafa verabschiede, gibt sie mir diese Botschaft mit: «Hört auf Angst zu haben, was andere über Euch denken können. Bewaffnet die Ukraine und lasst bitte jeden ukrainischen Soldaten bei Euch zur Ausbildung zu. Wir werden Eure Waffen lernen zu bedienen und im Gefecht sicher anwenden. Wir kämpfen für Eure Freiheit.»

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