in

Nach Gewalt bei Berliner CSD: «Justiz schützt gewalttätige Polizisten»

Vorwurf: Werden Beweismittel zurückgehalten?

CSD Berlin
Symbolbild: AdobeStock

Es ist bald ein Jahr her: Ende Juli fand der CSD in Berlin statt. Am Abend soll die Polizei rabiat gegen Feiernde im Regenbogenkiez vorgegangen sein. Aufgeklärt ist der Fall bis heute nicht.

Ende Juli 2021 fand die Parade zum Berliner Christopher Street Day mit etlichen Zehntausenden Menschen statt. In dem Zusammenhang gab es am Abend und in der Nacht homofeindliche Übergriffe gegen Mitglieder der LGBTIQ-Community (MANNSCHAFT berichtete). Am Abend in der Motzstrasse im Regenbogenkiez soll sogar die Polizei rabiat gegen Feiernde vorgegangen sein. Der Berliner Anwalt Niko Härting war am Abend privat vor Ort sprach von «Jagdszenen in der Motzstrasse», die die Polizei veranstaltet hätte.

Aufgrund der Berichterstattung u.a. von MANNSCHAFT musste das LKA intern gegen die beiden Polizisten Olun D. und Darin A. ermitteln. Sie waren besonders massiv mit einem Mann umgegangen: Martin Soboll. Dessen Bruder Oliver erklärt nun, ein Jahr danach: «Die Ermittlungen sind – obwohl die Aussagen der Polizisten höchst widersprüchlich sind und ein Faustschlag ins Gesicht meines Bruders zugegeben wurde – leider im Sande verlaufen.»

Nach dem CSD war Sobolls Auge verletzt, im Krankenhaus wurde ein Schädelhirntrauma ersten Grades diagnostiziert. Der damals 38-Jährige konnte sich nicht an alles erinnern, was an dem Abend passierte. Was ihn am Kopf getroffen hat, konnte er nicht sagen. Aktuell, so sein Bruder, habe er an dem Auge wieder eine Entzündung. Ob dies auf die Verletzung zurückzuführen sei, könne man aber nicht sagen.


Soboll beobachtet jede Woche Einsätze der Polizei, seit 20 Jahren ist er im Besitz einer Dauerkarte für Borussia Dortmund, wie er im vergangenen Jahr gegenüber MANNSCHAFT+ sagte. «Ich sehe Polizeieinsätze auf Grossveranstaltungen bzw. in Menschenmassen ja so gut wie jede Woche und weiss, wie die gut die auftreten, wie sie desaklieren. Wie sie Präsenz zeigen, aber nur eingreifen, wenn wirklich absolut nötig. Diese Truppe in der Motzstrasse war schlimm. Die hat genau das Gegenteil gemacht, ist aggressiv umherstolziert». Soboll fand damals, es wirkte so, als wollten sie das Geschehen eskalieren lassen.

Die Anzeige von Oliver Soboll gegen die beiden Polizisten wurde gerade zum zweiten Male von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, teilte sein Bruder im Mai mit. Das nun erforderliche
und sehr aufwendige gerichtliche Entscheidungsverfahren werde man sich nicht leisten können. Es seien bereits Anwaltskosten in Höhe von 15.000 Euro angefallen. Der Rechtsschutz zahle das nicht.

Man wolle sich nun auf die Verteidigung von Oliver konzentrieren. «Hier hat dann die Justiz
erfolgreich zwei gewalttätige Polizisten geschützt», remüsiert der Bruder frustiert. «Recht bekommt nur, wer Recht bezahlen kann.»


Die Generalstaatsanwaltschaft teilte dazu auf MANNSCHAFT-Anfrage mit, das Verfahren sei mit Verfügung vom 16. Februar 2022 gemäss § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, weil ein hinreichender Tatverdacht der Körperverletzung im Amt oder einer sonstigen Straftat nicht bestanden habe. D.h. nach Abschluss der Ermittlungen hätte nach Aktenlage eine Verurteilung wahrscheinlicher sein müsste als ein Freispruch. «Nur dann wäre die Staatsanwaltschaft berechtigt, Anklage zu erheben oder den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen», so Pressesprecher Sebastian Büchner

Im September 2021 stellte der Grünen‐Abgeordnete Sebastian Walter eine Anfrage. In der Antwort von Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) wurde der «gezielte Faustschlag ins
Gesicht» als polizeiliche Massnahme bestätigt. Er findet sich auch in der Ermittlungsake wieder, in die MANNSCHAFT teilweisen Einblick hatte.

Darin ist etwa auch die Rede davon, dass Oliver «körperlich überlegen» gewesen sei und einen «bedrohlichen Schritt» in die Richtung des Polizisten gemacht habe. Das aber bezweifelt sein Bruder. «Er hatte 1,83 Promille und ist stark übergewichtig – die Polizisten haben ihn ja als fette Sau beschimpft.» Ausserdem hat er auch entsprechende Schäden der Kniegelenke. «Eigentlich zu dem zeitpunkt eine hilflose Person», so sein Bruder.

Es gebe auch einen Film, den die Polizei selbst während der Vorgänge erstellt habe, doch der sei bis heute nicht als Beweismittel – sowohl beim LKA als auch bei der Staatsanwaltschaft – aufgetaucht, so Soboll. Dass gefilmt wurde, bewiesen eigene Aufnahmen. «Ein bewusstes Zurückhalten dieses Beweismittels liegt als Verdacht nahe», so Martin Soboll.

Laut Generalstaatsanwaltschaft befand sich Videomaterial aus privaten Quellen bei den Akten, das ausgewertet wurde, allerdings nicht sachdienlich war. Polizeiliches Videomaterial befand sich nicht bei den Akten. Hinweise darauf, dass polizeiliches Videomaterial existiere und der Staatsanwaltschaft gegebenenfalls vorenthalten wurde, lägen ihr laut Sprecher Büchner nicht vor. «Warum kein polizeiliches Videomaterial vorhanden war, kann hier nicht beantwortet werden, jedenfalls gibt es für den von M. Soboll vorgetragenen ,Verdacht‘ aus hiesiger Sicht keine Grundlage.»

Die Gründe für die Verfahrenseinstellung seien dem Anzeigeerstatter und seinem Rechtsanwalt mitgeteilt worden. Hiergegen habe dieser eine ausführlich begründete Beschwerde eingelegt, was dazu führte, dass das Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft vorgelegt wurde um zu prüfen, ob die durch die Staatsanwaltschaft erfolgte Einstellung zutreffend ist oder ob Ermittlungen unterlassen oder die vorhandenen Beweismittel unzutreffend gewürdigt. Die Beschwerde sei allerdings von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen worden, so der Sprecher.

Auch an der juristischen Aufarbeitung übt der Bruder des Verletzten Kritik. Weder Richterin noch Staatsanwalt seien vorbereitet gewesen und hätten das Beweismaterial gesichtet. «Schockierenderweise wurde von der Richterin sogar gefragt, ob mein Bruder
überhaupt verletzt worden sei. Unser Anwalt musste dann auf den Krankenhausbericht in den
Prozessunterlagen hinweisen und hat das Foto von Olivers Verletzungen auf dem Handy zeigen
müssen.»

Mathias Schulz Sprecher für Queerpolitik der Berliner SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, wollte sich zu den Anschuldigen nicht äussern. Der Berliner Grünen-Abgeordnete Sebastian Walter, Sprecher für Queerpolitik und Diversitätspolitik, will nochmal eine schriftliche Anfrage an den Senat stellen, teilte er gegenüber MANNSCHAFT mit.

Nun steht der diesjährige CSD bevor. Letztes Jahr war Oliver Soboll mit seinem Bruder und dessen Lebensgefährten auf dem CSD, abends gingen sie in die Motzstrasse. Dieses Jahr werde Oliver bestimmt nicht mehr dorthin gehen, sagt Martin Soboll über seinen Bruder. «Er ist nicht mehr derselbe.»


regenbogenfamilie

Liechtenstein will queere Eltern bei Adoptionen gleichstellen

LGBTIQ

UN-Menschenrechtsrat verlängert Mandat zum Schutz von LGBTIQ