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Michael Roth: «Man muss verfolgten Schwulen helfen!»

Michael Roth
Michael Roth (Foto: Susie Knoll)

Europastaatsminister Michael Roth gehört spätestens seit seiner Wahl in den SPD-Bundesvorstand zu den einflussreichsten schwulen Politikern in Deutschland. Damit geht er einerseits sehr entspannt um, setzt sich andererseits in Ländern wie der Türkei für LGBTIQ-Rechte ein.

Herr Roth, bei der Verleihung des Tolerantia Awards an Ihren Parteifreund Heiko Maas Ende November haben Sie in Ihrer Rede gesagt, Sie hätten schon als Jung-Juso für ihn geschwärmt …
… da war ich nicht der einzige. (lacht)

Gab es einen Heiko-Maas-Fanclub?
Das weiß ich nicht. Aber das geht ja schon weit in die 90er Jahre zurück. Heiko Maas ragte für mich heraus, weil er ein cooler, besonnener und eben auch attraktiver Juso war. Ich wünschte mir damals wie heute, dass er in unserer SPD eine wichtige Rolle spielt. Von daher wollte ich ihm einfach mal ein Kompliment machen. Es war ihm nicht unangenehm, ich hab es ihm schon mal gebeichtet vor ein paar Jahren. Wir kennen uns mittlerweile ja schon sehr lange.

In Deutschland hat sich vieles zum Guten verändert, auch was die rechtliche Lage betrifft etwa in Sachen Eheöffnung. In Ländern wie etwa der Türkei verschlechtert sich die Lage für LGBTIQ aktuell. Wie gehen Sie als Europastaatsminister damit um?
Als Europa-Staatsminister wurde mir sehr eindrücklich vor Augen geführt, wie dramatisch schlecht es um LGBTIQ-Rechte in Europa und weltweit steht. Da habe ich mich verpflichtet gefühlt, auch ein öffentliches Bekenntnis abzulegen, und mich persönlich und wahrnehmbarer für LGBTIQ-Rechte einzusetzen. Es macht Menschen eben in Ländern Mut, in denen Schwule und Lesben massiv unterdrückt und ausgegrenzt werden oder es gar lebensgefährlich ist, homosexuell zu sein. Deshalb habe ich null Probleme damit, als schwuler Politiker wahrgenommen zu werden, der ganz aktiv die Interessen von LGBTIQ vertritt. Ich verstehe das genauso wie meinen Einsatz für Roma und Sinti als Menschenrechtspolitik. Unsere Community in Deutschland ist zu sehr auf sich selbst fokussiert. Wir schauen viel zu wenig, wie es andernorts auf der Welt aussieht. Wir haben viel erreicht in vielen europäischen Ländern. Jetzt sollten wir auch mal was zurückgeben – und zwar weltweit.


Schwule Politiker sind etwas ganz normales

Es dürfte von mir keinen Besuch in einem Land geben, wo ich nicht auch LGBTIQ-Aktivisten als Teil der Zivilgesellschaft treffe. Denen will ich Respekt zollen und Mut zusprechen. Ich will aber auch ein Signal aussenden: Schwule Politiker sind etwas ganz normales. Es gibt ja eine ganze Reihe europäischer Länder, in denen es keinen einzigen offen schwulen oder eine offen lesbische Politikerin gibt. Niemanden! Dass jemand ganz offen sagt: Ich bin schwul und das ist auch gut so – das ist in vielen Staaten Europas immer noch eine Seltenheit.

Wenn Sie sich in der Türkei mit LGBTIQ-Aktivisten treffen: Wird das von der Regierung dort in irgendeiner Form kommentiert, oder gibt es Versuche, das zu unterbinden?
Überhaupt nicht, das wird nicht kommentiert. Im übrigen: Wenn ich mich mit Ministern oder Abgeordneten treffe, spricht man immer wieder auch Privates an, beim Mittagessen etwa. Da erzähle ich dann beispielsweise, dass ich mit meinem Mann letztes Wochenende meine Schwiegereltern besucht habe. Ich gaukele denen ja keine Familie vor, die aus Frau und drei Kindern besteht – nur um ihnen einen Gefallen zu tun. Damit gehen meine Gesprächspartner professionell um. Im übrigen kennen sie meine Biografie und meine politische Agenda. Ich mache immer beides, mit Regierung und Opposition reden, aber die Zivilgesellschaft ist das Entscheidende. Da ist in der Vergangenheit vielleicht gelegentlich der falsche Eindruck entstanden, in der Außenpolitik treffen Politiker irgendwelche Politiker und besprechen die Weltlage.

Manche türkische LGBTIQ-Aktivisten haben Angst, sich mit mir in einem Café zu treffen.

Und das war’s dann. Dem ist aber nicht so! Nicht nur in der Türkei sprechen wir von «Shrinking Spaces», das sind schrumpfende Räume für die Zivilgesellschaft. Wenn ich mich mit Aktivisten treffen will, stößt das manchmal auf eine gewisse Zurückhaltung. Sie fürchten Repressionen. Dabei gilt: Das was wir tun, dient nicht meiner eigenen Profilierung – sondern wir versuchen ja etwas konkretes zu erreichen. Auch wenn Menschenrechtsaktivisten oder die Opposition in Deutschland bisweilen kritisieren, wir seien zu leise: Man kann manchmal nur hinter verschlossenen Türen seinen Einfluss geltend machen. Manche LGBTIQ-Aktivisten haben mittlerweile Angst, sich mit mir auch nur in einem Café zu treffen. Das war beispielsweise noch vor drei Jahren in der Türkei anders. Heute sucht man, nicht nur in der Türkei, geschützte Räume auf, in der Botschaft oder in der Residenz des Botschafters, aber nicht im öffentlichen Raum. Man hält dann auch keine Pressekonferenz ab, weil man niemanden gefährden möchte. Diskretion ist bisweilen wichtig – im Interesse der Betroffenen.


Gespräche sind wichtig, aber reicht das immer? Wäre es nicht manchmal wirkungsvoll mit Sanktionen zu arbeiten?
Wir haben eine ganz klare Ansage an die Türkei: Wir sind sehr an der Normalisierung der Verhältnisse interessiert, aber dafür stellen wir Bedingungen: Entlassung der politisch Inhaftierten, klares Bekenntnis zu Menschenrechten, respektvoller Umgang mit Minderheiten. Das wird sehr deutlich zur Sprache gebracht. In der Wirtschafts- und Handelspolitik sind wir restriktiver geworden, beispielsweise bei der Gewährung von Bürgschaften. Man muss aber auch wissen: Sanktionen führen nicht automatisch und rasch zu einer Verbesserung der Lage. Das ist bisweilen ein langer Prozess. Man muss den ganzen Werkzeugkasten von Politik und Diplomatie nutzen. Das kann auch die öffentliche Intervention sein wie im Fall der schwulen Tschetschenen. Das gehört zu einem Land wie Deutschland, das sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt: Man muss Verfolgten schnell helfen und sie schützen, wenn sie in ihrer Heimat nicht mehr sicher leben können. Das haben wir in enger Zusammenarbeit beispielsweise mit Kanada, Schweden und Frankreich gemacht.

Homosexualität habe es in Afrika nie gegeben, behaupten dort einige Länder: Es sei unafrikanisch. Unfassbar!

Wie viele sind denn mittlerweile nach Deutschland gekommen?
Bislang haben wir vier Tschetschenen bei uns durch ein humanitäres Visum aufgenommen. Anfragen für weitere Aufnahmen im Deutschland kenne ich nicht.

Wenn wir auf Russland schauen: Die Fußball WM steht bevor, vor vier Jahren haben die Olympischen Winterspiele dort stattgefunden – in einem Land, das es verbietet, positiv über Homosexualität zu sprechen. Ist das nicht problematisch?
Angesichts der Tatsache, dass LGBTIQ in rund 80 Ländern der Welt strafrechtlich verfolgt werden, ist die Hoffnung, dass wir große Sport- oder Kulturereignisse nur in lupenreinen Demokratien mit einer offenen kritischen Zivilgesellschaft werden durchführen können, etwas naiv. Wir werden alleine mit Aufrufen zum Boykott nicht weiterkommen. Es ist unendlich wichtig, die Menschenrechtssituation in den Gastgeberländern zu thematisieren und darüber zu streiten. Aber wo kannst Du überhaupt noch ein internationales Sport- oder Kulturereignis stattfinden lassen? Es gibt in vielen wohlhabenen, demokratischen Ländern gar keine Akzeptanz mehr für solche Mega-Events, das hat man beim Hamburger Referendum gegen die Olympia-Bewerbung doch gesehen. Kritische Gesellschaften wollen das oft so nicht mehr mitmachen.

Homosexualität habe es in Afrika nie gegeben, es sei unafrikanisch. Unfassbar!

Immer wieder wird uns ja auch vorgeworfen, wir wollten einen westlich orientierten Lebensstil mit einer postkolonialistischen Arroganz exportieren. So ein Unsinn! Ich erinnere dann gerne daran, dass wir seit 1948 das Prinzip der Universalität der Menschenrechte verankert haben. Die Menschenrechtskonvention ist nicht nur im vermeintlichen Westen gültig, sondern in allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, also faktisch fast überall auf der Welt. Das erleben wir ja beispielsweise auch beim russischen Präsidenten, der immer wieder behauptet: Der eigentliche Verfechter europäischer Werte ist Russland. Der Westen hat diese traditionellen, christlichen Werte dekadent und einseitig umgedeutet zugunsten von sexuellen Minderheiten und Genderwahn. Das behauptet zumindest Herr Putin. Ähnliche Diskussionen führt man in manchen Ländern Afrikas, wo sich Politiker und Kirchenleute homophob äußern. Ihrer Auffassung nach hat der Westen Homosexualität importiert. So etwas habe es dort nie gegeben, es sei unafrikanisch. Unfassbar!

Dass Ankara im November ein generelles Verbot für LGBTIQ Events verhängt hat, wurde in Deutschland in vielen Medien thematisiert und auch von Ihnen kritisiert. Dass in Uganda Anfang Dezember mal wieder ein LGBTIQ Filmevent von der Polizei aufgelöst wurde, war hier kein Thema. Nicht in den Medien, aber auch von Ihnen hörte man da nichts.
Das ist das Drama einer krisengeschüttelten Welt, wo wir allzuoft den Blick nur auf die schlimmsten Ereignisse richten. Man versucht ein Problem zu lösen, schon kommt die nächste Krise. Manche eklatante Verletzungen der Menschenrechte bleiben eher im Schatten. Das gebe ich selbstkritisch zu. Man darf niemals die Augen verschließen. Das ist aber nicht nur eine Verpflichtung der Politik sondern auch der Medien. Darum brauchen wir weltweit selbstbewusste Zivilgesellschaften, mutige Menschenrechtsaktivistinnen und unabhängige Journalisten. Sie müssen uns immer wieder sensibilisieren und wach rütteln!

Ganz andere Frage: Wie vertrauenerweckend und souverän wirken auf Sie erwachsene Frauen in Führungsposition, die Kraftausdrücke und Babysprache verwenden?
Ich mag authentische Politikerinnen und Politiker, die nicht nur die Phrasendreschmaschine bedienen, sondern aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Da geht auch manchmal eine Formulierung schief. Diese glatt geschmirgelten Statements sind doch gähnend langweilig und tragen zum Politikverdruss bei.

Sie würden also sagen, dass Frauen wie SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles – denn um sie geht es hier – und auch das übrige Führungspersonal in Ihrer Partei derzeit einen guten Job machen?
Wenn man in einer Partei Verantwortung trägt, die derart von den Wählerinnen und Wählern abgestraft wurde, ist man in einer verdammt schwierigen Lage. Man kann es wirklich nicht allen recht machen. Das erleben wir ja auch im Moment beim Ringen um Regierungsoptionen. Mein Partei braucht jetzt Mut und Selbstbewusstsein. Sonst kommt man aus diesem Keller nie wieder raus. Die Leute wollen doch nicht verzagte und ängstliche Menschen in der Arena stehen sehen. Die wollen von uns hören: Ja, es ist schwer, aber wir machen das. Und wir machen es möglichst besser als vorher. Hier braucht man ein gewisses Grundvertrauen. Da muss sich in der SPD noch einiges zurecht zurechtrücken, ich bin da auch noch nicht zufrieden. Wir haben die Erneuerung der SPD inhaltlich, organisatorisch und personell propagiert. Wir müssen spannender, bunter, authentischer, weiblicher werden. Das geht aber nicht in wenigen Wochen. Umso mehr freue ich mich darauf, dass ich jetzt als Mitglied unseres Parteivorstandes noch unmittelbarer meine Vorstellungen einbringen und am Gelingen dieser großen Aufgabe mitwirken kann.


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