Martin Dannecker: Corona-Krise mit HIV kaum vergleichbar
Auch wenn in Corona ein Diskriminierungspotenzial stecke
Der Sexualwissenschaftler und Schwulenvordenker Martin Dannecker hält die Corona-Krise für wenig vergleichbar mit der HIV- und AIDS-Pandemie.
«Die Erfahrung der Aidskrise hat die Erfahrung mit dem Auftreten des Coronavirus erleichtert», sagte der 78-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Deutschland habe wohl über HIV und AIDS gelernt, eine Krise, die mit einem komplizierten Virus und einer tödlichen Erkrankung zusammenhänge, «einigermassen angemessen zu bewältigen». Doch echte Parallelen sehe er kaum.
«Wenn ich mich daran erinnere, welche kollektive Hysterie bis in die Poren hinein, HIV und Aids in diese Republik brachten, dann ging die Sache mit Corona relativ gelassen an uns vorbei», sagte der Therapeut, Autor und AIDS-Experte («Fortwährende Eingriffe: Aufsätze, Vorträge und Reden zu HIV und AIDS aus vier Jahrzehnten»).
Dannecker gilt als Theoretiker der Schwulenbewegung. Er war Mit-Autor des Films «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» von Rosa von Praunheim, der vor 50 Jahren herauskam.
«Das Dramatische an Corona ist ja, dass es potenziell alle betrifft, ganz banal übertragen wird – etwa bei Begegnungen wie in der Strassenbahn», sagte Dannecker. «AIDS hatte dagegen von Anfang an eine Beziehung zu sogenannten Risikogruppen. Das hat Diskriminierung aufgeladen. Und wurde deswegen auch von denjenigen, die als Risikogruppe definiert waren, völlig anders erlebt.»
Das sexuell übertragbare HI-Virus belebte in den 80ern eine konservative Moral wieder – AIDS wurde als «Schwulenseuche» oder «Schwulenkrebs» bezeichnet. Den Schwulen und ihrem Sexualleben wurde die Schuld zugeschoben. Homosexuelle gerieten, ausgerechnet auch in Deutschland wieder mit seiner langen Geschichte von Schwulenverfolgung, in die Defensive – etwa von Seiten der CSU.
«Sexuell übertragbare Krankheiten reaktivieren alte Umgangsweisen mit der Sexualität», sagte Dannecker. «Vieles davon ist unbewusst und wird aktualisiert. Es kommt auch zu einer Selbststigmatisierung, zu Schuld- und Schamgefühlen.» Zwar stecke auch in Corona ein Diskriminierungspotenzial und es habe da in den vergangenen Monaten immer wieder Versuche gegeben.
«Aber wenn ich mich nicht täusche, dann sind diese Diskriminierungsansätze immer wieder in sich zusammengefallen, weil dann immer wieder eine neue Gruppe – es wird ja heute gern alles über Gruppen gemacht – auftauchte.» Seien es «die Jugendlichen», «die Kinder» oder Menschen in sozialen Brennpunkten.
Vor vierzig Jahren nimmt die AIDS-Epidemie mit Beschreibungen einer seltenen Lungenentzündung ihren Anfang (MANNSCHAFT berichtete). Die ersten Fälle häufen sich im Frühjahr 1981 an der amerikanischen Westküste, und schnell heisst es, die Krankheit trete vor allem bei homosexuellen Männern auf. Vier Jahrzehnte später sind HIV und Aids in Film und Fernsehen so präsent wie lange nicht mehr (MANNSCHAFT berichtete).
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